Flächendeckende Versorgung

Ist die Landapotheke ein Mythos?

22.04.2024, 17:50 Uhr

Vielen Landapotheken droht die Schließung, weil sich keine Nachfolger für die Inhaber finden. (Foto: IMAGO / Funke Foto Services) 

Vielen Landapotheken droht die Schließung, weil sich keine Nachfolger für die Inhaber finden. (Foto: IMAGO / Funke Foto Services) 


Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) begründet seine geplante Apotheken­reform mit Blick auf die Landapotheken, und auch die ABDA argumentiert gerne mit der flächendeckenden Versorgung. Der Landapotheker und schleswig-holsteinische Kammerpräsident Dr. Kai Christiansen sagt allerdings: „Landapotheken finden bei der ABDA nicht statt.“ Außerdem bemängelt er, dass nicht digital-affine Kundinnen und Kunden auf dem Land beim E-Rezept vergessen wurden. Zugleich zeigt eine Studie, dass in Baden-Württemberg weniger Landapotheken als andere Apotheken geschlossen wurden. Wie passt das zusammen? 

Beim Thema Versorgungssicherheit richtet sich der erste Blick meist auf Landapotheken. Daher möchte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit seiner Apothekenreform Landapotheken stärken, so jedenfalls die erklärte Absicht – um die Tücken dieses Plans soll es hier nicht gehen. Zugleich verweist die ABDA angesichts sinkender Apothekenzahlen besonders auf drohende Versorgungslücken auf dem Land.

Doch obwohl die „große“ Politik und die Berufspolitik so gerne mit dem „Mythos“ Landapotheke argumentieren, hat weder das Bundesgesundheitsministerium noch die ABDA bisher eine systematische bundesweite Bestandsaufnahme über mögliche Versorgungslücken geliefert oder differenziert ausgewiesen, in welchen Lagen Apotheken tatsächlich geschlossen wurden.

Solitärapotheken unter Beobachtung

Eine ausführliche Betrachtung zu Apotheken in Alleinlagen haben May, Bauer und Dettling 2017 in ihrem Gutachten zum Versandhandelsverbot vorgelegt [1]. Im Juni 2017 haben sie 1711 Apotheken in Deutschland identifiziert, die mindestens fünf Kilometer von der nächsten Apotheke entfernt liegen, und „weniger als 130 Apotheken“ mit einer Alleinstellung in einem Radius von zehn Kilometern. Dabei ist die damalige Apothekenanzahl zu bedenken, Ende 2017 waren es bundesweit 19.748. Darunter waren also 8,7 Prozent „Solitärapotheken“ im Sinne dieses Gutachtens. In­zwischen dürften einige davon geschlossen worden sein, während andere durch die Schließung von Nachbarapotheken zu Solitärapotheken geworden sind.

Natürlich verdienen Solitärapotheken besondere Aufmerksamkeit, weil ihr Wegfall die Wege der bisher versorgten Personen zur nächsten Apotheke zwangsläufig verlängern würde. Zugleich zeigen die Zahlen, dass diese Apotheken eine eher kleine Gruppe darstellen. Darauf bauen viele Ideen auf, diese Apotheken durch gezielte Subventionen oder gar durch Umverteilung von anderen Apotheken zu stärken. Hier drängt sich der Gedanke auf, mit überschaubaren Mitteln viel für die Versorgungssicherheit zu erreichen.

Netz funktionsfähig, aber fragil

Eine interessante Ergänzung liefert eine Untersuchung der Sächsischen Landesapothekerkammer von 2022 (siehe DAZ.online vom 7.4.2022). Demnach bestanden (bei insgesamt 924 Apotheken am Jahresende) 2022 in Sachsen 133 Apotheken, die allein ein Postzahlgebiet versorgen. Davon waren 71 Apotheken mehr als vier Kilometer von der nächsten Apotheke entfernt. Damit deutet sich an, dass die Versorgung an diesen Standorten zwar funktioniert, allerdings von nur einer Apotheke abhängt und damit langfristig fragil ist.

Dies ist auch die Konsequenz aus einer Studie des Instituts für Handelsforschung (IfH) in Köln für Nordrhein-Westfalen (siehe DAZ.online vom 4.7.2023). Dabei wurde in einer Umfrage ermittelt, dass 91 Prozent der Befragten ein dichtes Apothekennetz als Grundlage für eine zuverlässige Versorgung mit Arzneimitteln ansehen. Zugleich wurde festgestellt, dass es in NRW 2022 keine Gemeinde ohne Apotheke gab. Allerdings gab es 2012 noch 27 Gemeinden mit nur einer Apotheke, und 2022 waren es bereits 41. Bei der Präsentation der Studie erklärte ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening, auf diesen Apotheken laste ein besonderer Versorgungsdruck. Sie fasste es so zusammen: „Wenn das Netz bricht, werden wir es nicht flicken können.“

Welche Apotheken schließen?

Doch bleibt zu fragen, welche Apotheken von Schließungen bedroht sind. Es gibt immer wieder Meldungen über Apotheken, die als einzige in einem Dorf oder Ortsteil schließen, und vermutlich kennen alle Beobachter der Apothekenlandschaft solche Beispiele. Eine Studie dazu haben Knobloch und Schröder von der Universität Duisburg-Essen kürzlich in der DAZ vorgestellt (siehe DAZ 2024, Nr. 14, S. 66 ff.). Sie haben die Apothekenschließungen im Jahr 2023 in Baden-Württemberg untersucht. Die kurzfristige Betrachtung führt zwar zu einer eher kleinen Stichprobe im Vergleich zur Gesamtzahl aller Apothekenschließungen, bietet dafür aber einen umso besseren Blick auf die jüngste Zeit. Obwohl die Apothekerkammer Baden-Württemberg für 2023 einen Rückgang der Apothekenzahl um 88 ausgewiesen hat, haben Knobloch und Schröder 112 Schließungen betrachtet. Die Erhebungsweise über Google-Unternehmensprofile lässt vermuten, dass dabei auch einzelne Verlegungen erfasst wurden. Doch auch eine Verlegung kann ein Indiz für ein Problem am Standort sein.

Neue Zahlen aus drei Ländern

Immer weniger Apotheken

Gemäß der Untersuchung liegen 9,8 Prozent der betrachteten geschlossenen Apotheken in ländlichen Gemeinden, was zugleich für 11,6 Prozent der verbliebenen Apotheken gilt. Außerdem wurden 5,6 Prozent der verbliebenen Apotheken als Solitärapotheken mit einem Abstand zur nächsten Apotheke von mindestens fünf Kilometern ermittelt, also ein deutlich kleinerer Anteil als 2017 bundesweit gefunden wurde. Demgegenüber waren nur 3,6 Prozent der geschlossenen Apotheken solche Solitäre. Eine deutliche Häufung von Schließungen fanden Knobloch und Schröder in der Abstandsgrößenklasse von 250 bis 500 Metern zur nächsten Apotheke. In diese Klasse gehören 17,9 Prozent der verbliebenen, aber 28,6 Prozent der geschlossenen Apotheken. Die Autoren folgern, dass die geschlossenen Apotheken eher in dichter besiedelten Gebieten lagen und eine höhere Anzahl Nachbarapotheken hatten.

Schließungen kein spezielles Landapothekenproblem

Soweit diese Studie – wie lassen sich diese Ergebnisse betriebswirtschaftlich interpretieren? Offenbar ist der Wettbewerb zu benachbarten Apotheken ein belastender Faktor für Apotheken in einer wirtschaftlich angespannten Lage. Das erscheint plausibel angesichts des Wettbewerbs um OTC-Preise und Öffnungszeiten. Eine Landapotheke in Alleinlage kann sich eher erlauben, Öffnungszeiten zu verringern und damit Personalkosten zu sparen. Außerdem sind die Mieten auf dem Land meist niedriger. Insofern kann eine ländliche Alleinlage Kosten sparen und durchaus einen gewissen Schutz für die Apotheke bieten.

Doch hier ist vor drei Fehlschlüssen zu warnen. Erstens beziehen sich die Daten auf 2023. Es bleibt offen, ob neue Belastungen für Landapotheken entstehen, und es wurde nicht untersucht, wie stabil das Netz beim Wegfall einzelner Apotheken ist. Zweitens ist die Erkenntnis, dass Landapotheken in Alleinlagen im Jahr 2023 in Baden-Württemberg seltener als andere Apotheken geschlossen wurden, nur eine relative Aussage. Natürlich schließen auch Landapotheken. Die Konsequenz ist nur, dass das Apothekensterben kein spezielles Landapothekenproblem ist. Wenn allerdings eine Apotheke in Alleinlage schließt, gibt es unmittelbare Folgen für die Bevölkerung. Die Studie zu Baden-Württemberg betrachtet nur Korrelationen zu möglichen Ursachen, aber nicht die Folgen von Schließungen. Darum bedeutet die Studie keine Entwarnung. Drittens hat auch die Schließung von Apotheken in eher enger Nachbarschaft zu anderen Folgen für die Versorgung. Es geht dann nicht um längere Wege, sondern um die Ausdünnung der Versorgungskapazität, wenn mehrere Apotheken wegfallen. Das ist schwerer fassbar, aber auch dieses Apothekensterben ist relevant.

Versorgung muss auch in Städten angemessen sein

Der letztgenannte Punkt wurde bereits ausführlich in der DAZ dargestellt (siehe DAZ 2023, Nr. 12, S. 16 ff.). Bei einer Definition der ordnungsgemäßen Versorgung müssen demnach zwei Aspekte unterschieden werden, erstens die Erreichbarkeit einer Apotheke von jedem Ort aus und zweitens das Funktionieren des Systems.

Das kann als Mikro- und Makroperspektive betrachtet werden. Erstere erfordert ein gewisses Netz von Apotheken auch in dünn besiedelten Gebieten. Welche Entfernung als zumutbar gilt, ist eine gesellschaftliche Frage. Die Makroperspektive betrifft eher dicht besiedelte städtische Regionen. Auch dort kann die Erreichbarkeit in sozial schwachen Stadtteilen ein Problem sein. Doch es geht dort um mehr. Denn eine gewisse Anzahl von Apotheken ist nötig, um die vielen Menschen zu versorgen. Außerdem können fachliche Spezialisierung, Wettbewerb und individuelle Apothekenwahl nur funktionieren, wenn die Patienten eine Auswahl an Apotheken haben. Dabei kommt es zwar nicht auf jede einzelne Apotheke an, aber auf eine gewisse Dichte. Der Rückgang der Apothekenzahl betrifft also Land- und Stadtapotheken, aber auf unterschiedliche Weise.

Landapotheken: häufig mehr Mühe mit dem E-Rezept

Zu den besonderen Anforderungen der Landapotheken hat die DAZ mit Dr. Kai Christiansen gesprochen. Er ist als Präsident der Apothekerkammer Schleswig-Holstein unter den hochrangigen Berufspolitikern der Apotheker wahrscheinlich derjenige mit dem engsten Bezug zur ländlichen Versorgung. Denn Christiansen versorgt mit zwei Apotheken in Steinbergkirche und Gelting ein sehr großes ländliches Einzugsgebiet südlich der Flensburger Förde. Er sieht die Landapotheken nicht in einer besseren Position – oder jedenfalls nicht mehr. Denn besonders das E-Rezept treffe gerade in jüngster Zeit die Landapotheken sehr. Zugleich vermisst er das nötige Bewusstsein auch in der Berufspolitik. Christiansen beschreibt das so: „Landapotheken finden bei der ABDA nicht statt.“ Nötig sei insbesondere ein Verständnis für den Botendienst, der für viele Landapotheken ein wesentlicher Teil ihrer Arbeit ist und den Christiansen als pharmazeutisch anspruchsvolle Versorgung bewertet. Denn anders als beim Versand seien die Patienten persönlich bekannt und im Vergleich zur Offizin stehe mehr Zeit zur Verfügung, um Fragen zu klären und Rücksprache mit dem Arzt zu halten. Doch das E-Rezept habe Probleme geschaffen. Die Verzögerungen der Übermittlung wegen der Signatur belasten auch städtische Apotheken. Doch die in Städten hilfreiche Übermittlung über die elektronische Gesundheitskarte sei auf dem Land „ein Graus“, weil der Arzt oft nicht im gleichen Ort wie die Apotheke ist. Die Gematik-App oder künftige andere Apps seien auch keine Angebote für ältere, nicht digital-affine Patienten. An diese sei beim E-Rezept nicht gedacht worden, beklagt Christiansen.

DAZ
Schleswig-Holsteins Kammerpräsident Dr. Kai Christiansen.

Er fordert eine klare und rechtssichere Lösung für die Übermittlung, die den Patientenwillen in den Mittelpunkt stellt. Dafür schlägt Christiansen einen Ansatz wie früher beim Hausapothekenmodell in Schleswig-Holstein vor. Dabei konnte sich der Patient für die Versorgung aus einer Apotheke entscheiden und dem Arzt dazu ein Formular vorlegen. Christiansen betont, dass dabei die Entscheidung in der Apotheke fällt und der Arzt von dem Verdacht befreit ist, den Patienten zu beeinflussen. So sollten E-Rezepte praktikabel vom Arzt an die Apotheke übermittelt werden können, anstatt Karten hin und her zu fahren oder mit ausgedruckten Token zu arbeiten.

Lieber weniger Notdienste als gar keine Apotheke

Neben den neuen Schwierigkeiten mit dem E-Rezept gibt es schon lange die besonderen Herausforderungen durch den Notdienst, der in Regionen mit wenigen Apotheken häufiger zu leisten ist. Bei der Nachfolgersuche ist dies ein wesentlicher Aspekt. Wenn es städtische Apotheken mit eher wenigen Notdiensten als Alternative gibt, droht ländlichen Apotheken die Schließung, weil sich kein Nachfolger findet. Schleswig-Holstein hat darauf schon früh reagiert und 2015 die geodatenbasierte Notdienstverteilung eingeführt, die Notdienste gleichmäßiger verteilt als ein System mit starren Kreisen. In Schleswig-Holstein wurden die Parameter im Juni 2020 nachjustiert. Dabei wurde festgelegt, dass keine Apotheke mehr als 39 Notdienste pro Jahr leistet. Das sind bereits weniger als in manchen anderen Bundesländern, aber in Schleswig-Holstein soll diese Entwicklung weitergehen. Christiansen berichtete der DAZ, dass es bereits die Idee gebe, die maximale Zahl der Notdienste pro Apotheke dort weiter zu senken.

Für ihn steht die Erhaltung der Apotheken im Mittelpunkt nach dem Motto: lieber eine Apo­theke mit weniger Notdiensten als gar keine Apotheke. Dabei liegt nahe, dass die großen Probleme bei den Landapotheken erst noch bevorstehen. Denn mit dem Ruhestand der geburtenstarken Jahrgänge stehen demnächst mehr Betriebsübergaben an als in den vorigen Jahren. Da könnten Landapotheken im Nachteil sein.

Apothekendichte historisch eingespielt

Besonders angesichts der aktuellen Studie über die Apotheken in Baden-Württemberg sollten auch städtische Apotheken aus der Versorgungsperspektive betrachtet werden. Wie schon erwähnt, kann der wesentliche Maßstab hier nicht die Erreichbarkeit sein. Doch während es schon schwierig ist, eine angemessene Höchstentfernung auf dem Land zu definieren, dürfte das „richtige“ Maß für die nötige Auswahl an Apotheken in der Stadt noch schwieriger zu finden sein. Der pharmazeutische Fortschritt und die daraus folgende Spezialisierung lassen sogar erwarten, dass künftig eine differenziertere Apothekenlandschaft nötig ist – und damit eher mehr Apotheken. Doch es gibt offenbar keine eindeutige Formel für die „richtige“ Apothekendichte. Zwischen den EU-Staaten bestehen große Unterschiede. Formelle Regeln, Versorgungs­gewohnheiten, Wettbewerbsbedingungen und gewachsene Apothekengrößen führen in verschiedenen Ländern zu unterschiedlichen Gleichgewichten, die sich nur eingeschränkt auf andere Länder übertragen lassen. Dabei fällt allerdings auf, dass geringere Apothekendichten als in Deutschland innerhalb der EU fast nur in Österreich, Skandinavien und den Niederlanden anzutreffen sind (siehe ABDA: Apothekenwirtschaftsbericht 2023).

In Österreich haben in ländlichen Gebieten viele Ärzte Dispensierrecht, und die Apotheken liegen eher in städtischen Gebieten. Dort werden neue Apotheken nur zugelassen, wenn die umliegenden Apotheken weiterhin mindestens 5500 Einwohner versorgen (siehe DAZ 2023, Nr. 12, S. 16 ff.). In den Niederlanden und Dänemark sind viele OTC-Arzneimittel außerhalb von Apotheken erhältlich. In Schweden und Finnland gibt es aufgrund der dünnen Besiedlung und der großen Distanzen ganz andere Versorgungsgewohnheiten als hierzulande. Das alles hat sich über lange Zeit so entwickelt.

Die Versorgung mit weniger Apotheken ist nicht billiger

Doch sollte nicht angenommen werden, dass mit der Reduktion der Apothekenzahl auf ein anderswo akzeptiertes Maß hierzulande gespart werden könnte. Denn für eine Versorgung mit weniger Apotheken müssen diese sehr groß sein. Diese Vergrößerung kostet aber zunächst einmal viel Geld – und ob das Ergebnis dann zu den übrigen gewachsenen Strukturen passt, ist zweifelhaft. Entscheidend dabei ist der Effekt der sprung-fixen Kosten (siehe DAZ 2023, Nr. 5, S. 20 ff.). Die Kosten für die Apothekeninfrastruktur stehen in gewissen Grenzen fest. Dann wirkt ein größerer Geschäftsumfang über die Fixkostendegression entlastend.

Wenn aber der Geschäftsumfang erheblich steigt, muss die Infrastruktur erweitert werden. Nachdem schon so viele Apotheken geschlossen haben, stehen viele verbliebene Apotheken an dieser Schwelle. Eine Erweiterung führt dann zu hohen Kosten. Bei Stadtapotheken ist das eher ein Umbau mit zusätzlichen HV-Arbeitsplätzen, bei Landapotheken eher ein zusätzliches Botenfahrzeug und ein Backoffice-­Arbeitsplatz. Doch das Prinzip ist in beiden Fällen gleich. Der Weg zu einem neuen Gleichgewicht ist teuer, und es ist zu fragen, wozu das gut sein soll.

Apothekendichte ist politisch relevant

Auch wenn bei Vergleichen der Apothekendichte mit anderen Ländern Vorsicht geboten ist, fällt beim Blick auf Deutschland auf, wie sehr die Apothekendichte im Zeitverlauf abnimmt. Sie betrug 1990 in den westdeutschen Bundesländern 28,3 pro 100.000 Einwohner. Ende 2022 waren es dort nur noch 21,4 (siehe ABDA: Apothekenwirtschaftsbericht 2023). Bei einem EU-Durchschnitt von 32 Apotheken pro 100.000 Einwohner ist dies auffällig. Da die Apothekenzahl nun auch noch schneller sinkt als je zuvor und dies eine prinzipiell versorgungsrelevante Größe ist, muss sich die Politik hier positionieren.

Wenn die Zahlen abwärts gehen, kann dies nicht nur „dem Markt“ überlassen werden. Die Politik muss zumindest Orientierungswerte dafür geben, wie eine gute und krisenfeste Versorgung mit angemessenen Sicherheitspuffern für Sondersituationen aussehen sollte – und darüber sollte offen diskutiert werden. Dabei sind Mindestbedingungen für dünn besiedelte Räume und Idealbedingungen für städtische Räume zu unterscheiden. Nur mit einem definierten Ziel lässt sich feststellen, ob und wo ein Problem besteht. Dann zeigt sich, in welchen Einzelfällen staatliche Hilfen für gefährdete ländliche Standorte zu rechtfertigen oder sogar notwendig sind. Doch das Schließungsproblem ist kein spezielles Landapothekenproblem. Wenn sich die Apothekenzahl insgesamt gewissermaßen im freien Fall befindet, muss der Staat darauf nicht nur auf dem Land reagieren.

Einfache Formeln funktionieren nicht

Außerdem zeigt sich hier, wie unterschiedlich manche Themen auf dem Land und in der Stadt zu sehen sind. Die Schließungsdebatte darf nicht auf ländliche Regionen verengt werden. Die einfache Formel „Landapotheken retten – Versorgung ist gesichert“ funktioniert so nicht. Ein besonderes politisches Augenmerk auf Landapotheken ist dennoch gerechtfertigt, weil auf dem Land jede einzelne Schließung größere unmittelbare Folgen hat. Zugleich gibt es dort andere Probleme und damit auch andere Verbesserungsansätze, wie die beschriebenen Erfahrungen mit dem E-Rezept zeigen. Insgesamt haben sich die Landapotheken bisher als vergleichsweise stabil in dieser Zeit der Apothekenschließungen erwiesen. Doch es gibt keine Garantie, dass sie auch in Zukunft so stabil bleiben.

Ergebnisse einer geodatenbasierten Analyse der Apothekendichte in Deutschland

Zu wenige und zu viele Apotheken?

Noventi-vorstände an der Seite der Apotheken

„Das Apothekensterben muss gestoppt werden!“

Die bisher bekannten Eckpunkte zur geplanten Apothekenreform lassen keine wesentliche Entlastung erkennen. Insbesondere die Verschiebung vom prozentualen zum festen Honorar böte keinen Vorteil, weil auch Landapotheken Hochpreiser abgeben und langfristig unter der weiteren Abkopplung von der Preisentwicklung leiden würden. Eine wirksame Unterstützung für die Apotheken bleibt damit überfällig – in der Stadt und auf dem Land.

Literatur

[1] May, Bauer, Dettling: Versandverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 2017


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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5 Kommentare

Wie definiert man "Landapotheke" oder "Solitärapotheke"

von Andreas Grünebaum am 22.04.2024 um 18:40 Uhr

Ein schwieriges Beispiel aus der eigenen Erfahrung, warum man Landapotheke und Solitärapotheken kaum sinnvoll per Definition trennen kann:
In einem ländlichen Bezirk gibt es häufig eine mittelgroße Gemeinde mit mehreren Arztpraxen. Die Ärzte versorgen nicht nur die Patienten im Ort, sondern auch solche aus den in unmittelbarer Umgebung gelegenen kleinen- und Kleinstortschaften. Die nächste Apotheke in einem benachbarten Ort liegt vielleicht 10 km entfernt und die Notdienste sind einmal die Woche oder vielleicht nach Neuregelung alle 10 - 14 Tage. Man könnte dies eine "Landapotheke" nennen.
Was aber, wenn es in der gleichen Gemeinde mit den Ärzten eine oder sogar zwei weitere Apotheken gibt, welche ebenfalls die umliegenden Gemeinden mit versorgen? Das sind nun keine Solitärapotheken mehr, sehr wohl aber immer noch "Landapotheken". Wäre nun eine gut gehende Solitärapotheke mehr Schutzbedürftig, als eine mit Konkurrenten im gleichen Ort? Die selbe Frage sollte man sich in den Städten und Großstädten stellen. Hier macht der Abstand zur Kirchturmspitze oder zum Konkurrenten schon gar keinen Unterschied mehr - warum ist eine Apotheke im Ortsteil oder Fachmarktzentrum mehr oder weniger Wert, als eine im Zentrum?

» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten

AW: Wie definiert man "Landapotheke&

von Roland Mückschel am 22.04.2024 um 19:34 Uhr

Herr Shorafix, ich habe von ihnen noch nie einen Kommentar gelesen indem sie die Landapotheken nicht in Frage gestellt haben.
Sagen wir so: es ist ein Einzugsgebiet mit apothekenüblicher Einwohnerzahl da welche plötzlich verwaist. 10 km bis zur nächsten Apotheke.
Das ist dann ein großes Problem. Da helfen ihre Bonbons auch nicht weiter.

AW: Apotheke weg - 10 km bis zur nächsten Apotheke?

von shorafix am 22.04.2024 um 20:17 Uhr

@R.Mücjel: wo ist das Problem des Wegfalls einer Apotheke ohne nennenswertes Einzugsgebiet und ohne Ärzte im Ort, wenn die nächstgelegene Apotheke 10km entfernt in der zentral gelegenen Gemeinde mit den Ärzten die Versorgung direkt oder auch durch Boten übernimmt? Oft gibt es dort sogar mehr als eine Apotheke, womit der Wettbewerb z.B. auch bezüglich des Warenlagers bestehen bleibt. Das einzige was bleibt, ist der Abstand zur nächsten dienstbereiten Apotheke in der Nacht oder am Wochenende - aber ja, auch die Ärzte sind dann schon lange nicht mehr in 10km Entfernung zu finden!

Alleinversorgende Solitär-Landapotheken

von Roland Mückschel am 22.04.2024 um 18:33 Uhr

Lassen wir hier mal den ganzen Nebel weg.

Wenn da die Apo verschwindet ist keine mehr da

Alle verstanden?

Darum ist eine spezielle Förderung mehr als nützlich
und gerechtfertigt.

Alles andere ist nur Ablenkung.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Alleinversorgende Solitär-Landapotheken

von Andreas Grünebaum am 22.04.2024 um 19:20 Uhr

Wer definiert denn diese "Alleinversorgende Solitär-Landaptheken"? Der große Denker und Lenker im BMG? Es ist durchaus legitim zu hinterfragen, warum eine Apotheke in einem kleinen Ort mit weniger Bevölkerung, als es eine Apotheke alleine sichern könnte subventioniert werden sollte, wenn die Arztpraxen, Bäcker und Metzger bis auf wenige Zweigbetriebe weggezogen sind? Es gibt bereits Gemeinden, die ihre eigene Wasserversorgung und Kanalisation nicht mehr ohne Subventionen stemmen können. Sterben dort die Alten und Kranken, weil Sie mangels Nahversorgung in Rollatorennähe verhungern und verdursten müssen? Ich denke schon, dass Sie verstehen, wie die Versorgung schon heute in solchen Gemeinden auch ohne AM-Versand problemlos funktioniert!

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