Neue Indikation

GLP-1-Agonisten auch für adipöse Typ-1-Diabetiker?

20.06.2024, 07:00 Uhr

Mittel der Wahl bei Typ-1-Diabetikern ist Insulin. Dass auch GLP-1-Agonisten bei adipösen Patienten verschiedene Parameter der Glucosekontrolle verbessern können, zeigte eine amerikanische Arbeitsgruppe. (Foto: Syda Productions / Adobe Stock)

Mittel der Wahl bei Typ-1-Diabetikern ist Insulin. Dass auch GLP-1-Agonisten bei adipösen Patienten verschiedene Parameter der Glucosekontrolle verbessern können, zeigte eine amerikanische Arbeitsgruppe. (Foto: Syda Productions / Adobe Stock)


Glucagon-like-Peptide-1(GLP-1)-Agonisten sind bisher nicht bei Typ-1-Diabetikern indiziert. Dabei belegen die Zahlen, dass auch sie immer häufiger adipös sind. Amerikanische Wissenschaftler zeigten jetzt in zwei Fall-Kontroll-Studien, dass nicht nur Typ-2-Diabetiker, sondern auch adipöse Typ-1-Diabetiker von GLP-1-Agonisten profitieren.

Der Stereotyp vom schlanken Typ-1-Diabetiker gehört bereits länger der Vergangenheit an. Übergewicht und Adipositas sind auch bei diesen Patienten auf dem Vormarsch [1]. Zugleich erreichen viele nicht die HbA1c-Therapieziele – trotz technischer Neuerungen wie Glucosesensoren und Insulin-Pumpen [2]. Während bei Typ-2-Diabetikern die Therapie mit SGLT-2-Hemmern und GLP-1-Agonisten Gewicht und Glucosekontrolle verbessert, sind diese Mittel für Typ-1-Diabetiker nicht zugelassen. Eine Forschungsgruppe der University of Colorado Denver untersuchte jetzt in zwei retrospektiven Fall-Kontroll-Studien, inwieweit Typ-1-Diabetiker auch von diesen Antidiabetika profitieren könnten [3, 4].

Sie analysierten hierzu die Patientendaten des Barbara Davis Center for Diabetes in Aurora, Colorado, und filterten die Einträge all jener Typ-1-Diabetiker heraus, denen je nach Studie für mehr als drei Monate off label Sema­glutid oder Tirzepatid verschrieben wurde. Die Wissenschaftler ordneten den Patienten passende Kontroll­patienten zu, die ihnen in Alter und Diabetesdauer, Geschlecht und BMI ähnelten, die aber keinen GLP-1-Agonist anwendeten. Sie identifizierten insgesamt 50 Patienten, die mit Semaglutid behandelt wurden (42 Jahre, BMI 33,5 kg/m2) und 62, die mit Tirzepatid behandelt wurden (40 Jahre, BMI 35,6 kg/m2).

Verbesserte Glucosekontrolle

Mit Semaglutid verloren die Typ-1-­Diabetiker nach zwölf Monaten 7,6 % ihres Körpergewichts (Kontrolle + 1,1 %; p < 0,0001). Erwartungsgemäß fiel der Gewichtsverlust unter Tirzepatid mit 18,5 % noch deutlicher aus (Kontrolle + 1,2 %; p < 0,0001). Mit der Gewichtsreduktion gingen verbesserte Parameter der Glucosekontrolle einher: Der HbA1c-Wert sank mit Sema­glutid signifikant gegenüber der Baseline (-0,66 ± 0,15 %; p < 0,001), trotzdem war der Wert zu Studienende ähnlich dem der Kontrollgruppe (- 0,4 ± 0,13 %, p = 0,1820). Gemittelt über den gesamten Studienzeitraum verbesserten sich ebenso die Mess­werte der Glucose­sensoren: Die Time in Range, also die Zeit, in der sich der Blutzucker im Zielbereich (70 bis 180 mg/dl) befand, stieg mit Semaglutid um 6,2 % (Sema­glutid 6,2 ± 1,8 %; Kontrolle 0,7 ± 1,9 %, p < 0,0351). Einschränkend sollte aber erwähnt werden, dass die Benefits zum Ende der Studie nachließen und nicht mehr die Schwelle zur Signifikanz erreichten.

Tirzepatid wirkte noch besser: Der HbA1c-Wert sank nachhaltig und lag auch nach zwölf Monaten 0,67 % niedriger als nach Studieneinschluss (Tirzepatid - 0,67 ± 0,56 %; Kontrolle 0,02 ± 0,55 %, p < 0,0041). Bezogen auf die gesamte Studienperiode stieg die Zeit im Zielbereich mit dem dualen Agonisten ebenfalls signifikant, während die Zeit, in der der Blutzucker über der Zielmarke lag, sank. Zur Zwölfmonatsmarke allerdings waren die Unterschiede zur Kontrolle nicht mehr statistisch relevant.

Keine Stoffwechselentgleisung

Die Kombination von Insulin und Antidiabetika vermindert den Insulin-Bedarf und kann die Gefahr von schweren Stoffwechselentgleisungen erhöhen. Während die Patienten unter Semaglutid kein Insulin sparten, reduzierten sie ihren Insulin-Verbrauch unter Tirzepatid deutlich (Tirzepatid - 22,8 ± 19,7 IU; Kontrolle +5,0 ± 16,2 IU; p = 0,0006). Schwere Hypoglyk­ämien oder Ketoazidosen, die eine Hospitalisierung erforderten, wurden in den Studien aber nicht beobachtet. Damit Typ-1-Diabetiker in Zukunft nicht off label mit den GLP-1-Antagonisten behandelt werden müssen, empfehlen die Autoren der Studie, auch mit diesen Patienten randomisierte Studien durchzuführen.

Literatur

[1] DuBose SN et al. Obesity in Youth with Type 1 Diabetes in Germany, Austria, and the United States. J Pediatr 2015;167(3):627-32.e1-4, doi: 10.1016/j.jpeds.2015.05.046

[2] Van Mark G et al. Patient and disease characteristics of adult patients with type 1 diabetes in Germany: an analysis of the DPV and DIVE databases. Ther Adv Endocrinol Metab 2019;10:2042018819830867, doi: 10.1177/2042018819830867

[3] Garg SK et al. Efficacy of Semaglutide in Overweight and Obese Patients with Type 1 Diabetes. Diabetes Technol Ther 2024;26(3):184-189, doi: 10.1089/dia.2023.0490

[4] Garg SK et al. Efficacy and Safety of Tirzepatide in Overweight and Obese Adult Patients with Type 1 Diabetes. Diabetes Technol Ther 2024, doi: 10.1089/dia.2024.0050

 


Dr. Tony Daubitz, Apotheker
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Auch adipöse Typ-1-Diabetiker könnten von den Inkretinmimetika profitieren

Neue Indikation für GLP-1-Agonisten

Verbesserte Funktionsparameter und weniger Symptome bei Diabetikern

Semaglutid punktet bei Herzinsuffizienz

Verbesserte Funktionsparameter und weniger Symptome bei Diabetikern

Semaglutid punktet bei Herzinsuffizienz

Neues Antidiabetikum Kommt im Dezember

Tirzepatid macht Semaglutid Konkurrenz

Erster dualer GLP-1/GIP-Rezeptoragonist

Neues Antidiabetikum Tirzepatid übertrifft Semaglutid

Verträglichkeit der GLP-1-Agonisten auf dem Prüfstand

Sicher abnehmen?

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.