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Neuer Ansatz für Wirkstoffentwicklung
Warburg-Effekt: Alzheimer-Neuronen zeigen gleichen Stoffwechsel wie Tumoren
Der sogenannte Warburg-Effekt könnte einen neuen Ansatz zur Behandlung der Demenz-Erkrankung bieten: Forscher der Universität Innsbruck konnten im Labor zeigen, dass die Neuronen von Alzheimer-Patienten die gleiche typische Veränderung im Glucose-Stoffwechsel vollziehen wie Krebszellen. Statt Glucose in der Glykolyse abzubauen, wechseln sie zur sauerstofflosen Milchsäure-Gärung. Könnte der pflanzliche Wirkstoff Shikonin das Zellsterben bei Alzheimer aufhalten?
Seit rund 100 Jahren kennt man den Warburg-Effekt, benannt nach dem deutschen Arzt, Biochemiker und Physiologen Otto Heinrich Warburg. Bislang galt er als ein typisches Merkmal für Tumorzellen – Wissenschaftler der Universität Innsbruck konnten nun aber zeigen, dass auch die Nervenzellen von Alzheimer-Betroffenen den gleichen Wechsel ihres Stoffwechsels vollziehen.
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Warburg entdeckte in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, dass Tumorzellen einen typischen Wechsel in ihrem Glukose-Stoffwechsel durchmachen. Statt Glucose in der Glykolyse abzubauen und das Produkt Pyruvat anschließend im Citratzyklus der Mitochondrien energiebringend zu „veratmen“, wechseln entartete Krebszellen selbst bei ausreichend angebotenem Sauerstoff zur alternativen sauerstofflosen Milchsäure-Gärung. Pyruvat wird mit geringerer Energieausbeute zu Milchsäure (Laktat) abgebaut, welches ausgeschieden wird. Der Stoffwechselweg ist dabei grundsätzlich immer möglich – auch etwa gesunde Muskelzellen gehen diesen Weg – aber nur für kurze Zeit, wenn unter hoher Belastung Sauerstoff fehlt. Anders als Krebszellen oxidieren sie aber anschließend die Milchsäure wieder – Sportler und Biochemiker kennen dazu den Begriff „Sauerstoffschuld“. Krebszellen einer überwiegenden Art von Krebsarten nutzen diesen eigentlich weniger effizienten Weg aber immer. Ansonsten gilt der Stoffwechselweg mit einer Reihe typischer, sonst nicht vorhandener Enzyme als ein fötaler, noch unentwickelter Vorgang.
Alzheimer-Neuronen ähneln Krebszellen
Die promovierte Molekularbiologin Larissa Traxler, Forscherin in der Arbeitsgruppe von Professor Jerome Mertens im „Neural Aging Laboratory“ am Institut für Molekularbiologie der Uni Innsbruck veröffentlichte nun als Erstautorin eine Arbeit im Fachmagazin „Cell Metabolism“, in der sie und ihre Kolleg:innen – unter anderem vom Salk Institut und der Universität Denver – darlegen konnten, das auch die Nervenzellen von Alzheimer-Betroffenen genau diesen typischen Wechsel ihres Stoffwechsels vollziehen.
Unsere bisherigen Untersuchungen haben bereits gezeigt, dass Alzheimer-Neuronen Krebszellen sehr ähnlich sind – mit dem großen Unterschied, dass Krebszellen unkontrolliert wachsen und Alzheimer-Neuronen unkontrolliert absterben. In der vorliegenden Arbeit haben wir uns deshalb speziell auf den Metabolismus der Alzheimer-Nervenzellen fokussiert und diesen mit dem sehr spezifischen und gut erforschten Metabolismus von Krebszellen verglichen“
In ihrem Forschungsansatz verwendeten die Wissenschaftler:innen sogenannte induzierte Neuronen in Zellkultur. Dabei handelt es sich um Nervenzellen, die aus Hautzellen (Fibroblasten) von Alzheimer-Patient:innen gezüchtet werden und die alle genetischen und altersspezifischen Merkmale der Betroffenen aufweisen.
Alzheimer-Demenz: Neuronen sterben ab, wenn sie sich verändern
Neben vielen noch ungeklärten Faktoren, besonders bei der nicht erblich bedingten Form der Alzheimer-Erkrankung, vermuten die Forschenden, dass dieser Wechsel des Stoffwechselweges einen Anteil am beobachteten vermehrten Untergang von Nervenzellen bei der Alzheimer-Demenz hat. „Alzheimer-Neurone machen einen sehr ähnlichen Wechsel zum embryonalen Metabolismus durch wie Krebszellen. Da in Nervenzellen allerdings, sobald sie sich zu teilen beginnen, der Zelltod eingeleitet wird, sterben diese anders als Krebszellen, die sich unkontrolliert vermehren, ab“, sagt Traxler. Diesen Effekt konnten die Forscher:innen auch in ihrer Arbeit nachweisen.
„Warum es diesen Switch gibt, ist derzeit noch unbekannt und könnte auch sehr unterschiedliche Ursachen haben, die oft sehr schwer zu greifen sind, da man nie die ganze Lebensgeschichte des Patienten kennt“, sagt die Forscherin. „Es wird auf jeden Fall viel daran geforscht, wie Umwelteinflüsse so einen Switch und damit Alzheimer auslösen können und es kann gut sein, dass Events wie bestimmte Formen der Hypoxie, Viruserkrankungen, Stress, Unfälle und deren Auswirkungen auf die Epigenetik eine große Rolle darin spielen“, erklärt sie.
Typisches Enzym des Warburg-Effekts als therapeutischer Ansatz?
Auch bei Krebszellen ist die Ursache des Warburg-Effekts noch Gegenstand der Forschung. Allerdings nutzt man unter anderem ein typisches Enzym des geänderten Stoffwechselweges etwa als Tumormarker. Tests auf die dimere Form der Pyruvatkinase M2 (PKM2, M2-PK oder auch Tumor-M2-PK) sind bereits zugelassen, etwa zur Diagnostik von Darmkrebs.
Dieses typische Enzym kommt in Tumorzellen und fötalen Zellen vor – und auch in den Alzheimer-Neuronen, wie die österreichischen Wissenschaftler zeigen konnten. Grundsätzlich ließe sich somit ein PKM2-Nachweis eventuell auch zur Diagnostik der Alzheimer-Erkrankung entwickeln. „In unserem Paper haben wir auch in post-mortem Gehirnen von Alzheimer-Patienten die Proteinlevel von PKM2 gemessen. Man kann auch andere Marker des Warburg-Effekts in solchen Gehirnen messen. Wenn es um Diagnose geht, müsste man spezifische Marker in der Zerebrospinalflüssigkeit – oder besser im Blut – finden, wie etwa Laktat oder PKM2 als Marker für erhöhte Glykolyse“, sagt Traxler.
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In ihrer Arbeit gingen die Forschenden aber noch einen Schritt weiter. So ist bekannt, dass PKM2 als ein möglicher Ansatzpunkt für die Therapie von Krebs gilt. Für Forschungszwecke existieren bereits Hemmer und Modulatoren, die das Enzym, das für die Dephosphorylierung von Phosphoenolpyruvat zu Pyruvat zuständig ist, beeinflussen. Unter anderem der Wirkstoff Shikonin, der aus der Pflanze Lithospermum erythrorhizon stammt, wird als gegen PKM2 wirkendes Mittel gegen Krebs untersucht. Die Innsbrucker Forscher:innen nutzten daher Shikonin für ihre Arbeit. „Wir haben im Zellversuch überprüft, ob diese PKM2-Modulatoren auch bei Alzheimer-Nervenzellen wirken. Erfreulicherweise konnten wir zeigen, dass die Wirkstoffe, die den Warburg-Effekt in Krebszellen inhibieren, auch bei Alzheimer-Nervenzellen dazu führen, dass die Nervenzellen ihr Erwachsenenstadium länger beibehalten“, erklärt Traxler.
Die Forschenden schließen daraus, dass Wirkstoffe, die gegen PKM2 gerichtet sind, auch gegen Alzheimer Wirkung zeigen könnten:
In den nächsten Schritten wird ein Wirkstoff entwickelt, der optimal für den Gebrauch im menschlichen Gehirn angepasst wird. Eventuell kollaborieren wir dazu mit Firmen, die schon PKM2-Modulatoren patentiert haben, die die Bluthirnschranke überwinden können und testen diese auf ihre Effektivität in den Zellkulturen an den induzierten Neuronen.“
Generell sei aber der Warburg-Effekt überhaupt ein möglicher Ansatzpunkt für Therapien. „Es existieren einige chemische Moderatoren, die darauf hinausführen, diesen metabolischen Switch umzukehren. Dazu kommen auch noch Änderungen in der Ernährung, etwa auch Nahrungsergänzungsmittel und andere Umwelteinflüsse“, sagt Traxler. Damit bieten sich neben PKM2-Modulatoren eventuell weitere Forschungsansätze.
Verbesserte Zellkultur-Modelle sollen Forschung erleichtern
Als eine Einschränkung ihrer Ergebnisse schreiben die Forschenden um Traxler und Mertens in dem Paper, dass ihre Zellkulturen isoliert nur Neuronen beinhalten und so etwa die natürlichen Effekte von Glia-Zellen, die am Hirnstoffwechsel beteiligt sind, fehlen. „Dass es keine Interaktion mit Glia-Zellen gibt, ist zugleich eine Stärke, als auch eine Schwäche. Auf der einen Seite können wir so direkt den Effekt von sporadischem Alzheimer in den Nervenzellen messen“, sagt Traxler. Die meisten anderen metabolischen Studien würden auf zerebrospinaler Flüssigkeit basieren. „Daher wusste man nie, zu welchem Ausmaß die Nervenzellen dazu beitragen. In solchen Studien konnte man schon erhöhte Laktat-Werte, als auch erhöhte Proteine des PKM2 oder LDHA (Lactatdehydrogenase A) messen, jedoch dachte man immer, dass dies von den aktivierten Astrozyten und Microglia kommt“, erklärt sie.
Um zukünftig aber auch in-vitro ein Modell des Nervensystems widerspiegeln zu können, arbeite man gerade darauf hin, auch direkt induzierte Astrozyten, Microglia, und Oligodendrozyten aus Fibroblasten von Patienten herzustellen, sagt sie. „Zurzeit gibt es schon Modelle, die diese Zelltypen aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSCs) herstellen können, diese verlieren aber das Alter und sind daher nicht optimal.“ Derzeit erschienen aber viele Arbeiten, die eine direkte Konversion zur Produktion von „alten“ Glia-Zellen beschreiben würden – man könne wohl bald mit entsprechend verbesserten Zellkulturmodellen rechnen, sagt Traxler.
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