Interview mit FDP-Apothekenexperte Lars Lindemann (Teil 1)

„50 Cent sind indiskutabel“

Berlin - 27.03.2023, 07:00 Uhr

„Es ist besser, am Ende gar keine Vergütung vorzusehen, als dass man hingeht und jemandem eine Vergütung anbietet, die mit dem Aufwand in der Realität nichts zu tun.“ Lars Lindemann (Foto: IMAGO / Christian Spicker)

„Es ist besser, am Ende gar keine Vergütung vorzusehen, als dass man hingeht und jemandem eine Vergütung anbietet, die mit dem Aufwand in der Realität nichts zu tun.“ Lars Lindemann (Foto: IMAGO / Christian Spicker)


Seit Ende 2022 ist Lars Lindemann innerhalb der FDP-Bundestagsfraktion für die Apothekenthemen zuständig. Was hat der Berufsstand von ihm zu erwarten? Lesen Sie in Teil 1 des DAZ-Interviews, wie er zu den Honorarforderungen der Apothekerinnen und Apotheker steht und für welche Änderungen am Lieferengpass-Gesetz er sich stark machen will.

DAZ: Herr Lindemann, vor mehr als zehn Jahren hörte man von Ihnen Aussagen wie: „Es muss nicht an jeder Straßenecke eine Apotheke geben“. 2019 strebten sie als Geschäftsführer des Spitzenverbands Fachärzte Deutschlands (SpiFa) eine Kooperation mit DocMorris an. Welche Bedeutung hat die Apotheke vor Ort für Sie heute?

Lindemann: Es geht darum, dass wir in Deutschland in der Lage sein müssen, bedarfsangemessen zu versorgen. Und zwar jeden, egal wo er wohnt. Ob das immer durch eine Apotheke in Sichtweite geschehen muss, das habe ich seinerzeit gewagt zu bezweifeln. Für eine bedarfsangemessene Versorgung braucht man leistungsfähige Apotheken, die in der Lage sind, alle Menschen in ihrem Einzugsgebiet zu erreichen – auch durch Botendienste. Dass wir da einen Unterschied zwischen Stadt und Land haben, darüber müssen wir uns nicht unterhalten. Wir haben in Berlin zum Beispiel eine hohe Apothekendichte.

Allerdings auch eine hohe Einwohnerdichte …

Ja, aber ich habe mehr dafür übrig, wenn Apotheken durch einen genügend großen Personalstamm sehr leistungsfähig sind, als dass wir überall Kleinstapotheken in prekären Zuständen haben. Auf dem Land hat das Überwinden von Entfernungen natürlich eine andere Bedeutung.  Aber auch hier kann es in Zeiten, in denen die finanziellen Spielräume immer enger werden, nicht richtig sein, solche Strukturen per se zu schützen. Wir brauchen eine kostendeckende Preisbildung für die Arzneimittelabgabe und andere Dienste. Aber wir müssen auch der Tatsache ins Auge blicken, dass es klüger und wirtschaftlicher sein kann, etwa in einer Kreisstadt eine sehr leistungsfähige Apotheke zu haben, die einen Umkreis von 15 oder 18 Kilometern vernünftig mit abdecken kann, als in jedem kleinen Ort eine Apotheke.

Auch vor diesem Hintergrund: Wie stehen sie zur Forderung der Apotheken nach einem höheren Fixhonorar?

Ich bin grundsätzlich dafür, dass wir diejenigen, die Leistungen im System erbringen, auskömmlich bezahlen. Das ist auch die Position meiner Partei. Und wenn etwas über lange Zeit nicht angepasst wurde, muss man schon einen Blick darauf werfen. Damit sage ich keine Zahl, aber das ist eine berechtigte Forderung, über die man sprechen muss. Ob man sie dann erfüllen kann, ist eine zweite Sache.

Stichwort leistungsgerechte Bezahlung: Was halten sie von den 50 Cent, die im ALBVVG-Entwurf für das Lieferengpassmanagement vorgesehen sind? Wird sich da im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch etwas bewegen?

Ohne zu viel zu verraten: Im Kreise der Berichterstatter haben wir uns schon ausgetauscht, dass die 50 Cent keine angemessene Vergütung sind für das, was da geleistet wird. Ob die von der ABDA geforderten 21 Euro es sind, sei dahingestellt. Nach meinem Dafürhalten ist es besser, am Ende gar keine Vergütung vorzusehen, als dass man hingeht und jemandem eine Vergütung anbietet, die mit dem Aufwand in der Realität nichts zu tun hat.

Steht eine Streichung der 50 Cent zur Debatte?

Zunächst werden wir diskutieren, ob man die Vergütung vernünftig erhöhen kann. Aber wenn das nicht gelingt, wäre ich dafür, sie ganz rauszunehmen und den Apotheken stattdessen mehr Flexibilität einzuräumen. Das ist ein Wert, der das vielleicht aufwiegt. Ich glaube, es ist wichtiger, dass Apotheker sich flexibel bewegen können, als dass sie 50 Cent bekommen und dazu aberwitzige Abrechnungsregeln, die alles noch schwieriger machen. Um es klar zu sagen: 50 Cent sind indiskutabel.

Sie wollen also die derzeitigen erleichterten Abgaberegeln umfassend ins ALBVVG einbringen?

Darüber werden wir in der Koalition noch sprechen müssen. Ich bin ganz klar für eine vollumfängliche Verstetigung der derzeit bestehenden Regelungen.

Lesen Sie morgen im zweiten Teil des Interviews, wie Lindemann den ABDA-Forderungskatalog bewertet, ob ihn die sinkenden Apothekenzahlen beunruhigen und wie er die Zukunft der EU-Arzneimittelversender sieht.


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


Christina Grünberg, Apothekerin, Redakteurin DAZ (gbg)
cgruenberg@daz.online


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8 Kommentare

Sparen bei Apotheken

von Dorf-Apothekerin am 27.03.2023 um 13:12 Uhr

Liebe Frau Peter,
vor 20 Jahren gab es einen Ausspruch: "Wir wissen, dass wir an Arzneimitteln nicht mehr sparen können, aber Arzneimittel sind berechenbar, deshalb machen wir da weiter!"

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15 bis18 km

von Dorf-Apothekerin am 27.03.2023 um 13:07 Uhr

Wirtschaftlich, wirtschaftlich, wirtschaftlich..... Ich kann es nicht mehr hören!!! An diie Senioren-Generation auf dem Land denkt bei solchen Distanzen keiner mehr. Sie wird unselbstständiger, hilfloser weil ihr alles an die Haustür gebracht wird. Kommunikation wird weniger, Medikations-Analyse an der Haustüre findet sicher nicht statt, Bewegung wird weniger, Schmerzen werden mehr, Blutdruck steigt, Demenz wird mehr, Medikamente werden mehr u.s.w.
Menschenwürde war einmal!
Aber dann kommt ja der Anspruch auf assistierten Selbstmord und die Rentenkasse kann auch wirtschaftlicher arbeiten.

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.

von Anita Peter am 27.03.2023 um 12:50 Uhr

Warum man gerade bei einem der kleinsten Kostenverursacher im Gesundheitssystem ständig nach Wirtschaftlichkeitsreserven sucht, erschliesst sich mir nicht. V.a. angesichts der Tatsache das Deutschland das Geld zum Fenster rauswirft als gäbe es kein Morgen mehr.

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Frechheit!

von Thomas Eper am 27.03.2023 um 11:23 Uhr

"Nach meinem Dafürhalten ist es besser, am Ende gar keine Vergütung vorzusehen, als dass man hingeht und jemandem eine Vergütung anbietet, die mit dem Aufwand in der Realität nichts zu tun."
Was für eine Logik, was für eine bodenlose Frechheit!

Dann zahlen Sie nicht den Kinderärzten 49 Mio € für den Mehraufwand, den wir erbracht haben!

"... lange Zeit nicht angepasst wurde, muss man schon einen Blick darauf werfen. ...aber das ist eine berechtigte Forderung, über die man sprechen muss. Ob man sie dann erfüllen kann, ist eine zweite Sache."
Danke für nichts, Herr Lindemann!
Für Ärzten scheint genug da zu sein!

Für Abgeordnete läuft es ja auch reibungslos.
Wie haben sich denn Ihre Bezüge so in den letzten 20 Jahren verändert Herr Lindemann? Waren bestimmt mehr als + 3%, oder?

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Ampel-Koalition

von Apothekerin am 27.03.2023 um 10:39 Uhr

Die Ampel scheint bis ins Mark zerstritten zu sein. Doch wenn es darum geht, die Apotheken vor Ort bis zur Unkenntlichkeit zu schröpfen, da sind sie sich ausnahmsweise alle einig.

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15 bis 18 Km

von Dr. Radman am 27.03.2023 um 8:04 Uhr

"die einen Umkreis von 15 oder 18 Kilometern vernünftig mit abdecken kann, als in jedem kleinen Ort eine Apotheke."

Eine Mutter mit fiebrigem Kind im Kinderwagen soll sie Nachts 15 bis 18 KM zu nächsten Apotheke laufen. Soviel zu FDP Sachverstand. Ich übergebe.....!!!

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AW: 15 bis 18 Km

von Torben Schreiner am 27.03.2023 um 10:13 Uhr

Die werden uns, möglist kostenfrei für die GKV, einen 24/7 Botendienst aufzwängen.
Die Vergütung für unsere Zusatzleistungen bekommen dann, statts den Kinderärzt*innen, dann vielleicht mal die Frauenärzte *innen zugesprochen, denn deren Patienten brauchen sofort die Pille mit gratis Schwangerschaftstest schnell ausgeliefert!
In der heutigen Zeit, in welcher immer mehr Leistungen gerne bei anderen eingefordet werden, während man selbst noch beim 2. Frühstückstermin feststeckt, doch locker umsetzbar!
Nur mal wieder nicht (wen wunderts noch in Berlin?!) bei uns ewig-gestrigen, bestandswahrenden Faxe-Latinlovers aus den Apotheken.
"Wer nicht mitzieht, kann ja schließen"- so das Motto für 2023 und die kommenden Jahre,
denn die uns ganzbald ersetzenden
Gesundheitsspätis sind wenigstens modern, digital, kostengünstig und ganzganzbald dank KI bestimmt auch flächendeckend (mind. 1-2 pro Bundesland) rund um die Uhr greifbar?!.

Explosive Aussagen

von Linda F. am 27.03.2023 um 7:31 Uhr

Die Apotheken vor Ort werden durch die Bundesregierung systematisch vernichtet und die FDP macht nicht einmal einen Hehl daraus. Auf was warten wir noch? Wenn die Apothekerschaft jetzt nicht - wie so viele andere Berufsgruppen - in den Streikmodus übergeht, dann war’s das mit unserem Berufsstand!

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