Bundessozialgericht

Auch die AOK Bayern muss für Verwürfe zahlen

Berlin - 23.02.2023, 16:45 Uhr

Das BSG hat die AOK Bayern in die Schranken verwiesen: Die Kasse kann sich nicht einfach über die Vorgaben der Hilfstaxe hinwegsetzen. (Foto: BSG / Dirk Felmeden)

Das BSG hat die AOK Bayern in die Schranken verwiesen: Die Kasse kann sich nicht einfach über die Vorgaben der Hilfstaxe hinwegsetzen. (Foto: BSG / Dirk Felmeden)


Verwürfe bei patientenindividuellen parenteralen Zubereitungen bereiten vor allem den Apotheken in Bayern seit Jahren Sorgen – denn die AOK Bayern will für sie in vielen Fällen nicht zahlen. Und das, obwohl die Hilfstaxe für unvermeidliche Verwürfe eigentlich klare Vorgaben macht. Nun hat das Bundessozialgericht über die Klage einer Apothekerin gegen die AOK Bayern entschieden – und den herstellenden Apotheken den Rücken gestärkt.

Das Bundessozialgericht hat über die Klage einer bayerischen Apothekerin entschieden, die sich gegen eine Retaxation der AOK Bayern richtete. Ihr Fall steht exemplarisch für zahlreiche, teilweise seit Jahren geführte Streitigkeiten zwischen Apotheken, die parenterale Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln herstellen, und dem Kassen-Platzhirsch in Bayern.

Worum ging es?

Die klagende Apothekeninhaberin stellte für verschiedene AOK-Versicherte im Mai 2012 aufgrund ärztlicher Verordnung Zytostatikazubereitungen für ambulante Chemotherapien her. Bekanntlich kommt es nicht selten vor, dass von den aus Fertigarzneimitteln hergestellten Stammlösungen oder Lösungskonzentraten angesichts der patientenindividuellen Dosierungen etwas übrig bleibt – zumal die angebotenen Packungsgrößen nicht immer optimal sind. Dieser Verwurf, so er unvermeidbar ist, kann unter den Bedingungen der Hilfstaxe abgerechnet werden.

Auch im vorliegenden Fall kam es zu solchen Verwürfen, die die Apothekerin der Kasse in Rechnung stellte. Die AOK zahlte zunächst auch – dann lehnte sie nach einer Prüfung die Vergütung für den Verwurf aber ab und rechnete den aus ihrer Sicht bestehenden Erstattungsanspruch mit unstreitigen Forderungen der Klägerin ab. Dagegen wehrte sich die Apothekerin.

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Das Sozialgericht Nürnberg entschied zugunsten der Apothekerin. Es verurteilte die AOK Bayern im Sommer 2021 zur Zahlung von 828,50 Euro nebst Zinsen. Die Klägerin habe Anspruch auf die noch ausstehende Vergütung, weil die Kasse keinen zur Aufrechnung berechtigenden öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch habe, so die Richter:innen. Die Verwürfe seien nach der geltenden Hilfstaxe unvermeidbar und abrechnungsfähig gewesen. Bei der Hilfstaxe handele es sich um von den hierzu ermächtigten Vertragspartnern vereinbartes Preisrecht, mit dem Haltbarkeitszeiten von Wirkstoffen für eine Abrechnungsfähigkeit festgelegt seien.

AOK Bayern pocht auf Wirtschaftlichkeitsgebot

Das Sozialgericht ließ sodann die Sprungrevision zum Bundessozialgericht zu. Und die AOK Bayern nutzte diese. Sie argumentierte, dass die Verwurfsregelungen unter Ziffern 3.6 und 3.8 und Anhang 2 der Anlage 3 Teil 1 der Hilfstaxe nicht mit dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz vereinbar seien. Die Vertragspartner hätten mit der Festlegung der Abrechnungsfähigkeit in der Hilfstaxe ihre Kompetenzen überschritten, weil sie mit den getroffenen Regelungen erheblich unwirtschaftliches Abrechnen der Apotheken ermöglichten.

Am gestrigen Mittwoch wies nun das Bundessozialgericht die Revision der AOK Bayern als unbegründet zurück. Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor, aber in seinem Terminbericht macht der Senat bereits deutlich, warum er der Vorinstanz folgt. 

BSG: Auffangregelung ist eng am Wortlaut auszulegen

Das Sozialgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass ungenutzte Teilmengen zytostatikahaltiger Arzneimittelzubereitungen als Verwurf gesondert zu vergüten sind, wenn diese nicht innerhalb von 24 Stunden in weiteren Rezepturen verwendet werden konnten und wirkstoffbezogene Sonderregelungen nicht vorgehen. Rechtsgrundlage hierfür ist § 129 Abs. 1 SGB V sowie ergänzende Vereinbarungen auf Bundes- und Landesebene nach dem Sozialgesetzbuch 5. Buch sowie Vergütungsregelungen zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband (DAV) – die Hilfstaxe.

Nach der Hilfstaxe sind unvermeidbare Verwürfe abrechnungsfähig, sofern entweder im Einzelnen angeführte wirkstoffbezogene Vorgaben eingehalten sind oder – für dort nicht aufgeführte Stoffe – die Teilmenge „nachweislich nicht innerhalb von 24 Stunden in einer weiteren Rezeptur verwendet werden konnte“ (Anlage 3 Teil 1 Ziffer 3.8 Buchstabe c) zum Vertrag über die Preisbildung für Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen). Fehlt es an einer ausdrücklichen wirkstoffbezogenen Regelung, kommt also die Auffanglösung zur Anwendung.

Diese Regelung sei eng am Wortlaut orientiert auszulegen, so das Bundessozialgericht. „Das schließt es aus, die Abrechnungsfähigkeit eines hiervon erfassten Verwurfs von weiteren, dort nicht angeführten Voraussetzungen abhängig zu machen“, heißt es im Terminbericht.

DAV und GKV-Spitzenverband haben Gestaltungsspielraum

Dass DAV und GKV-Spitzenverband mit ihrer Vereinbarung ihren Gestaltungsspielraum überschritten hätten oder das Wirtschaftlichkeitsgebot verletzt wäre, sei nicht ersichtlich, so der Senat weiter. Bei den Verwurfsregelungen in der Hilfstaxe handele es sich um vertragliche Vergütungsbestimmungen, die schon nach den allgemeinen Grundsätzen dem gerichtlich nur begrenzt überprüfbaren Gestaltungsspielraum der Vertragspartner obliegen. Hier komme hinzu, dass den Vertragspartnern Rechtsetzungsmacht nur eingeräumt ist, soweit sie sich auf einvernehmliche Regelungen zur Preisbildung verständigen können (vgl. § 5 Absatz 5 Satz 1 AMPreisV).

Das Urteil dürfte für Erleichterung bei vielen herstellenden Apotheken sorgen. Es bleibt abzuwarten, wie die AOK nun mit den noch offenen Streitigkeiten umgeht.

Bundessozialgericht, Urteil vom 22. Februar 2023, Az.: B 3 KR 7/21 R


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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2 Kommentare

Wirtschaftlichkeitsgebot

von Holger am 24.02.2023 um 9:09 Uhr

Leider ist das natürlich nur ein Urteil in einem Einzelfall. Aber ich lese daraus, dass die KK die grobe Keule des §12 SGB V eben NICHT als Totschlagargument für jedwede Kostenverweigerung nehmen können und dürfen. Gesellschaftlich frage ich mich, warum man wegen eines dreistelligen Streitwert bis vor das BSG ziehen muss. Stattdessen wäre es in meinen Augen viel sinnhafter, die KK würden sowas wie Sachverstand walten lassen. Aber meine diesbezügliche Hoffnung ist schon lange dahin. Dieses System ist einfach durch und durch verrottet.

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Aok Bayern

von ratatosk am 24.02.2023 um 8:49 Uhr

Platzhirsch, spricht fast schon Monopolist in der Bedeutung läßt die Muskeln spielen. Wenn es passt, werden Verträge zur Retax verwendet, wenn Vertrag nicht passt, wird versucht eigenes Recht des Mächtigeren zu setzen. Durch die politische Rückendeckung gelingt dies immer häufiger. Deckmantel ist dann die sogenannte Selbstverwaltung.

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