Gutachten von Verfassungsrechtler Di Fabio

Ende des Präsenzapothekers: Staat würde gegen seine Schutzpflicht verstoßen

Berlin - 24.04.2024, 07:00 Uhr

„Nicht die einfachen Wege gehen!“, das fordert der Verfassungsrechtler Prof. Udo Di Fabio. (Foto: ABDA/Wagenzik)

„Nicht die einfachen Wege gehen!“, das fordert der Verfassungsrechtler Prof. Udo Di Fabio. (Foto: ABDA/Wagenzik)


Darf Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Apotheken ohne Approbierte schaffen? Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Udo Di Fabio äußerte auf dem DAV-Wirtschaftsforum hierzu seine Bedenken: Dem Staat komme mit Blick auf die Apotheken eine besondere Verantwortung zu.

Apotheken ohne Apotheker? Dieses Ziel verfolgt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). In seinen Eckpunkten findet man hierfür – wenn auch noch mit gewissen Einschränkungen – den Grundstein gelegt.

Der ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichtes und Professor für öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Prof. Udo Di Fabio, sieht das kritisch. Er rät Lauterbach „vorsichtig zu sein und nicht die einfachen Wege zu gehen“.

Die ABDA hatte bei ihm ein Gutachten in Auftrag gegeben und wollte aus verfassungsrechtlicher Perspektive klären lassen, ob ein solcher Eingriff in die Berufsfreiheit der Apothekerinnen und Apotheker überhaupt möglich ist. Auf dem Wirtschaftsforum des Deutschen Apothekerverbands (DAV) präsentierte Di Fabio am Dienstag in Potsdam seine diesbezüglichen Überlegungen.

Es sind vor allem zwei Argumente, die er hervorhob. Das eine bezog sich auf Artikel 12 des Grundgesetzes und regelt die Berufsfreiheit. Das andere bezieht sich auf die Schutzpflichtverantwortung des Staates und zielt auf Artikel 2 ab.

Apotheken: „dicht reguliert“ und „staatsnah“

Mit Blick auf die Berufsfreiheit falle auf, dass der Betrieb einer Apotheke durch den Staat sehr „dicht reguliert“ und „intensiv“ in die Erwerbsbedingungen eingegriffen werde. Der Beruf des Apothekers sei daher schon fast als „staatsnah“ zu bezeichnen, was auf der anderen Seite aber laut di Fabio auch bedeutet, dass dem Staat hier eine besondere Verantwortung zufalle.

Wolle der Gesetzgeber nun dadurch, dass er die Präsenz von Apothekerinnen oder Apothekern ausdünne das Leitbild des Berufsstandes verändern, – „er darf das,“ so Di Fabio -  dann brauche es dazu legitime Gründe, die durch die Sorge um das Gemeinwohl gegeben sein können. Der Bundesgesundheitsminister strenge in diesem Zusammenhang eben das Argument an, dass durch Apotheken ohne Approbierte die Arzneimittelversorgung in der Fläche sichergestellt werden könne. Aus verfassungsrechtlicher Sicht müsse man nun fragen, ob diese Maßnahme auch geeignet sei, das Ziel zu erreichen, erläutert der Jurist.

Gefährliche Dynamik

Aber was passiert nun, wenn man das Präsenzprinzip ausdünnt? Verbunden damit sei die Idee, dass dadurch Personalkosten gesenkt werden können. Das würde aber dem ehemaligen Richter zufolge eine Dynamik in Gang setzen, denn wer eine Apotheke ohne Approbierte betreibe, der habe auch einen Wettbewerbsvorteil. Di Fabio spricht daher von einem „intensiven Eingriff“, weil „am Ende des Tages nichts mehr vom Präsenzapotheker übrigbleibt“.

Man müsste sich in diesem Zusammenhang also fragen, ob der Eingriff auch verhältnismäßig sei, ob er „erforderlich“ sei. Anders: „Hat der Gesetzgeber vielleicht auch andere Möglichkeiten, die weniger intensiv in das Grundrecht der Apotheker eingreifen und eine gleiche Eignung haben?“

Eine Frage der Rentabilität

Der ehemalige Richter des Verfassungsgerichts hat hier seine Zweifel. Er findet, dass dem Staat wegen seines intensiven Eingreifens in die Erwerbsbedingungen der Apotheken auch eine besondere Verantwortung zukommt. Der Grund für das Apothekensterben und die Gefährdung der Arzneimittelversorgung liege eben in der Frage der Rentabilität einer Apotheke.

Sein Fazit an dieser Stelle: Der Staat will ein hohes Maß an Arzneimittelsicherheit und hat deswegen das Abgabemonopol der Apotheker geschaffen. Er will dieses hohe Schutzniveau gesichert wissen durch hochqualifiziertes Personal und andere Anforderungen an die Bedingungen des Betriebs einer Apotheke. Daher muss er an dieser Stelle für die Folgen „innerhalb seiner Gestaltungsmöglichkeiten“ aufkommen. Die Forderungen der Apothekerschaft nach mehr Honorar seien nicht einfach eine „Lobbyistenforderung“, sie ergebe sich auch verfassungsrechtlich aus dem staatlichen Regulierungsansatz.

Der Staat und seine „Schutzpflicht“

Sein zweiter Prüfungsansatz, der Bezug auf Artikel 2, Absatz 2 und die Frage des Rechtes auf körperliche Unversehrtheit, „untermauere“ den ersten Teil seiner Argumentation, so Di Fabio. Denn der Staat habe eine „Schutzpflicht“. Er müsse für eine „funktionierende gesundheitliche Infrastruktur“ sorgen und dazu gehöre eben die Gesamtkontrolle des Arzneimittelmarktes.

Verfassungsrechtlich stelle sich hier daher die Frage, ob der Staat mit der Ausdünnung der Apothekerpräsenz seine Schutzpflicht unterschreite. Wenn der Gesetzgeber von einem jahrzehnlang bewährten System abrücke, dann brauche er gute – vor allem auch empirische – Gründe.

Gesellschaft braucht mehr Beratung – nicht weniger

Für Di Fabio ist in diesem Zusammenhang aber klar: Die Gesellschaft braucht  in seinen Augen jetzt und in Zukunft noch sehr viel mehr die persönliche Beratung durch Apothekerinnen und Apotheker. Er verweist hier zum einen auf die alternde Bevölkerung. Zudem gebe es aber auch durch das Internet eine „gesteigerte Kontingenz“. Man sei daher auf mehr Information angewiesen, die Apothekerin oder der Apotheker aber haben genau dieses nötige Fachwissen.

Der Gesetzgeber müsste also erklären, warum er eben an dieser Stelle das Schutzniveau herabsenken will. Dies gelte umso mehr, als dass die Kosten für die Arzneimittelversorgung durch Apothekerinnen und Apotheker im Vergleich zu anderen Kosten im Gesundheitssystem niedrig seien. Für Di Fabio ist daher klar: Der Staat würde gegen seine Schutzpflicht verstoßen, wenn er kein adäquates alternatives Angebot vorlege – und das sehe er zum jetzigen Zeitpunkt nicht.

Schluss „mit der Flickschusterei“ 

Zum Abschluss seines Vortrages forderte der ehemalige Verfassungsrichter, dass die Politik „mit der Flickschusterei“ aufhören solle. Sie müsse „das Ganze“ in den Blick nehmen und in einer „folgerichtigen Weise regulieren“. Mit dem Vorschlag der Apotheken ohne apothekerliche Präsenz sei dies nicht gegeben.


Matthias Köhler, DAZ-Redakteur
redaktion@daz.online


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