fragwürdige Verschreibungspraktiken

DPhG warnt vor Abgabe von Medizinalcannabis zu Genusszwecken

Berlin - 10.07.2024, 17:15 Uhr

Medizinscher Cannabis aus der Apotheke wird seit dem 1. April verstärkt von Genusskonsument*innen nachgefragt. (Foto: IMAGO / Smith)

Medizinscher Cannabis aus der Apotheke wird seit dem 1. April verstärkt von Genusskonsument*innen nachgefragt. (Foto: IMAGO / Smith)


Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft beobachtet die derzeit sprießenden „telemedizinischen Angebote“ für medizinisches Cannabis mit großer Skepsis. Fachliche und medizinischer Standards für die Telemedizin würden hier umgangen, mahnt die DPhG-Expertengruppe „Medizinisches Cannabis“. Und das könne keinesfalls im Sinne des Gesetzgebers sein.

Seit April gibt es einen großen Run auf Medizinalcannabis – auch von Menschen, die dieses ganz offensichtlicher eher zu Genuss- als zu medizinischen Zwecken konsumieren. Speziell darauf ausgerichtete Online-Plattformen stellen gegen wenige Euro Gebühr Privatrezepte für Cannabisblüten zur Verfügung – und das, gegen alle möglichen Krankheitsbilder von Asthma bis Scheidenpilz. Die Betreiber der Seiten, ebenso wie die telemedizinisch zugeschalteten „behandelnden“ Ärzte, haben ihren Sitz in der Regel im Ausland.

Es könne keinesfalls im Sinne des Gesetzgebers sein, dass diese Verordnungspraxis dazu genutzt wird, Medizinalcannabis zu Genusszwecken zu erwerben, um so die Beschränkungen zur Fahrtauglichkeit, der erlaubten Mengen oder sonstiger Art zu umgehen, betont die Expertengruppe „Medizinisches Cannabis“ der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) in einem aktuellen Statement. Bei den Online-Rezeptplattformen handele sich „um eine institutionalisierte Unterschreitung fachlicher und medizinischer Standards für den Gesundheitsservice Telemedizin“.

Systematische Verschreibung birgt Gefahren

Cannabis-Blüten werden im sogenannten „No-label-use“ verordnet, erläutert die DPhG-Expertengruppe. In der Regel erfolgten hier Verschreibungen, wenn alle anderen zugelassenen Arzneimitteln keine therapeutischen Erfolge erzielen können. Eine systematische Anwendung über eine solche Bandbreite von Indikationen sei sehr ungewöhnlich: „Es ist kaum vorstellbar, dass der Gesetzgeber mit den derzeitigen Regelungen eine Regelversorgung jenseits der Arzneimittelzulassung etablieren wollte oder eine Versorgung für Patienten, für die es andere Therapieoptionen mit zugelassenen Arzneimitteln gibt.“

Die Versorgung mit Cannabis könne lediglich „transient“ sein, solange bis für das entsprechende Krankheitsbild ein zugelassenes Arzneimittel auf den Markt kommt. Andernfalls würden Arzneimittelhersteller benachteiligt.

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Zudem gebe neben wenigen zugelassenen Indikationen für Cannabis „kaum konklusive klinische Daten“. Allerdings seien zahlreiche unerwünschte, zum Teil auch schwere Nebenwirkungen bekannt, mahnt die Expertengruppe. Vor diesem Hintergrund entstehe der Eindruck, dass die besagten Online-Rezeptvertreiber „vor allem nur an den zu erzielenden Gewinnen und nicht an einer sicheren und zweckorientierten Versorgung von Patientinnen und Patienten interessiert ist“, urteilen die Experten der DPhG.

Legaler Genusscannabis fehlt

Seit April dieses Jahres ist der Besitz und Konsum von Cannabis zu Genusszwecken legal – jedenfalls für Erwachsene und unter gewissen Bedingungen. Allerdings können die nicht-kommerziellen Cannabis-Anbauvereinigungen theoretisch erst seit diesem Monat mit dem Anbau loslegen – in der Praxis startete jetzt erst das behördliche Genehmigungsverfahren. 

Sofern den einzelnen Cannabis-Clubs eine Genehmigung zum Anbau erteilt wird, dauert es dann nochmal mindestens drei Monate, bis die ersten legal erzeugten Genuss-Cannabisblüten unter den Mitgliedern der Anbauvereinigungen verteilt werden können. Bis dahin blüht lediglich die Versorgung über den Schwarzmarkt und im besten Fall die ein oder andere Pflanze auf dem heimischen Balkon.


Michael Zantke, Redakteur, DAZ
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Versorgung durch Apotheken

von Michel am 14.07.2024 um 13:57 Uhr

Anstatt sich über die zugegebenermaßen sehr windigen Telemedizin-Anbieter zu echauffieren, sollten sich die Apotheken eher für eine freie Abgabe von Medizinalcannabis stark machen. Sauberes und geprüftes Cannabis für den Freizeitkonsument und guter Verdienst für die gebeutelten Apotheken. Das ganze bei hochwertiger Beratung und Lagerung.

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Große Nachfrage nach Cannabismedizin

von Georg Forster am 12.07.2024 um 14:25 Uhr

Die Verwendung von Cannabis als Medizin ist vieles, aber ganz sicher nicht transient. Wie aus der seit fast 5000 Jahren gut dokumentierten Nutzung hervorgeht, sind die möglichen Einsatzbereiche vielfältig. Heute können wir diese facettenreiche Wirkungsweise über das Endocannabinoidom erklären.

Dass so viele Menschen, die unter den restriktiven Regularien des Betäubungsmittelgesetzes keinen Zugang zu dieser wirkungsvollen und gut verträglichen Medizin erhalten haben, jetzt von der leichteren Verfügbarkeit profitieren, ist erfreulich.

Es sollte einen Weg geben, wie man die dokumentierten medizinischen Erkenntnisse von 2737 v. Chr. (China, Pen Tsao) bis heute (EU, Monographie über Cannabisblüten (3028)) in den aktuellen Zulassungsprozess, der für patentierbare Monowirkstoffpräparate und nicht für unpatentietbare Polywirkstoffpflanzenpräparate gestaltet wurde, einbeziehen kann, damit die Patienten diese vielseitig wirksame Medizin nicht aufgrund bürokratischer Hindernisse wieder verlieren. Das dürfen wir in der Medizinindustrie nämlich nicht vergessen: Nicht nur die Arzneimittelhersteller, sondern vor allem die Patienten dürfen nicht benachteiligt werden.

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass die richtige Cannabisblüte bei mir mehrere Symptome auf einmal lindert. Dafür benötigte ich sonst mindestens drei weniger gut verträgliche Präparate.
Selbst wenn es der Pharmaindustrie gelänge, ein annähernd gleich gutes Medikament zu entwickeln, möchte ich als Patient die Wahl haben, ob ich nicht doch lieber dem seit fast 5000 Jahren erprobten Naturheilmittel vertraue.

Völlig richtig finde ich Ihre Schlussfolgerung, dass der gut regulierte Zugang zu Cannabis als Genussmittel fehlt. Die Politikn hatte das als "Säule 2" im Kampf gegen den Schwarzmarkt versprochen: Wissenschaftlich begleitete Modelprojekte für Cannabisfachhandel. Das würde nicht nur den Schwarzmarkt reduzieren sondern auch jedwede "Rezepterschleichung" überflüssig machen.

MfG G. Forster

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