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Müller-Bohn, T. Die Honorarfrage: sein oder nicht sein
Die Unterfinanzierung ist das zentrale Problem der Apotheken. Mehr Geld ist entscheidend für den Fortbestand des Systems. Berechnungen anhand der Preisentwicklung und zur Verwendung zusätzlicher Mittel führen übereinstimmend zu einem vorläufigen Finanzbedarf von etwa 2,8 Milliarden Euro pro Jahr. DAZ-Autor Thomas Müller-Bohn verknüpft in seiner Analyse die Hintergründe und Konsequenzen zu einer Synopse, die als Argumentationshilfe dienen soll. Die vollständige Analyse können Sie in der DAZ 2023, Nr. 48, lesen.
Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat einige Pläne für die Apotheken recht konkret benannt, spätere Maßnahmen zum Honorar aber nur angedeutet. Die Aufmerksamkeit hat sich daher auf den ersten Teil gerichtet – auch in zwei Analysen in der DAZ (siehe DAZ 2023, Nr. 44 und 45). Den Apotheken drohen daraus große neue Gefahren, aber dies lenkt vom Hauptproblem ab – der Unterfinanzierung. Dagegen kann nur mehr Geld helfen. Die Ursache für das Problem wurde schon vielfach ausgeführt. Eine Honorierung, die zum weitaus größten Teil auf einem festen Betrag beruht, muss an steigende Kosten angepasst werden. Das Kombimodell wurde 2004 ausdrücklich eingeführt, damit Apotheken an absehbaren Preiserhöhungen von Arzneimitteln nicht zu sehr mitverdienen. Dem Festbetrag fehlt das immanente Wachstum. Darum muss er regelmäßig angepasst werden. Der Gesetzgeber schreibt in § 78 Abs. 2 AMG vor: „Die Preise und Preisspannen müssen den berechtigten Interessen der Arzneimittelverbraucher, der Apotheken und des Großhandels Rechnung tragen“. Dazu bietet er in § 78 Abs. 1 Satz 2 AMG eine vereinfachte Anpassungsmöglichkeit, aber keine verbindliche Systematik. Die ungelöste Methodenfrage ändert aber nichts an der obigen zwingenden Vorgabe.
Die Folgen der fehlenden Anpassung lassen sich verzögert an der sinkenden Zahl der Apotheken ablesen. Diese erreichte 2008 mit 21.602 ihr Maximum (höchster Jahresendwert) und ging bis Ende Juni 2023 auf 17.830 zurück, also bis dahin um 17,5 Prozent. Das System ist in 20 Jahren ohne angemessene Anpassung allerdings nicht zusammengebrochen. Denn viele Inhaber betreiben Selbstausbeutung, insbesondere wenn sie durch Mietverträge gebunden sind oder für sich keine berufliche Alternative (mehr) sehen. Außerdem verdienen die Angestellten in Apotheken inzwischen deutlich weniger als in den meisten vergleichbaren Berufen. Gehaltsvergleiche dürften geeignet sein, um politischen Gesprächspartnern die Dimension des Problems zu verdeutlichen. Weitere Gründe für das Fortbestehen des Systems waren lange die Null-Zinsen und die stabilen Preise. Doch beides ist inzwischen weggefallen.
Die Rückkehr von Zinsen und Inflation fällt zeitlich mit der verstärkten Wirkung des demografischen Effektes zusammen. Geburtenstarke Jahrgänge gehen in Rente, und die nachrückenden kleineren Jahrgänge haben so viele Möglichkeiten, dass sie bevorzugt besser bezahlte Berufe wählen. Ein drittes Problem ergibt sich jetzt aus der großen Zahl der bereits geschlossenen Apotheken. Zunächst konnten die verbleibenden Apotheken auch die Kunden geschlossener Nachbarapotheken versorgen und haben dabei sogar von der Fixkostendegression profitiert, das heißt die fixen Kosten verteilen sich auf mehr Kunden. Da die persönliche Beratung den größten Kostenfaktor in Apotheken bildet, darf dieser Effekt nicht überschätzt werden, aber er existiert. Doch kein System kann ohne Erweiterungsmaßnahmen beliebig viel mehr Nachfrage bewältigen. Inzwischen haben viele Apotheken ihre Kapazitätsgrenze erreicht. Die vermeintlich fixen Kosten erweisen sich als sprungfixe Kosten. Nun müssen die Betriebe erweitert werden, wodurch die Kosten steigen (siehe DAZ 2023, Nr. 5).
Inflation, demografischer Wandel und das Erreichen der Kapazitätsgrenze sind drei Gründe, weshalb der Anpassungsbedarf gerade jetzt dramatisch zunimmt. Neben diesen theoretischen Begründungen lässt sich auch empirisch feststellen, dass das Apothekensystem bei der bestehenden Honorierung an seiner Leistungsgrenze angekommen ist. Das geringe Angebot an neuen pharmazeutischen Dienstleistungen macht dies deutlich. Bei der Medikationsanalyse ist der tatsächliche Zeitaufwand wohl oft größer als kalkuliert, aber die anderen Dienstleistungen dürften in der angenommenen Zeit zu erbringen sein. Die Schiedsstelle hat in ihrer sogenannten Vollkostenrechnung allerdings Personalkosten angesetzt, die eher für eine großzügige Teilkostenrechnung passen würden (siehe DAZ 2022, Nr. 24). Nun verhalten sich die Apotheker offenbar wie in einem betriebswirtschaftlichen Lehrbuchbeispiel. Eine Leistung, die nur Teilkosten deckt, wird nur erbracht, wenn das ohnehin bezahlte Personal freie Kapazitäten hat. Doch das gibt es nur in den wenigsten Apotheken. Das Apothekensystem kann also für das gezahlte Honorar nicht mehr leisten – und doch wird der Anpassungsbedarf noch immer bestritten. Manchmal mag das daran liegen, dass die Politik Sachverhalte ignoriert, zu denen es keine offiziellen Daten gibt. Doch vielfach wird versucht, Argumente gegen das Offensichtliche zu finden. Diese sollen hier widerlegt werden.
Es geht hier vor allem um die Zukunft. Mangels Geld haben viele Apotheken Investitionen in eine zukunftsfähige Ausstattung unterlassen. Künftig ist der größte Engpass beim Personal zu erwarten. Die Apotheken müssen mit anderen Arbeitgebern konkurrieren. Nicht die Betriebsergebnisse der Vergangenheit, sondern die Gehälter der Zukunft sind das entscheidende Maß. Angesichts des Fachkräftemangels und der Inflation können künftige Gehälter nicht aus bisherigen Daten fortgeschrieben werden. Es geht hier auch nicht um genaue Zahlen, sondern um die grundlegenden Relationen. Für 2022 weist der Apothekenwirtschaftsbericht Personalkosten in Höhe von 10,3 Prozent vom Umsatz aus. Bei 30 Prozent höheren Gehältern wären es 3,1 Prozentpunkte vom Umsatz mehr. Dementsprechend würde das Betriebsergebnis von 5,1 Prozent auf 2 Prozent vom Umsatz sinken. In absoluten Zahlen des Jahres 2022 wären das in einer Durchschnittsapotheke statt 163.000 Euro noch 64.000 Euro und damit weniger als das Gehalt eines Krankenhausapothekers. Dann gäbe es keinen wirtschaftlichen Anreiz zum Betreiben einer Durchschnittsapotheke mehr, für kleinere Apotheken erst recht nicht. Dabei sind 30 Prozent mehr Personalkosten durchaus realistisch.
Die ABDA hat bereits für das erste Halbjahr 2023 über 6,6 Prozent mehr Personalkosten im Vergleich zum ersten Halbjahr 2022 berichtet. Die Adexa fordert 10 Prozent mehr Gehalt. Das Einstiegsgehalt betrug 2022 für Krankenhausapotheker 4543 Euro pro Monat im Vergleich zu 3782 Euro in öffentlichen Apotheken (siehe apobank, Karrierekompass) und damit im Krankenhaus 20 Prozent mehr, und es steigt im Krankenhaus langfristig höher. Dies alles betrifft nur das derzeitige Personal. Es ist aber neues Personal nötig, um den Generationenwechsel zu vollziehen. Das erfordert langfristig sicherlich noch viel höhere Gehälter. Dies ist ein Systemproblem und betrifft alle Apotheken. Die oben genannten 3,1 Prozent vom Nettoumsatz als zusätzlicher Finanzbedarf wären in absoluten Zahlen von 2022 etwa 100.000 Euro mehr pro Durchschnittsapotheke, also jährlich etwa 1,8 Milliarden Euro für das Apothekensystem allein als Einstieg in eine zukunftsfeste Honorierung des Personals.
Obwohl es um die Zukunft geht, dreht sich die Debatte überwiegend um betriebswirtschaftliche Daten der Vergangenheit. Lauterbach erklärte beim Deutschen Apothekertag, er gehe gemäß Destatis-Zahlen von einem jährlichen Betriebsergebnis der Apotheken von 166.000 Euro aus, vermutlich für 2022. Lauterbach betonte, dass er Destatis-Zahlen verwenden müsse und warf damit die Frage nach aussagekräftigen Daten auf. Alle Datenquellen haben Stärken und Schwächen. Die Destatis-Zahlen sind zwar umfassend, aber es bleibt fraglich, ob Apotheken mit mehreren steuerpflichtigen Selbstständigen (OHG-Apotheken und verpachtete Apotheken mit Pächter und Verpächter) richtig zugeordnet werden. Die ABDA-Daten von der Treuhand Hannover werden dagegen aus einem Teil der Apotheken hochgerechnet. Für 2022 ergeben sie ein durchschnittliches Betriebsergebnis von 163.000 Euro. Der Unterschied von etwa 2 Prozent ist angesichts der verschiedenen Ermittlungswege bemerkenswert gering. Somit besteht hier kein Anlass sich zu streiten. Die Frage ist vielmehr, wie dieses Betriebsergebnis zu bewerten ist. Lauterbach beschrieb den Betrag als angemessen und deutete damit wohl an, mehr Geld im System wäre nicht nötig.
Doch das Betriebsergebnis muss differenziert betrachtet werden. Bei der Rechtsform eines Einzelunternehmens schließt es die Entlohnung für die Arbeit des Apothekenleiters, also das kalkulatorische „Geschäftsführergehalt“, das Ergebnis aus der Verwendung des Kapitals und ein Honorar für das Risiko ein. Dabei sind die Betriebsgrößen und die wirtschaftlichen Risiken von Apotheken zu bedenken. Die Apothekeninhaber müssen daraus ihren Lebensunterhalt und ihre Altersversorgung bestreiten und Steuern zahlen. Zunächst müssen sie außerdem Geschäftsgründungsdarlehen in meist großer sechsstelliger Höhe tilgen und später Investitionen finanzieren. Der Beitrag zur persönlichen Verfügung muss auch bei kleinen Apotheken ausreichen. Außerdem ist zu bedenken, dass die ausgewiesenen Betriebsergebnisse nur etwa zur Hälfte aus der GKV-Versorgung stammen und nur dieser Teil für die Solidargemeinschaft relevant ist. Die Betriebsergebnisse würden wohl für den Lebensunterhalt ausreichen, aber nicht für Tilgungen und Investitionen in die Zukunft des Apothekensystems. Ähnlich wie beim Personal wird das System also auf Verschleiß gefahren, aber das ist nicht nachhaltig. Als grobe Orientierung für einen ersten Schritt in Richtung nachhaltige Finanzierung könnte ein Betriebsergebnis angepeilt werden, wie es 2021 in der Pandemie erzielt wurde. Bei einem solchen Betriebsergebnis von 6,9 statt 5,1 Prozent vom Nettoumsatz wären das zusätzliche 1,8 Prozentpunkte und damit ausgehend von den Daten von 2022 etwa 58.000 Euro mehr pro Durchschnittsapotheke, also jährlich etwa 1 Milliarde Euro für das Apothekensystem. Mit 1,8 Milliarden für das Personal ergibt das einen vorläufigen Finanzbedarf von jährlich 2,8 Milliarden Euro. Dies wäre allerdings nur ein Anfang. Steigende Kosten und der demografische Wandel erfordern künftig zuverlässige und regelmäßige Anpassungen.
Die Höhe der Beträge darf nicht überraschen, weil sie sich aus 20 Jahren mit unzureichenden Anpassungen ergeben. Es geht hier um die Versäumnisse von zwei Jahrzehnten und nicht nur um eine Anpassung für das vorige Jahr. Der obige Finanzbedarf stimmt grob mit der aktuellen Forderung der ABDA überein, den Rx-Festzuschlag von 8,35 auf 12 Euro zu erhöhen. Dies würde abhängig von der Packungszahl jährlich etwa 2,7 Milliarden Euro einbringen. Die Belastung würde sich auf GKV, PKV und Selbstzahler verteilen, die zusätzlich die Mehrwertsteuer aufbringen müssten. Die ABDA hat ihre Forderung allerdings auf einem ganz anderen Weg über die Anpassung des Rx-Festzuschlags anhand des Verbraucherpreisindex seit 2012 (Berechnungsjahr der vorigen Anpassung) ermittelt. Es erscheint bemerkenswert, dass die hier vorgestellte Überschlagsrechnung praktisch zum gleichen Ergebnis kommt. Während sich die ABDA an der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung orientiert, wird hier plausibel, wofür die Apotheken das Geld brauchen.
Müller-Bohn, T. Die Honorarfrage: sein oder nicht sein
6 Kommentare
Nachfrage
von Felix Maertin am 04.12.2023 um 22:22 Uhr
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AW: Nachfrage
von Dr. Thomas Müller-Bohn am 08.12.2023 um 10:59 Uhr
Danke für die Analyse, aber das Kernproblem ist ein anderes
von Andreas Grünebaum am 04.12.2023 um 14:54 Uhr
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die vorhandenen Daten nutzen
von Dr. Thomas Müller-Bohn am 04.12.2023 um 12:15 Uhr
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Einfach auf den Punkt gebracht!
von Christoph Gulde am 04.12.2023 um 10:33 Uhr
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.
von Anita Peter am 04.12.2023 um 8:07 Uhr
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