Norddeutscher Protest in Hannover

„Alle Apotheken stärken. Jetzt!“

Hannover - 08.11.2023, 17:55 Uhr

In Hannover hatten es die per Zug Anreisenden leicht: Protestiert wurde gleich auf dem Bahnhofsvorplatz. Dort war die Aufmerksamkeit vieler Menschen garantiert. (Foto: DAZ)

In Hannover hatten es die per Zug Anreisenden leicht: Protestiert wurde gleich auf dem Bahnhofsvorplatz. Dort war die Aufmerksamkeit vieler Menschen garantiert. (Foto: DAZ)


Schätzungsweise 3000 Apotheker:innen, PTA, PKA und sonstige Apothekenmitarbeiter:innen kamen heute aus ganz Norddeutschland in Hannover zusammen, um zu protestieren. Mit Unterstützung von Landespolitikern appellierten sie laut und deutlich an den Bundesgesundheitsminister: „Alle Apotheken stärken. Jetzt!“

Auch wenn bei der Ankunft am Hannoverschen Hauptbahnhof sofort ins Auge fällt, dass die dortige Apotheke geöffnet ist: Auf dem Bahnhofsvorplatz sammeln sich am Mittwochvormittag die ersten Apothekenteams, die nicht nur aus Niedersachsen, sondern auch aus Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern angereist sind – und deren Apotheken am heutigen Tage geschlossen bleiben. 

Bis zum offiziellen Start um 12 Uhr füllt sich der Ernst-August-Platz zusehends. Es schallt Musik von der Bühne, von Bowies „Heroes“ bis hin zu Geier Sturzflugs „Wir steigern das Bruttosozialprodukt“ – und zwischendurch immer wieder: Fettes Brot mit „Nordisch by nature“. Die vielen Frauen und deutlich weniger Männer sind mit ihren Transparenten, Warnwesten und fantasievoll selbst gestalteten Protest-Utensilien ein echter Hingucker für die Reisenden und alle anderen Menschen rund um den Bahnhof der niedersächsischen Landeshauptstadt.

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Das Team der Weser-Apotheke (Boffzen) 

Auch wenn der Anlass für die Protestveranstaltung bitter ist – die Demonstrierenden haben offensichtlich auch Spaß und freuen sich über den großen Zusammenhalt. Claudia Malt, Inhaberin der Weser-Apotheke im südniedersächsischen Boffzen, hat ihr Team nach Hannover gelotst. „Es ist überfällig, dass wir gehört werden“, sagt sie der DAZ. 

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Das Team der Apotheke am Saarplatz (Braunschweig)

Die Braunschweiger Apotheke am Saarplatz ist mit dem halben Team vertreten – am Nachmittag sorgt im Backoffice noch eine Mitarbeiterin dafür, dass die Heimversorgung läuft. Dass heute geschlossen ist, ist für Inhaberin Marion Fechteler wichtig, um ihre Botschaft auch an Kundinnen und Kunden, die sich wundern mögen, zu unterstreichen: Wenn es politisch so weiter geht, werden viele Apotheken nicht nur einen Tag zu sein, sondern für immer. 

Das Team der Marien-Apotheke in Oldenburg erhofft sich von den Protesten mehr Wertschätzung für seinen täglichen Arbeitsaufwand. Das der Kosmos-Apotheke in Bremen sieht das sicher genauso, bringt seinen Frust aber in zwei deutlichen Worten auf den Punkt: „Scheiß Lieferengpässe!“. 

Auch die frühere niedersächsische Kammerpräsidentin Magdalene Linz ist mit 13 Leuten aus ihren Apotheken beim Protest. Ebenfalls vertreten ist ein mehrköpfiges Adexa-Team – denn allen ist klar: Das von den Apotheken geforderte höhere Honorar soll keinesfalls zuletzt genutzt werden, um die Angestellten besser bezahlen zu können.

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Berend Groeneveld

Um 12 Uhr beginnt das Programm auf der Bühne – auf der finden sich, ganz anders als auf dem Protestplatz, nur Männer als Redner ein. Dennoch: Berend Groeneveld, Vorstandsvorsitzender des LAV Niedersachsen bringt auf den Punkt, was alle Anwesenden bewegt und heizt ordentlich ein. Als erstes erweitert er das beim Deutschen Apothekertag etablierte Motto „Apotheken stärken. Jetzt!“ in „Alle Apotheken stärken. Jetzt!“ – ein eindringlicher Ruf, der immer wieder durch die Menge geht. Groeneveld geht zunächst von 2000, später von 3000 Protestierenden aus. Er schwört sie alle ein: Es geht jetzt darum, das Apothekensystem zu erhalten. Die Apotheken übernähmen eine hoheitliche Aufgabe – und das machten sie auch gern. Nur: Wenn der Staat sie schon mit einer solchen Aufgabe belege, müsse er auch für eine angemessene Bezahlung sorgen. „Nimm uns wahr und nimm uns ernst“, appelliert der Verbandschef an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). 

Wie lässt sich auf Kurs bleiben?

Als Ostfriese schildert Groeneveld die Apotheke als Schiff in Seenot. Es sei auf Grund gelaufen, weil der Kurs nicht stimme: Der Leuchtturm, das BMG, sende nämlich falsche Signale – wie soll es da möglich sein, auf Kurs zu bleiben? Groeneveld verdeutlicht, dass Lauterbachs jüngste Reformvorschläge für Light-Filialen ohne Notdienst, Rezeptur und Approbierte, keinesfalls zu Einsparungen führen würden – und schon gar nicht zu einer besseren Versorgung. Eine klare Absage gibt er gegenüber Erwartungen, es könne künftig mehr Filialen geben, wenn die Anforderungen heruntergeschraubt werden: „Wo eine Apotheke schließt, entsteht auch keine Apotheke light.“

Vielmehr müssten jetzt wichtige Forderungen der Apothekerschaft erfüllt werden: Ein Fixum von 12 Euro samt Dynamisierung und weniger Bürokratie. Während den Apotheken in Zeiten der Corona-Pandemie tatsächlich viel Freiraum eingeräumt wurde, um Patienten umgehend zu versorgen, komme das Engpassgesetz ALBVVG und nun auch die jüngst beschlossene Austauschregelung für Kinderarzneimittel wieder mit mehr Aufwand daher. „So kann es nicht weitergehen!“ Wenn Lauterbach davon rede, es könne für Apotheken nur mehr Geld für mehr Leistung geben, so kann der LAV-Chef dem nur entgegnen: „Wir sind an der Grenze unserer Leistungsfähigkeit – wie bitte sollen wir noch mehr Leistung erbringen?“

Auch an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wendet sich Groeneveld – schließlich ist er (noch) derjenige, der offiziell für Änderungen der Arzneimittelpreisverordnung zuständig ist. Zudem pflegt der schleswig-holsteinische Kammerpräsident Kai Christiansen seine Beziehungen zu Habeck – der Minister hatte daher den Apotheken auch seine Unterstützung zugesichert. „Halten Sie Ihr Wort und überzeugen Sie Ihre Koalitionspartner!“, appelliert nun Groeneveld.

Landespolitiker an der Seite der Apotheken

In Niedersachsen selbst ist das Verhältnis zur Politik gut – sowohl zur rot-grünen Regierung als auch zur CDU als Opposition. Dass man im Land hinter den Apotheken steht, zeige nicht nur der jüngste Beschluss der Regierungschefinnen und -chefs zur Arzneimittelversorgung. Der niedersächsische Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) kommt ebenso für eine Rede auf den Bahnhofvorplatz in Hannover wie der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag, Volker Meyer. Beide sparen nicht mit wertschätzenden Worten für alle, die in einer Apotheke arbeiten, und schließen sich den Forderungen der Apothekerschaft nach auskömmlicher Honorierung und weniger Bürokratie an.

„Von reiner Wertschätzung können wir nicht leben“

Ebenfalls als Redner auf der Bühne erscheint Christian Burgdorf aus Peine, Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes der Apotheker in Niedersachsen. Er betont, dass Apotheken nicht nur die Versorgung sichern, sondern auch Arbeitsplätze. Für die Apothekenmitarbeiter:innen seien die Belastungen in den vergangenen Jahren ständig gestiegen – das verdiene höchste Anerkennung und daher sei es unabdingbar, die Vergütung anzupassen. „Von reiner Wertschätzung können wir nicht leben“, so Burgdorf. Er verweist darauf, dass trotz Personalnöten einige Apotheken weiteres Personal abbauen müssten – aus wirtschaftlichen Gründen. Einige könnten deshalb auch nicht zum heutigen Protest.

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Groeneveld ist zum Abschluss der Veranstaltung, kurz vor 14 Uhr, sichtlich zufrieden. Dass Apothekenteams selbst von den Inseln der Republik kamen und die Landespolitik auf Augenhöhe mit den Apotheken spricht, tut gut. Den Respekt, den er auf Landesebene kennt, wünscht er sich auch von Berliner Politiker:innen.


Kirsten Sucker-Sket
redaktion@daz.online


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