„Fall für das Lobbyregister"

Ärzteverbände beschweren sich bei Kanzler Scholz über „Faktenblatt“ aus dem BMG

Berlin - 14.08.2023, 15:15 Uhr

Ist das Bundesgesundheitsministerium zu einer Unterabteilung des GKV-Spitzenverbands verkommen? (Foto: imago images / U. J. Alexander)

Ist das Bundesgesundheitsministerium zu einer Unterabteilung des GKV-Spitzenverbands verkommen? (Foto: imago images / U. J. Alexander)


Die Ärzteschaft schäumt: Das Bundesgesundheitsministerium versendet vor dem geplanten Ärzteprotest – ähnlich wie vor dem Protesttag der Apotheker:innen – ein „Faktenblatt“ an die Redaktionen. Die Ärzteverbände schlagen kräftig zurück, sprechen von einem schwerwiegenden Eingriff in die „Tarifautonomie“ und wenden sich in einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz.

Es ist noch nicht so lange her, da sorgte ein vermeintliches Faktenblatt aus dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) für reichlich Empörung in der Apothekerschaft. Das Ministerium wollte mit den an die Redaktionen verschickten Informationen vor den Apothekenprotesten am 14. Juni Einfluss auf die Berichterstattung nehmen – und erklärte, warum die Apothekerschaft vermeintlich keinen Grund zur Beschwerde habe. Die ABDA zerlegte die Fakten und fühlte sich in dem geplanten Protest bestätigt.

Auch die Ärzteschaft will unter dem Motto „Praxis in Not“ protestieren und unter anderem Praxen vorübergehend schließen. Für den 8. September ruft der Verband medizinischer Fachberufe (VMF) in Berlin zu einer zentralen Protestaktion am Brandenburger Tor auf, am 2. Oktober soll es bundesweit Aktionen und eben auch Praxisschließungen geben. Und so kam dann auch die Ärzteschaft vergangene Woche in den zweifelhaften Genuss, vom BMG mit einem „Faktenblatt“ bedacht zu werden. Am vergangenen Donnerstag verschickte die Pressestelle des Ministeriums von Minister Karl Lauterbach (SPD) die Informationen an die Redaktionen. Brisant ist in diesem Zusammenhang, dass fast parallel die Honorarverhandlungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung mit dem GKV-Spitzenverband begonnen haben.

Bereits die Wortwahl der E-Mail aus dem BMG ließ aufhorchen. Dort heißt es, dass „der angekündigte konzertierte Kampagnenversuch der Ärzteverbände“ mit „dermaßen vielen Halbwahrheiten durchsetzt“ sei, „dass wir Ihnen für eine ausgewogene Berichterstattung gerne ein Faktenpapier zur ambulanten Versorgung zur Verfügung stellen“. Festgestellt wird in dem sogenannten Faktenblatt nun – wie bei den Apotheker:innen –, dass die Ärzt:innen keinen Grund zur Klage hätten: Auf Basis der Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für die ambulante ärztliche Versorgung sowie der Angaben des Statistischen Bundesamts seien die Vorwürfe der Ärzteschaft „nicht nachvollziehbar“.

„BMG mutiert zu Unterabteilung des GKV-Spitzenverbandes"

Dargelegt wird unter anderem, dass die GKV-Ausgaben für den Bereich ambulante ärztliche Versorgung in den vergangenen Jahren enorm gestiegen seien. Wie auch bei den Apotheker:innen weist das BMG darauf hin, dass die Ärzteschaft während der Pandemie gut verdient habe – Praxisinhaberinnen und -inhaber hätten einen Mehrumsatz von insgesamt 2 Milliarden Euro erzielt. Einen großen Raum nehmen Erläuterungen zu Digitalisierung und E-Rezept ein, die anscheinend nahelegen sollen, dass die Arbeit der Ärzteschaft dadurch erheblich erleichtert wird.

Der Knall ließ nicht lange auf sich warten. Bereits am Freitag warf der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa) dem BMG in einer Pressemitteilung vor, zur „Unterabteilung des GKV-Spitzenverbandes“ mutiert zu sein und Einfluss auf die Honorarverhandlungen nehmen zu wollen. „Dies ist ein schwerwiegender Eingriff in die ‚Tarifautonomie‘ der gemeinsamen Selbstverwaltung“, heißt es in der Mitteilung. Das BMG verstoße mit seinem Vorgehen gegen seine staatliche Neutralitätspflicht. Offen wird der Vorwurf erhoben, dass ehemalige GKV-Mitarbeiter Lobbyarbeit im Ministerium betreiben. „Die Personalpolitik im BMG ist ein Fall für das Lobbyregister“, erklärt der SpiFa.

 „Papier ist einseitig, in seinem Kern tendenziös“

An diesem Montag nun legte die Allianz Deutscher Ärzteverbände mit einer Antwort nach – gerichtet an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). „Mit großem Befremden“ habe man die Parteinahme des BMG im Zusammenhang mit den in dieser Woche angelaufenen Honorarverhandlungen zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen zur Kenntnis nehmen müssen, schreibt die Allianz in ihrem offenen Brief an den Kanzler.

Das Faktenblatt biete eine „einseitige Darstellung der Umsatzsituation der Vertragsärztinnen und Vertragsärzte ohne Betrachtung der wirtschaftlichen Gegebenheiten und der Behandlungsumfänge (Stichwort: Verlagerung von ambulant zu stationär)“. Zusammenfassend heißt es: „Dieses Papier ist einseitig, in seinem Kern tendenziös und wäre ohne weitere Quellenangabe auch dem Kassenlager zuordenbar.“

Pandemie-Umsätze der Ärzteschaft

Zu den Umsätzen in der Corona-Pandemie und der Unterstellung, Ärztinnen und Ärzte hätten daran „unlauter verdient“, heißt es, dass insbesondere die Praxisteams zu Beginn der Pandemie weitgehend schutzlos gewesen seien. Sie mussten demnach Hygienemaßnahmen in den Praxen selbst organisieren, litten unter Lieferengpässen bei Masken und haben ihre Praxen dennoch offengehalten. Mittlerweile sei bekannt, „dass in den Praxen 19 von 20 Covid-19-Erkrankten behandelt wurden und die Praxisärzte den zentralen Anteil an der Bewältigung der Pandemie hatten“.


„Durch den einseitigen Fokus auf Umsätze zeichnet das Bundesministerium für Gesundheit ein tendenziöses Bild, das wider besseren Wissens verbreitet wird. Die Unfähigkeit des BMG, Strukturreformen auf den Weg zu bringen, die nachhaltig gewährleisten, dass Mittel zielgerichtet und effizient eingesetzt werden, ist keine Entschuldigung für die einseitige Parteinahme für einen einzelnen Akteur im Gesundheitswesen, in diesem Fall für die Gesetzlichen Krankenkassen.“

Offener Brief der Allianz Deutscher Ärzteverbände an Bundeskanzler Olaf Scholz


Die Allianz Deutscher Ärzteverbände bittet Scholz, seinen Gesundheitsminister in die Schranken zu weisen. Er soll Lauterbach insbesondere auf sein Pflicht hinweisen, „dass er in der aktuellen Verhandlungssituation strikte Neutralität zu wahren hat“. Eine Reaktion des Kanzlers steht noch aus.


Matthias Köhler, DAZ-Redakteur
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Dogma deutscher Gesundheitspolitik

von Holger am 15.08.2023 um 8:39 Uhr

Ein gewisser Gerhard Schröder (auf dem Papier ein Sozialdemokrat) hat in seiner Kanzlerschaft zum obersten Dogma der deutschen Gesundheitspolitik erhoben, dass das Beitragsaufkommen der ArbeitGEBER zur GKV nicht weiter steigen dürfe. Seitdem bestimmt die Kassenlage die Politik und die Leistungsfähigkeit des Systems, verschiebt außerdem die Macht deutlich auf die Kassenseite. Und die Sozialgerichte bestätigen auch immer wieder, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot in §12 SGB V eine grobe Keule ist, mit der man alle "Auswüchse" plattschlagen kann.

Dieses Dogma ist bis heute nicht aufgehoben, was für mich - in Kombination mit einem immer weiter anschwellenden Niedriglohnsektor mit naturgemäß niedrigem Beitragsaufkommen bei vollem Leistungsanspruch - das Kernproblem des deutschen Gesundheitswesens darstellt.

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