Evaluation zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz

vfa sieht Schäden für Patienten und Wirtschaftsstandort

04.09.2023, 13:45 Uhr

Für den vfa-Vorsitzenden Han Steutel ist das GKV-FinStG eine „misslungene Gesetzgebung“. (Foto: vfa / Brundert)

Für den vfa-Vorsitzenden Han Steutel ist das GKV-FinStG eine „misslungene Gesetzgebung“. (Foto: vfa / Brundert)


Das im November 2022 in Kraft getretene GKV-Finanzstabilisierungsgesetz schadet aus Sicht des Verbands forschender Pharmaunternehmen (vfa) sowohl dem medizinischen Fortschritt als auch dem Wirtschaftsstandort. Dies ergibt sich aus einer neuen Stellungnahme des vfa. Dabei geht es dem Verband insbesondere um die neuen „Leitplanken“, die den Spielraum bei Preisverhandlungen zu neuen Arzneimitteln einschränken. 

Am heutigen Montag endet die Stellungnahmefrist zu den Auswirkungen des im November 2022 beschlossenen GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes (GKV-FinStG) auf die medizinische Versorgung. Für die Apotheken ging es in diesem Gesetz vor allem um den befristet erhöhten Kassenabschlag. Für die forschende Arzneimittelindustrie standen dagegen neue Regelungen bei der frühen Nutzenbewertung neuer Arzneimittel und der anschließenden Preisbildung im Mittelpunkt. Das sind insbesondere die neu eingeführten „Leitplanken“, die die Preisbildung bei Arzneimitteln regulieren, denen ein geringer oder nicht quantifizierbarer Zusatznutzen bescheinigt wurde, der neue Kombinationsabschlag für neue Arzneimittel, die gemeinsam verordnet werden, und der erhöhte Herstellerabschlag. 

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Nachdem diese Regeln nun ein halbes Jahr gelten, hat der Verband forschender Pharmaunternehmen (vfa) dazu jetzt eine Evaluation vorgelegt. Verbandspräsident Han Steutel betrachtet das GKV-FinStG als „misslungene Gesetzgebung“. Der Gesetzgeber habe ohne Not die bewährte Systematik der Erstattungsregeln in Deutschland durcheinandergebracht. „Die Eingriffe in die Nutzenbewertung oder die Rabattierung von Arzneimittelkombinationen erzielen kaum nennenswerte Sparbeträge für die GKV, richten aber gravierende Schäden an“, erklärt Steutel und ergänzt, das System habe „an Planbarkeit und damit an Attraktivität als Innovations- und Produktionsstandort verloren“. Zugleich steige der bürokratische Aufwand der Krankenkassen. Patienten müssten mit Therapieeinschränkungen leben. Steutel sieht daraufhin die Zeit für eine Reformdebatte im deutschen Erstattungsrecht gekommen.

Simulation erwartet massive Folgen der „Leitplanken“

Eine Evaluation der Folgen des Gesetzes ist derzeit schwierig. Denn seit Inkrafttreten der Neuerungen habe noch kein neues Arzneimittel das Bewertungsverfahren komplett durchlaufen, heißt es in der Stellungnahme des vfa. Die Umsetzung des Kombinationsabschlags sei zudem noch unklar. Eine abschließende Bewertung dieses Abschlags sei daher derzeit nicht möglich. Zum nun eingeschränkten Spielraum für die Preisverhandlungen verweist der vfa auf eine Simulation des Gesundheitsökonomen Professor Wolfgang Greiner auf der Grundlage der von 2019 bis 2021 bewerteten Arzneimittel. Hätten für diese 106 Wirkstoffe bereits die neuen Regeln gegolten, wären demnach 70 von den „Leitplanken“ betroffen gewesen. Bei 26 Wirkstoffen hätte der Rabatt mehr als 60 Prozent betragen. In diesen Fällen sei die Wahrscheinlichkeit für einen Marktrückzug oder einen Verzicht auf die Einführung groß.

Bisher Folgen bei fünf Wirkstoffen bekannt

Außerdem stützt sich die Evaluation des vfa auf Umfragen unter den Mitgliedsunternehmen. Demnach unterliegen 30 Arzneimittel oder Zulassungen dem Risiko, in den folgenden zwei Jahren nicht in die Versorgung zu kommen. 13 Arzneimittel würden deutlich verzögert oder gar nicht in Deutschland verfügbar sein und fünf Zulassungen oder Zulassungserweiterungen würden in der EU verzögert oder gar nicht angestrebt. Als öffentlich bekannt gewordene Fallbeispiele für den deutschen Markt nennt der vfa die Nicht-Einführung der Kombination von Nivolumab und Relatlimab zur Erstlinienbehandlung fortgeschrittener Melanome und Lenacapavir gegen multiresistente HIV-Infektionen, die um ein Jahr verzögerte Einführung von Teclistamab sowie die Marktrücknahmen von Spesolimab und Amivantamab.

vfa fordert mehr Verhandlungslösungen

Für den vfa ist es „alarmierend“, dass die Folgen schon in dem sehr kurzen Evaluationszeitraum sichtbar werden. Der Planungshorizont für die Unternehmen sei langfristig. Daher werde das ganze Ausmaß der Folgen erst in den kommenden Jahren zu sehen sein. Der vfa fordert daher, Verhandlungslösungen im Preisbildungsverfahren zu stärken und sowohl die „Leitplanken“ für die Preisbildung als auch den Kombinationsabschlag wieder abzuschaffen. Außerdem sollte das Bewertungsverfahren für neue Therapieansätze und die künftige europäische Nutzenbewertung weiterentwickelt werden. Insgesamt wünscht sich der vfa verlässliche Rahmenbedingungen.


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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