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Ist Homöopathie eine evidenzbasierte Therapie?

Stuttgart - 08.09.2022, 07:00 Uhr

Apotheker Dr. Christian Fehske sprach mit DAZ-Herausgeber Peter Ditzel über das Reizthema Homöopathie. (Fotos: privat)

Apotheker Dr. Christian Fehske sprach mit DAZ-Herausgeber Peter Ditzel über das Reizthema Homöopathie. (Fotos: privat)


Ein kleiner Antrag der Apothekerkammer Berlin zum Deutschen Apothekertag sorgt für viel Diskussionsstoff: Die Zusatzbezeichnung „Naturheilverfahren und Homöopathie“ der Musterweiterbildungsordnung soll ersetzt werden durch „Phytopharmazie und Naturheilverfahren“. Kommt dadurch das Aus für die qualifizierte Homöopathie-Beratung in Apotheken? Im Podcast spricht DAZ-Herausgeber Peter Ditzel darüber mit Apotheker Dr. Christian Fehske aus Hagen. 

An der Homöopathie scheiden sich die Geister: Während die einen in ihr sogar eine evidenzbasierte (Natur-)Wissenschaft sehen, ordnen die anderen die Homöopathie eher im Bereich des Glaubens an wissenschaftlich nicht erklärbare Phänomene und im Bereich der Edel-Placebos ein. 

Verfolgt man die Diskussionen der vergangenen Jahre um das Für und Wider der Homöopathie, kann der Eindruck entstehen, dass Kritiker und Gegner dieser Therapierichtung im Vormarsch sind. Auf der anderen Seite: In der Bevölkerung steht die Homöopathie als „sanfte Medizin“ nach wie vor hoch im Kurs, nicht zuletzt unterstützt durch Apothekerinnen und Apotheker, die sich eifrig in dem Fach Homöopathie weiterbilden und ein breites Sortiment an Homöopathika anbieten.

Aber wie sieht es denn wirklich mit wissenschaftlichen Belegen für die Wirksamkeit homöopathischer Arzneimittel aus? Das rbb-Magazin „Kontraste“ befasste sich im Mai dieses Jahres mit der Homöopathie und der Rolle der Apotheken. Und kam zu einem vernichtenden Urteil, das sich kurz so zusammenfassen lässt: Apotheken klärten die Patientinnen und Patienten nicht korrekt über Homöopathika auf, stattdessen würde auch bei schweren Krankheiten mit Homöopathika Geld gemacht. Ein Urteil, das viele Kolleginnen und Kollegen hart traf.  

Vielleicht war dieser Beitrag dann auch der Tropfen, der bei Ärztinnen und Ärzten das Fass zum Überlaufen brachte: Der Deutsche Ärztetag jedenfalls zog die Reißleine und strich bereits im Mai die Zusatzbezeichnung Homöopathie aus seiner Musterweiterbildungsordnung. Die Ärztekammern der Länder setzen dies derzeit nach und nach um. 

Und auch in Apothekerkreisen wurde man nachdenklich und reagierte. Nachdem im Frühjahr ein Journalist der Fortbildung „Homöopathie-Highlights“ der Apothekerkammer Westfalen-Lippe gelauscht hatte und er die Kammer danach mit strittigen Inhalten dieser Fortbildungsveranstaltung konfrontierte, erklärte die Kammer, sie werde „ab sofort keine Refresher-Seminare zum Thema Homöopathie mehr anbieten“ und der Referent werde ebenfalls nicht mehr für sie tätig sein.  

Antrag: Zusatzbezeichnung soll gestrichen werden

Und nun möchte auch die Apothekerkammer Berlin mit einem Antrag zum Deutschen Apothekertag bewirken, dass sich die Apothekerschaft von der Homöopathie als wissenschaftlich anerkannte und evidenzbasierte Arzneimitteltherapie distanziert. Mit ihrem Antrag will die Kammer erreichen, dass die Zusatzbezeichnung „Naturheilverfahren und Homöopathie“ der Musterweiterbildungsordnung gestrichen wird und durch eine Zusatzbezeichnung „Phytopharmazie und Naturheilkunde“ ersetzt wird. In der Begründung dazu heißt es: „Durch die Erlaubnis zum Führen des Titels ‚Apotheker(in) für Naturheilverfahren und Homöopathie‘ durch die Landesapothekerkammern wird suggeriert, dass die Homöopathie eine wissenschaftlich anerkannte und evidenzbasierte Arzneimitteltherapie ist.“ 

In unserem Podcast-Gespräch frage ich Dr. Fehske, ob es wirklich so gravierend sei, wenn das Wort Homöopathie nicht mehr bei den Titeln der Weiterbildungsordnung auftaucht und unter dem Begriff Naturheilverfahren subsumiert wird? Oder besteht dadurch sogar die Gefahr, dass die Homöopathie mittelfristig ihren Stellenwert verliert und nach und nach aus der Apotheke verschwindet?  

Fehske erläuterte, warum seiner Ansicht nach die Apothekerkammer Berlin mit diesem Antrag übers Ziel hinausgeschossen ist, gleichwohl er die Motivation für diesen Antrag verstehen kann. Sein Hauptkritikpunkt: Es ist für ihn nicht verständlich, warum die Zusatzbezeichnung Homöopathie den Anschein erweckt, sie sei eine wissenschaftlich anerkannte und evidenzbasierte Arzneimitteltherapie. Im Podcast-Gespräch frage ich ihn aber auch, was er einem Kunden sagen würde, der ihn mit der Aussage konfrontiert, die Homöopathie sei doch nichts anderes als eine Placebo-Therapie. Seine Antwort erfahren Sie im Podcast.  


Peter Ditzel (diz), Apotheker / Herausgeber DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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6 Kommentare

EBM über alles?

von Christian Fehske am 09.09.2022 um 11:13 Uhr

Lieber Kollege,
ich schätze die evidenzbasierte Medizin - obwohl ich auch ihre Limitationen kenne. Aber selbst innerhalb der EBM werden auch klinische Erfahrungen (!) geschätzt und respektiert, selbst wenn sie nicht den Evidenzgrad einer ausreichend gepowerten, kontrollierten randomisierten Doppelblindstudie mit signifikanten und relevanten Ergebnissen bei ihren vorher definierten Endpunkten haben mag. Solche Evidenz ist aber in der Tat selten - nicht nur in der Naturheilkunde! Schauen Sie sich mal ACCORD/ADVANCE/VADT an: um den Nutzen intensiv blutzuckersenkender Therapien bei Typ-2-Diabetes zu beweisen, waren Studien mit Zehntausenden Patienten und Zeiträumen von Jahrzehnten erforderlich, und ganz so eindeutig wie man es vielleicht erwartet hätte, waren Ergebnisse nicht mal dann. - Anderes Beispiel: nach den Spielregeln der EBM dürfen die Ergebnisse einer der als am wichtigsten eingeschätzten klinischen Studien (UKPDS) für eines der am häufigsten eingesetzten Medikamente (Metformin) nicht als "vor Herzinfarkten schützend" interpretiert werden, weil der (vielleicht berühmteste) p-Wert dazu "0,052" lautete, und damit die übliche, so definierte "Zufallsgrenze" von "nur jedes 20. Studienergebnis darf statistisch ein zufälliges sein, aber nicht mehr" knapp verfehlt wurde. Jeder Diabetologe weiß trotzdem, wie er dieses Ergebnis einschätzen kann.
Es führt m.E. die EBM nicht ad absurdum, ihre Limitationen anzuerkennen - gerade auf der Ebene individueller Patienten und bei Therapien, bei denen das Verhältnis von Therapeut / Berater und Patienten eine wichtige Rolle spielt. Sondern es bereichert unser Therapiespektrum, auch Therapieformen außerhalb dieser Grenzen zu nutzen, und nicht allein aufgrund fehlender Evidenz zu "verbannen", zumindest nicht so lang dabei uralte Grundsätze der Medizin gewahrt bleiben wie: "Primum non nocere" - oder: wer heilt hat recht?
In Seminaren zur EBM wird das Thema fehlender Evidenz zu aufgrund vorhandener Erfahrungen manchmal etwas augenzwinkernd mit der Frage thematisiert: "Brauche ich, bzw. werde ich wohl bei einer Recherche eine klinische Studie finden zum Nutzen von Fallschirmen beim Sprung aus einem Flugzeug?" :-) Und wenn man 200 Jahre lang gute Erfahrungen mit etwas gemacht hat - welchen Nutzen verspricht man sich dann genau von der Abschaffung?
Und nochmals: ich würde mir nicht zutrauen mit Sicherheit auszuschließen, dass es unter keinen Umständen jemals ein Studiendesign geben könnte, mit dem sich für eine homöopathische Behandlung (also inkl. Beratungsgespräch, Mittelauswahl, und Einnahmeberatung zu dem entsprechenden homöopathischen Arzneimittel) irgendeine Art von Nutzen, nicht einmal auf Ebene von HRQoL zeigen ließe. Trotz aller Schwächen der heute schon verfügbaren Evidenz schätze ich beispielsweise den Ansatz einer Studie zur Behandlung einer unkomplizierten Otitis Media von Wustrow (2005, in: HNO), der eine Reduktion (vermutlich nicht induzierter) Antibiotikagaben durch ein homöopathisches Mittel zeigen konnte, ähnliche Hinweise gibt es auch zu Erkältungserkrankungen aus Frankreich von Grimaldi-Bensouda et al. etc. Trotzdem habe ich weder im Podcast gesagt, noch würde ich es, dass man Homöopathie derzeit als evidenzbasiert charakterisieren sollte.
Eine Diskussion um "Gleichrangigkeit" schwach oder gar nicht evidenzbasierter Arzneimittel empfinde ich allerdings offen gestanden als ein wenig akademisch: Jeder Apothekenleiter ist doch frei, z. B. in der Gestaltung seiner Sichtwahl, oder seiner im QMS festgelegten Beratungsprozesse eine "Rangfolge" von Arzneimitteln festlegen - und wer dabei aufgrund fehlender Evidenz z. B. Neurexan, Tonsipret, Meditonsin, Traumeel, Eurphrasia Augentropfen, Viburcol & Osanit etc. lieber verstecken und davon abraten mag, möge es doch gern tun. Dann sollte man dabei aber nicht aufhören, sondern kann gleich mit den meisten Nahrungsergänzungsmitteln weitermachen, den Großteil der Erkältungspräparate in den Keller räumen.
Das Positionspapier Apotheke 2030 fordert uns auf, grundsätzlich evidenzbasiert zu beraten. Der Satz direkt danach lautet allerdings: "Zugleich erkennen sie deren Wünsche und Bedürfnisse hinsichtlich der Therapie an und beraten sie empathisch, frei von Zwang und unabhängig von Interessen Dritter."
Aktuell vermisse ich in der bisherigen Debatte z. B. um die Streichung der Homöopathie aus dem WB-Titel ein wenig eben jene Anerkennung von Wünschen nach Therapien, die über die EBM hinausgehen.

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Wo ist der Beweis?

von Michael Mischer am 08.09.2022 um 14:50 Uhr

Natürlich kann man naturwissenschaftlich ausgebildet sein und Homöopathie befürworten - man kann schließlich auch naturwissenschaftlich ausgebildet sein und einer Kirchengemeinschaft angehören.

Die Frage ist aber doch eine andere:
Sollte eine nicht auf naturwissenschaftlichen Prinzipien basierende Therapieform ein Weiterbildungssiegel erhalten? Nicht nur das, eine Therapieform, die es bisher nicht geschafft hat, ihren Nutzen zu belegen - obwohl sie es wiederholt versucht hat.

Könnte es da nicht auch einen Fachapotheker fürs Gesundbeten geben? Einen Fachapotheker für germanische Medizin? Der allein auf Glauben basierenden Therapieformen gibt es viele...

Die Apotheken ist für Homöopathika doch nicht deshalb notwendig, weil man Homöopathika falsch anwenden könnte - sie ist notwendig, um zu verhindern, dass Menschen die Allopathie fälschlich vermeiden.

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AW: Wo ist der Beweis

von Christian Fehske am 08.09.2022 um 19:54 Uhr

Wenn beim Gesundbeten Arzneimittel eingenommen werden würden, und ca. 60% der Deutschen das regelmäßig täten, würde ich in der Tat begrüßen wenn sich Apotheker auch damit beschäftigen würden. :-)
Und auch Allopathie kann fälschlich eingesetzt werden (z. B. nicht indizierte Antibiotikagabe bei Erkältungserkrankungen viraler genese). Wenn in solchen Fällen als "Nebenwirkung" einer Empfehlung zu homöopathischen Alternativen reale Risiken fälschlich eingesetzter Allopathie vermieden werden, sähe ich darin einen potenziellen Nutzen, und nichts was m.E. zu vermeiden wäre.
Im übrigen lautet ein Grundsatz der EBM: Absence of evidence (for efficacy) is not to be confused with evidence of absence (for efficacy). - Trotzdem basierte zumindest ab März 2017 der Einsatz von medizinischem Cannabis erstmal auch noch auf einer Menge "Glauben" und gar nicht mal so vielen Beweisen... :-)
Und (auch?) hier macht es die Vielfalt der Variablen (Gehalt von THC/CBD, unterschiedliche Blüten, Krankheitsbilder, Dosierungen, etc.) zu einer Herausforderung, für "gute" Evidenz zu sorgen.
Ob man Effekt zumindest auf z. B. HRQoL mit entsprechend dimensionierten Studien finden / "beweisen" könnte, werden wir leider so schnell wohl nicht herausfinden - so lang sie niemand bezahlt. :-)

AW: Wo ist der Beweis

von Michael Mischer am 09.09.2022 um 8:17 Uhr

Lieber Kollege,

auch wenn der von Ihnen zitierte Satz zur Unterscheidung des Fehlens von Evidenz für eine Wirkung von Evidenz zum Fehlen einer Wirkung zutreffend ist, führt es die evidenzbasierte Medizin ad absurdum, wenn er dazu verwendet wird, Therapien zu unterstützen, für die (wie bei der Homöopathie) wiederholt der Versuch gescheitert ist, eine Wirksamkeit nachzuweisen. Über inzwischen mehr als 200 Jahre.

Blickt man auf die Weiterbildungscurricula der BAK, so wird in der genannten Weiterbildung in einem Großteil der für den Teilbereich Homöopathie vorgesehenen Stunden vermittelt, welche Homöopathika bei welchen Krankheitsbildern verwendet werden sollen. Das ist am Ende die Vermittlung tradierten Wissens aus dem evidenzfreien Raum.

Am Ende steht aber aktuell diese Weiterbildung gleichrangig neben bspw. der Weiterbildung Geriatrische Pharmazie, in der durch klinische Studien belegte Erkenntnisse zur Pharmakotherapie im Alter ebenso vermittelt werden wie Ansätze zum Umgang mit der Problematik, dass oftmals aufgrund des fehlenden Einschlusses geriatrischer Patienten in klinische Studien ein Transfer der Evidenz erforderlich ist.

Diese Gleichrangigkeit ist meines Erachtens unangemessen und solle beendet werden.

Und dennoch weist der Antrag für den DAT meines Erachtens einen Mangel auf: Blickt man in den Teilbereich Naturheilverfahren, so ist das Bild da genauso düster wie bei der Homöopathie. Insofern geht der Antrag eigentlich nicht weit genug.

Aber gut, wir werden sehen - wenn uns schon die Gesundheitspolitiker im Stich lassen, dann werden wir an dieser Stelle wenigstens untereinander eine spannende Diskussion haben.

AW: Statt Beweis - Konsens-Statement

von Christian Fehske am 09.09.2022 um 15:01 Uhr

Lieber Herr Kollege, (liebe Leser unseres Austauschs)
soeben habe ich ein in meinen Augen lesenswertes Konsensus-Statement zu "Homöopathie in der medizinischen Versorgung" zugeschickt bekommen, das ich gern mit Ihnen teilen möchte:
https://www.researchgate.net/publication/354672226_Homoopathie_in_der_medizinischen_Versorgung_Konsens_10_Experten_-_10_Statements
Mit freundlichem Gruß, Christian Fehske

AW: Wo ist der Beweis

von Gregor Dinakis am 13.09.2022 um 12:43 Uhr

Ja genau, fragen wir doch 10 Homöopathen, was sie davon halten. :D

Ein vom Vatikan verfasstes Pamphlet ist sicher genauso tragfähig, die Existenz göttlicher Entitäten anzuerkennen.

Nochmal für Physik-Noobs: wir können mittlerweile Gravitationswellen fremder Himmelskörper sowie röntgenkristallgrafisch ganze Proteinstrukturen erkennen.

Wo nichts ist, kann nichts wirken. Wie man, nach einem durch und durch naturwissenschaftlichen Studium, einfachste physikalische Grundprinzipien nicht anzuerkennen vermag, unglaublich im Jahr 2022.

Zur Überschrift: was ohne Beweise behauptet wird, kann auch ohne Beweise abgelehnt werden.

Ich mach mir aber keine Hoffnungen für euch: Die kognitive Dissonanz hat bereits zu tiefe Furchen gegraben.
Nach dem Lesen meiner Zeilen wird nur borniert die Stirn gerunzelt worden sein, unfähig zu verstehen, dass der Kaiser schon immer nackt war.

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