Boom nach Cannabis-Legalisierung

Medizinalcannabis ist gefragt – heimische Produktion wird ausgebaut

Berlin - 02.08.2024, 16:45 Uhr

Die Produktionsstätte von „Aurora“ in Leuna. (Foto: Aurora)

Die Produktionsstätte von „Aurora“ in Leuna. (Foto: Aurora)


Die Teillegalisierung von Cannabis hat den Markt für medizinische THC-Produkte beflügelt. Branchenvertreter sprechen von einem Umsatzwachstum von 100, teilweise von 200 Prozent. Gerüchte um drohende Lieferengpässe machen bereits die Runde. Um dem vorzubeugen, hat das BfArM die Ausweitung der Produktion von Medizinalcannabis genehmigt.

Der Chef des Großhändlers „Cansativa“, Benedikt Sons, sieht derzeit in Deutschland ein Wachstum am Markt für medizinisches Cannabis um 80 bis 100 Prozent, wie das „Handelsblatt“ Mitte Juli berichtete. Für das gesamte Jahr 2024 erwartet das Unternehmen einen Umsatzzuwachs um 75 Prozent auf 30 Millionen Euro. „Cansativa“ erwartet, dass der Markt für Medizinalcannabis in diesem Jahr auf 24 Tonnen wächst und im Folgejahr um weitere 40 Prozent auf 35 Tonnen. Mit Lieferengpässen sei perspektivisch nicht zu rechnen, meint Sons, eher mit einem Überschussangebot.

Die „Cantourage Group“ – ein börsennotierter Großhändler – spricht von einem Umsatzwachstum im zweiten Quartal um fast 90 Prozent auf 10,8 Millionen Euro. Auch andere Unternehmen der Branche berichten von hohen Zuwächsen. Dem Chef der „Bloomwell Group“ Niklas Kouparanis zufolge haben sich die Umsätze seines Unternehmens mit Medizinalcannabis seit der Teillegalisierung Anfang April verdreifacht.

Starke Zuwächse bei Selbstzahlern

Die Zuwächse seien vor allem auf selbst zahlende Patient*innen zurückzuführen, die in den meisten Fällen Rezepte von sogenannten „Telemedizinplattformen“ erhalten, sagte die Geschäftsführerin des Verbandes der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA) Christiane Neubaur gegenüber dem „Handelsblatt“. Demnach stammen derzeit 80 Prozent der eingereichten Rezepte von Selbstzahler*innen – vor der Teillegalisierung habe das Verhältnis zwischen Selbstzahlung und Kassenabrechnung bei 60 zu 40 gelegen.

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In einigen Mitglieds-Apotheken des VCA sei es zu Lieferengpässen gekommen, so Neubaur, weil die Nachfrage derart stark gestiegen war. Sie deutete an, dass der Boom bei den Selbstzahler*innen zulasten der „Stammpatienten“ gehen könnte. Deshalb hätten manche VCA-Apotheken bereits spezielle Lagerbestände für diese angelegt.

Anstieg auch bei GKV-Rezepten

Auch im Bereich der durch die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) finanzierten Cannabis-Verordnungen ist laut Dominik Ziegra vom Marktforschungsinstitut Insight Health ein leichter Anstieg zu verzeichnen. Insgesamt haben demnach im vergangenen Jahr 12.000 Patient*innen mindestens ein Kassen-Rezept für Cannabis-Blüten eingelöst. Demgegenüber hätten 77.000 Patient*innen im gleichen Zeitraum ein Kassen-Rezept für Cannabis-Extrakte oder Fertigarzneimittel eingelöst. Insgesamt stieg der Umsatz mit GKV-finanzierten Cannabis-Produkten im vergangenen Jahr auf 201 Millionen Euro. Cannabis-Blüten machen mit einem Umsatz von 79 Millionen etwa 40 Prozent davon aus. Während Kassenpatient*innen vorrangig Fertigarzneimittel und Cannabisextrakte erhalten, fragen selbst zahlende Patient*innen vor allem Cannabis-Blüten nach, sagt Christiane Neubaur vom VCA.

Gerüchte um Lieferengpässe

Die Geschäftsführer der Cannabis-Großhändler dementieren angebliche Gerüchte um drohende Lieferengpässe bei Medizinalcannabis. Gegenüber dem Tagesspiegel-Background äußerten sich am Donnerstag der CEO von „Bloomwell“, Julian Wichmann, und Thomas Schatton, CEO von „Four 20 Pharma“. Sie sehen keine Anhaltspunkte für eine Verknappung des Angebots durch die zusätzliche Nachfrage von Selbstzahler*innen. Patient*innen, die ihre Rezepte vorrangig über „telemedizinische“ Portale erhalten, würden zu Unrecht diskreditiert. Bloomwell betreibt selbst ein Online-Portal für Cannabis-Rezepte. Sie verweisen insbesondere auf Zuwächse bei Patient*innen mit chronischen Schlafstörungen. Bei dieser Indikation könnten Cannabis-Produkte für viele Patient*innen eine weitgehend nebenwirkungsfreie Therapieform darstellen, betonen die Unternehmenschefs.

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Von den im Jahr 2023 insgesamt 32,5 Tonnen Medizinalcannabis, die nach Deutschland importiert wurden, seien nur 19 Tonnen an Apotheken geliefert worden, betonen die CEOs. Es gebe ein deutliches Überschussangebot auf dem Markt. Das schlage sich nicht zuletzt auch in den Preisen nieder – diese lägen teilweise unter fünf Euro pro Gramm. Im Falle einer Verknappung hätten Preisanstiege verzeichnet werden müssen, argumentieren Wichmann und Schatton, dies sei aber nach der Teillegalisierung nur „sehr leicht und temporär“ der Fall gewesen, mittlerweile hätten sich die Preise wieder auf dem Niveau vor dem 1. April eingependelt. Auch seitens des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) habe es bisher keine Engpassmeldungen gegeben. 

Das BfArM verzeichnet derzeit mehr als 200 Unternehmen in Deutschland, die Medizinalcannabis importieren und vertreiben. Das Institut gibt an, dass sich die Importe von 4,5 Tonnen im Jahr 2018 auf aktuell knapp 32,5 Tonnen erhöht haben.

Erweiterung der Produktionskapazitäten

Weltweit gibt es mittlerweile ein großes Netz von Anbietern für medizinische Cannabis-Produkte – kanadische Unternehmen gehören zu den größten Playern am Markt. In Deutschland haben bisher derzeit drei Produzenten eine Ausschreibung des BfArM gewonnen. Die ursprüngliche Ausschreibung aus dem Jahr 2019 sah eine Produktion von insgesamt 10 Tonnen über einen Zeitraum von vier Jahren vor.

„Demacan“, mit einer Produktionsstätte im sächsischen Ebersbach, ist das einzige deutsche Unternehmen mit einer Genehmigung zum Anbau für Medizinalcannabis. Wie die Deutsche Presseagentur (dpa) am 25. Juli berichtete, darf das Unternehmen durch eine Neuregelung nun seine Produktionskapazitäten um zwei Tonnen pro Jahr erhöhen. „Die stark gestiegene Nachfrage spiegelt sich in unserem guten Umsatz wider und zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind“, hebt der für den Vertrieb zuständige Geschäftsführer bei „Demacan“, Philipp Goebel, hervor.

Auch die beiden anderen Medizinalcannabis-Produzenten in Deutschland dürfen jetzt ihre Produktion ausweiten. Das sind die beiden kanadischen Unternehmen „Aphria RX“, mit Sitz in Neumünster (Schleswig-Holstein) und „Aurora“ in Leuna (Sachsen-Anhalt). „Aphria RX“ gehört zu dem kanadischen Cannabis-Produzenten „Tilray“. In der Produktionsstätte in Neumünster will das Unternehmen nun die jährliche Produktion von einer auf drei Tonnen erhöhen, berichtet die Süddeutsche Zeitung am heutigen Freitag.

„Aurora“ hat angekündigt, seine Produktion vorerst nicht ausweiten zu wollen. Stattdessen sollen zunächst verschiedene neue Produkte getestet werden, teilte der Hersteller der dpa am vergangenen Dienstag mit – später plant jedoch auch „Aurora“ eine Ausweitung der Produktion. Derzeit wird in Leuna jährlich eine Tonne Cannabis produziert. Auch für die Zukunft plant das Unternehmen den Großteil seines Angebots aus Kanada zu importierten.

Dem sächsischen Hersteller „Demacan“ zufolge ist die Genehmigung zur Kapazitätserweiterung „von entscheidender Bedeutung, um den wachsenden Bedarf an medizinischem Cannabis zu decken und eine Zeitenwende in der Versorgung einzuleiten, indem der Schwerpunkt von Importen hin zu mehr heimischer Produktion verlagert wird“.


Michael Zantke, Redakteur, DAZ
redaktion@daz.online


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