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Gesundes-Herz-Gesetz
Ist der Einsatz von Statinen bei Kindern sinnvoll?
Karl Lauterbach sorgt sich um die kardiovaskuläre Gesundheit der Kinder: Er plant mit dem „Gesundes-Herz-Gesetz“ breite Screenings auf familiäre Hypercholesterolämie und sieht bei positivem Befund Statine als mögliche Therapieoption. Wie sinnvoll und gesund ist dieser Gesetzentwurf für die Herzen der deutschen Kinder? Welche Statine sind überhaupt für Kinder zugelassen? Und was sagen pädiatrische Leitlinien zur Statin-Therapie im Kindes- und Jugendalter?
Sind wir zu sparsam mit Statinen? Geht es nach Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) – ja. Das will er mit dem Gesetz zur Stärkung der Herzgesundheit („Gesundes-Herz-Gesetz“) ändern, das einem Referentenentwurf zufolge zusätzlich zwei Millionen Menschen Zugang zu den Cholesterol-Senkern ermöglichen soll – mit dabei, laut BILD-Interview mit dem Minister, auch Kinder ab einem Alter von fünf Jahren.
Künftig sollen Kinder – wenn das Gesetz wie geplant im dritten Quartal 2025 in Kraft tritt – im Rahmen der Jugendgesundheitsuntersuchung (J1) frühzeitig, und zwar zwischen zwölf und 14 Jahren, auf Fettstoffwechselstörungen gescreent werden, mit besonderem Fokus auf die genetisch bedingte familiäre Hypercholesterolämie (FH), die in Deutschland mit einer geschätzten Prävalenz von 1:250 - 1:500 „unterdiagnostiziert“ ist [1].
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Derzeit erheben Kinderärzte lediglich im frühen Säuglingsalter (U1-U3: Zeitraum direkt nach der Geburt bis zum fünften Lebensmonat) eine familiäre Anamnese zu einem potenziellen kardiovaskulären Risiko des Kindes, allerdings fehlten explizite Fragen zur Identifikation eines plötzlichen Herztodes. Die Idee hinter der nun geplanten konkreten Fettstoffwechseluntersuchung im Kindes- und Jugendalter und bei positivem Befund der Möglichkeit einer Statin-Therapie dürfte Apothekern klar sein: Statine sollen spätere kardiovaskuläre Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall im besten Falle verhindern. Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in Deutschland die häufigste Todesursache und machten 2021 ein Drittel aller Todesfälle aus.
Dass dies funktionieren könnte, sieht Lauterbach, wie im Referentenentwurf geschrieben, anhand von einer über 20-jährigen Verlaufsstudie, veröffentlicht 2019 im „New England Journal of Medicine“, zur medikamentösen Therapie von Kindern mit familiärere Hypercholesterolämie belegt: Mit Statinen behandelte Kinder mit FH konnten im Vergleich zu unbehandelten Kindern ihr Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen im Erwachsenenalter „erheblich“ reduzieren [2]. Je frühzeitiger eine Untersuchung und eine nachfolgende Therapie initiiert werde, desto größer sei die Risikoreduktion, und eine reine Lebensstiländerung genüge zur Behandlung einer familiären Hypercholesterolämie nicht, steht im Gesetzentwurf [1].
Bei familiärer Hypercholesterolämie hilft Ernährung nur begrenzt
Eine bloße Lebensstilmodifikation hat in der Tat Grenzen, das bestätigt Professor Dr. Oliver Weingärtner, Oberarzt Interventionelle Kardiologie, Angiologie und Lipidologie, Klinik für Innere Medizin I, Universitätsklinikum Jena, gegenüber dem Science Media Center (SMC), eigenen Angaben zufolge eine „journalistisch arbeitende, unabhängige und gemeinwohlorientierte Institution“. Weingärtner erachtet es für „völlig richtig, entsprechend dem Gesetzentwurf zu screenen und zu behandeln“, und nicht nur auf die Ernährung zu setzen. Bei den FH-Patienten werde das Cholesterol zum Großteil vom Körper selbst produziert, weswegen diätetische Maßnahmen zwar bei allen Patienten grundlegend wichtig seien, gleichzeitig bleibe jedoch der Effekt individuell und geringer als durch Arzneimittel.
Bestenfalls lasse sich diätetisch der LDL-Cholesterol-Wert um 10 bis 15% senken, sagt auch Prof. Dr. Wolfgang Koenig, Oberarzt, Klinik für Herz- und Kreislauferkrankungen, Deutsches Herzzentrum München, im Interview mit dem SCM. Ein Statin hingegen hält Koenig für „eine sichere und wirksame Möglichkeit, den LDL-Cholesterol-Speigel zu senken“. Kinder sprächen in der Mehrzahl der Fälle auf niedrige Dosen von Statinen „sehr gut an“, ergänzt Koenig.
Welche Statine sind für Kinder zugelassen?
An der Verordnungsfähigkeit der Statine bei Kindern dürfte der Gesetzentwurf nicht scheitern, denn einzelne Statine könnten ab sechs beziehungsweise acht Jahren und alle dann ab einem Alter von zehn Jahren verschrieben werden, erklärt der Kardiologe weiter. In der Tat dürfen z. B. Atorvastatin Kinder und Jugendliche mit primärer Hypercholesterolämie bereits ab zehn Jahren erhalten, Fluvastatin hat eine Zulassung für ab Neunjährige, Pravastatin geht ab acht Jahren und Rosuvastin ab sechs Jahren.
Was sagt die Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Hyperlipidämie bei Kindern?
Auch die 2015 erstellte „S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Hyperlipidämie bei Kindern und Jugendlichen“ hilft einzuordnen, wie sinnvoll Screenings und möglicherweise Statine für Kinder mit familiärer Hyperlipidämie sind [4].
Mit starkem Konsens sind sich die Leitlinienautoren einig, dass „in jedem Lebensalter, in der Regel ab dem zweiten Lebensjahr, eine Lipidbestimmung angeboten werden“ sollte, wenn es anamnestische Hinweise auf eine möglicherweise erbliche Form der Hyperlipidämie gebe, also frühe kardiovaskuläre Erkrankungen bei Verwandten ersten und zweiten Grades vor dem 55. (Männer) oder 65. Lebensjahr (Frauen) oder wenn die Eltern eine „ausgeprägte Hyperlipidämie“ hätten. Sie schlugen vor, dass sogar auch unabhängig von der Familienanamnese bei „jedem Kind und Jugendlichen einmalig eine Cholesterolbestimmung“ durchgeführt werden solle (zum Beispiel im Rahmen der U9, Kindesalter mindestens fünf Jahre). Denn eine allein an der Familienanamnese orientierte Diagnostik verfehle die Mehrzahl der Kinder mit ausgeprägter Hypercholesterolämie. Ob sodann eine Therapie begonnen werde, sollte erst nach zwei Messungen (Abstand zwischen zwei Wochen und drei Monaten) entschieden werden, wenn die Lipidwerte oberhalb der Plasmanorm lägen [4].
Statine: erste Wahl bei Kindern
Wann also sollten Kinder behandelt werden? Die Leitlinienautoren raten zu einer lipisenkenden Behandlung bei Kindern ab acht Jahren (bei Risikofaktoren, wie z. B. chronische Nierenerkrankungen, Diabetes mellitus gegebenenfalls auch früher) und bei konsequent durchgeführten drei- bis sechsmonatigen Lebensstil- und Ernährungsmodifikation, wenn ihr LDL-Cholesterol-Wert > 190 mg/dl liegt und ohne eine positive Familienanamnese für vorzeitige kardiovaskuläre Erkrankungen bei Verwandten ersten Grades und keine hoch- oder mäßiggradige Risikofaktoren oder Risikokonditionen vorliegen, LDL-Cholesterol-Wert ≥ 160 mg/dl liegt und eine positive Familienanamnese für vorzeitige kardiovaskuläre Erkrankungen bei Verwandten ersten Grades oder zumindest ein hochgradiger Risikofaktor oder eine Risikokondition oder mindestens zwei mäßiggradige Risikofaktoren oder Risikokondition vorliegt.
Behandlungsziel: LDL ≤ 130 mg/dl
Als Behandlungsziel nennt die Leitlinie, die LDL-Cholesterol-Spiegel unter ≤ 130 mg/dl zu senken. Dabei empfehlen die Autoren bei Kindern und Jugendlichen mit Hypercholesterolämie Statine als „Medikamente der ersten Wahl“, sie seien auch behördlich zugelassen, steht in der Leitlinie [4].
Den beim SCM gehörten Experten sowie der Leitlinie zufolge ist Lauterbachs geplantes Screening auf familiäre Hypercholesterolämie bei Kindern und Jugendlichen sowie eine sich sodann potenziell anschließende Behandlung mit Statinen durchaus medizinisch sinnvoll.
Bei familiärer Hypercholesterolämie: immer Anspruch auf Statine
Derzeit können Ärzte Statine lediglich Patienten verordnen, die ein Risiko von 20% in den nächsten zehn Jahren für ein kardiovaskuläres Ereignis haben, das bedeutet: Ihr Risiko, in der darauffolgenden Dekade beispielsweise einen Herzinfarkt zu erleiden, liegt über 20%. Laut der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) können „die meisten Patientinnen und Patienten eine relative Risikoreduktion kardiovaskulärer Ereignisse von etwa 30% durch Statine erwarten“. Bei einem hohen Ausgangsrisiko von 20% in zehn Jahren entspreche dies einer absoluten Risikoreduktion von 6% durch eine zehnjährige Statin-Therapie [5]. Wichtig ist: Menschen mit familiärer Hypercholsterolämie zählen per se zu Hochriskopatienten und sie haben immer einen Anspruch auf eine Statin-Therapie.
Literatur
[1] Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Herzgesundheit (Gesundes- Herz-Gesetz – GHG). Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit, www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/G/GHG_RefE_bf.pdf
[2] Luirink et al. 20-Year Follow-up of Statins in Children with Familial Hypercholesterolemia. N Engl J Med 2019;381(16):1547-1556
[3] Rapid Reaction vom „Gesundes-Herz-Gesetz“: Verordnung von Statinen soll erleichtert werden. Science Media Center
[4] Diagnostik und Therapie von Hyperlipidämien bei Kindern und Jugendlichen. S2k-Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Stoffwechselstörungen (APS) in der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin e.V., AWMF-Register Nr.: 027-068, Stand: April 2015, www.aerztenetz-bad-berleburg.de/images/S2k-Leitlinie-Hyperlipidaemien-Kinder-Jugendliche.pdf
[5] Medikamentöse Cholesterolsenkung zur Vorbeugung kardiovaskulärer Ereignisse. Leitfaden der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft AkdÄ, 1. Auflage, Version 2.0, Juli 2023
www.akdae.de/fileadmin/user_upload/akdae/Arzneimitteltherapie/LF/PDF/Cholesterolsenkung.pdf
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