Was ist drin?

Pflanzenöle in Basistherapeutika bei Neurodermitis

07.05.2024, 07:00 Uhr

Mit Nachtkerzenöl kann man sich nicht nur einreiben – es gibt auch Präparate zum Einnehmen. (Foto: Enso / AdobeStock)

Mit Nachtkerzenöl kann man sich nicht nur einreiben – es gibt auch Präparate zum Einnehmen. (Foto: Enso / AdobeStock)


Zur Stärkung der Hautbarriere bei Menschen mit Neurodermitis müssen entsprechende Basispflege-Produkte neben Feuchthaltemitteln auch eine Lipidphase enthalten. Dabei spielen neben Ceramiden auch pflanzliche Öle eine wichtige Rolle. Welche Öle damit gemeint sind und warum entsprechende Produkte häufig mit Nachtkerzenöl beworben werden, lesen Sie hier.

Von reinen Ölprodukten wie Kokosnuss- oder Olivenöl wird bei Neurodermitis zwar ausdrücklich abgeraten, weil so die Haut austrocknen kann [1,2]. Pflanzliche Öle spielen bei der Neurodermitis-Basistherapie aber dennoch eine wichtige Rolle. Die abgelaufene S2k-Leitlinie zum „Gebrauch von Präparationen zur lokalen Anwendung auf der Haut“ (Stand 2017 und seit Oktober 2022 in Überarbeitung) empfiehlt, dass in Basistherapeutika in der Lipidphase Ceramide oder Phospholipide (Lecithine) aus Pflanzenölen zum Einsatz kommen, wie Sojaöl oder „Shea Butter“ [1,2,3].

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Ein Pflanzenöl, das in der Praxis immer wieder vorkommt und beispielsweise von der Apotheken-Kosmetik-Marke Eucerin beworben wird, ist aber auch Nachtkerzensamenöl (Oenothera biennis Oil) [4]. Enthalten ist es etwa in der „Atopi Control Creme“, die zur täglichen Basispflege bei Neurodermitis konzipiert wurde [5]. „Das Nachtkerzensamenöl ist reich an wichtigen Gamma-Linolensäuren, welche eine stark beruhigende und ausgleichende Wirkung auf die (reizempfindliche) Haut haben“, heißt es etwa auch auf der Herstellerseite der Marke Dermasence [6]. Und auch die Marke Avène bewirbt ihr „XeraCalm A.D Rückfettendes Waschstück“ für den Einsatz bei Neurodermitis unter anderem mit Nachtkerzenöl [7]. Die Marke Allergika bietet mit der „Nachtkerzenölcreme 20%“ sogar ein Medizinprodukt zur „Behandlung von trockenen, lokalen Ekzemen an Händen, Armen, Beinen sowie am Körper“ an [8].

Nachtkerzenöl zum Einnehmen?

Die 2018 abgelaufene S2k-Leitlinie zur Neurodermitis widmete im Kapitel der nichtmedikamentösen Therapieverfahren den essenziellen Fettsäuren einen eigenen Abschnitt. Daraus ging hervor, dass Nachtkerzenöl in Studien sowohl zur Supplementierung als auch für die topische Anwendung untersucht wurde. Allerdings hieß es bereits in dieser Leitlinie zur Supplementierung, dass die „beiden größten und methodisch am besten dargestellten Studien zu diesem Thema“ keinen Nutzen von Nachtkerzenöl gegenüber Placebo zeigten. Außerdem hieß es: „Auch gibt es keine Evidenz, die die Applikation von topischen Nachtkerzenöl bei Neurodermitis unterstützt, wobei die Studien alle mit kleinen Kollektiven durchgeführt wurden“ [9].

In der neuen S3-Leitlinie zur Neurodermitis vom Juni 2023 wird Nachtkerzenöl nur an einer Stelle erwähnt [1]: „Oral verabreichte ungesättigte Fettsäuren wie Gammalinolensäure aus Nachtkerzenöl oder Eicosapentaensäure aus Fischölen wurden als wertvolle Inhaltsstoffe untersucht, die die Barrierefunktion verbessern könnten und die Akzeptanz der Patient:innen erhöhen sollen.“ Im Oktober 2023 kam ein Artikel auf dem Portal „Medizin transparent“ von Cochrane Österreich allerdings zu dem abschließenden Urteil: „Nachtkerzenöl [ist] bei Neurodermitis nutzlos.“ Die Einnahme von Kapseln mit Nachtkerzenöl könne Symptome eine Neurodermitis nicht lindern [10]. In der Apotheke sind Nahrungsergänzungsmittel mit Nachtkerzenöl erhältlich

Angenommen, die orale Einnahme ist wirklich nicht zu empfehlen – schmälert das auch den Sinn der topischen Anwendung von Nachtkerzenöl? Wie steht es um den Nutzen anderer pflanzlicher Öle in Kosmetik für Menschen mit Neurodermitis?

Natürliche Öle und ihr Omega-6-Fettsäure-Gehalt 

In einem Positionspapier mit dem Titel „Diagnostik und Therapie der Xerosis cutis“ der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) von 2018 heißt es zur trockenen beziehungsweise hydrolipidarmen Haut: „Bei der Verwendung von natürlichen Ölen in topischen Externa sollte auf einen hohen Gehalt an Omega-6-Fettsäuren (v.a. Linolsäure) geachtet werden. Ein hoher Anteil von einfach ungesättigten Fettsäuren (z.B. Ölsäure) scheint sich eher ungünstig auf die Barrierefunktion der Haut auszuwirken.“

Beim Vergleich der enthaltenen Linolsäure führt in dem Positionspapier das 

  • Nachtkerzenöl (Oenotherap biennis) mit 74-80 % die Reihe an, es folgen
  • (Färber-)Distelöl (Carthamus tinctorius (Safflower)) mit 53,5-83 % und
  • Traubenkernöl (Vitis vinifera Seed Oil) mit 58-78 %,
  • Sonnenblumenöl (Helianthus annuus Oil) mit 48-74 % und
  • Sojaöl (Glycine soya) mit 48-59 % [11].

Die bereits eingangs erwähnte „AtopiControl Creme“ von Eucerin wird beispielsweise sowohl mit Nachtkerzenöl als auch Traubenkernöl beworben [5].

Borretschöl (Borago officinalis) liegt bei 45% Linolsäure, wartet jedoch mit vergleichsweise hohem 18-25% Linolensäure-Gehalt auf. Beispielsweise Mandelöl fällt hingegen mit einem hohen Ölsäure-Gehalt auf [11]. Dass Mandelöl in der Neurodermitis-Therapie dennoch seine Berechtigung hat, zeigt etwa das „Neuroderm Mandelölbad“ von Infectopharm, bei dem es sich sogar um ein apothekenpflichtiges Arzneimittel handelt [12]. 

Mandelöl, Sojaöl, Avocadoöl und Kokosöl sollen eine ähnlich starke Okklusionswirkung wie Paraffinöl aufweisen [11]. Zum Beispiel die „Neuroderm PflegeLotio“ enthält neben anderen Inhaltsstoffen auch Avocadoöl [13]. Humectants wie Glycerin verbessern in Kombination mit rückfettenden, okklusiven Komponenten wie Paraffinöl (oder den oben genannten Ölen) die Hydratation der Haut.

Grundsätzlich gilt auch laut dem Positionspapier zur Xerosis cutis immer die Empfehlung, Öle in Kombination mit rückfeuchtenden Substanzen anzuwenden. Als Fazit kann folgendes Zitat aus dem Positionspapier dienen [11]:


„Die orale Gabe von GLA-reichem [Gammalinolensäure] Nachtkerzen- und Borretschöl zeigte bei Patienten mit Neurodermitis in einer Metaanalyse keinen signifikanten Mehrwert, der alleinige topische Einsatz zeigte nur einen geringen Effekt. In Kombination mit anderen Inhaltsstoffen konnte klinisch eine Verbesserung der Hautparameter erzielt werden – additiv wurde eine Reduktion der Staphylokokkus aureus Besiedelung beobachtet. Hier zeigte auch das Kokosöl aufgrund seines hohen Laurinsäuregehalts einen positiven Effekt.“

Positionspapier: Diagnostik und Therapie der Xerosis cutis, 10. Juli 2018


Literatur

[1] S3-Leitlinie Atopische Dermatitis (AD) [Neurodermitis; atopisches Ekzem], Stand: 16.06.2023, gültig bis 15.06.2028 (in Überarbeitung), register.awmf.org/de/leitlinien/detail/013-027

[2] Moll D. Basispflege bei Neurodermitis – wie man sie an den Inhaltsstoffen erkennt. DAZ.online, 25.07.2023, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2023/07/25/basispflege-bei-neurodermitis-wie-man-sie-an-den-inhaltsstoffen-erkennt

[3] S2k-Leitlinie Gebrauch von Präparationen zur lokalen Anwendung auf der Haut, Stand 01.11.2017, gültig bis 31.10.2022 (in Überarbeitung), register.awmf.org/de/leitlinien/detail/013-092

[4] Webseite von Eucerin: Eucerin Pflegeprodukte und ihre Inhaltsstoffe, Abruf 30.04.2024, www.eucerin.de/unsere-forschung/datenbank-fuer-inhaltsstoffe/evening-primrose-oil

[5] Webseite von Eucerin zum Produkt AtopiControl Creme, Abruf 30.04.2024, www.eucerin.de/produkte/atopicontrol/creme

[6] Webseite von Dermasence zu Nachtkerzensamenöl, Abruf 30.04.2024,  www.dermasence.de/ratgeber/dermasence-wissen/wirkstoff-lexikon/nachtkerzensamenoel#:~:text=Beschreibung,mit%20gelber%20bis%20gr%C3%BCnlicher%20Farbe.

[7] Internetauftritt von Avène zum Produkt XeraCalm A.D Rückfettendes Waschstück, Abruf 30.04.2024, www.eau-thermale-avene.de/p/xeracalm-a-d-rueckfettendes-waschstueck-3282770104684-0c591b54

[8] Internetauftritt der Marke Allergika zum Produkt „ALLERGIKA®-Nachtkerzenölcreme 20% MED 100 ml“, Abruf 30.04.2024, allergika.de/shop/dermatologie/allergika-nachkerzenoelcreme-20-med-100ml/

[9] Abgelaufene Leitlinie Neurodermitis [atopisches Ekzem; atopische Dermatitis] Entwicklungsstufe: S2k, gültig bis Ma 2018, register.awmf.org/assets/guidelines/013-027l_S2k_Neurodermitis_2020-06-abgelaufen.pdf

[10] König T. Nachtkerzenöl bei Neurodermitis nutzlos. Medizin transparent, 23.Oktober 2023, medizin-transparent.at/nachtkerzenoel-neurodermitis/

[11] Augustin M, Wilsmann-Theis D, Körber A et al. Positionspapier: Diagnostik und Therapie der Xerosis cutis. JDDG 2018;16:3-35, doi.org/10.1111/ddg.13580

[12] Internetauftritt von Infectopharm zum Arzneimittel Neuroderm Mandelölbad, Abruf 30.04.2024, www.infectopharm.com/praeparate/neuroderm-mandeloelbad/

[13] Internetauftritt von Infectopharm zum Kosmetikum Neuroderm® PflegeLotio, Abruf 30.04.2024, www.infectopharm.com/praeparate/neuroderm-pflegelotio/


Tatjana Ortinau, Apothekerin
redaktion@daz.online


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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