Systemische nichtsteroidale Antirheumatika

NSAR wie Ibuprofen in der Schwangerschaft – nur auf ärztlichen Rat einnehmen

Stuttgart - 16.08.2022, 07:00 Uhr

Für Zulassungsinhaber von topischen NSAID-haltigen Arzneimitteln gelten die neuen Sicherheitshinweise noch nicht. (b/Foto: luengo_ua / AdobeStock)

Für Zulassungsinhaber von topischen NSAID-haltigen Arzneimitteln gelten die neuen Sicherheitshinweise noch nicht. (b/Foto: luengo_ua / AdobeStock)


Wie das BfArM mitteilt, werden europaweit die Produktinformationen zu systemischen NSAID-haltigen Arzneimitteln aktualisiert. Für die Beratung in der Apotheke ist das wichtig, weil damit Paracetamol als Schmerz- und Fiebermittel der Wahl in der Schwangerschaft noch wichtiger wird. Ist der Einsatz von Ibuprofen oder anderen NSAR in der Schwangerschaft über mehrere Tage unvermeidbar, sollte dies sonographisch überwacht werden.

So hat es wahrscheinlich jede Apothekerin und jeder Apotheker gelernt: „Ibuprofen gehört in den ersten zwei Dritteln der Schwangerschaft neben Paracetamol zu den Analgetika/Antiphlogistika der Wahl.“ Später darf es nicht mehr eingenommen werden (ab Schwangerschaftswoche 28), weil NSAR (nichtsteroidale Antirheumatika, auch NSAID) zu einem vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus Botalli beim Fetus und zu einer Schädigung der fetalen und neonatalen Nierenfunktion führen können. So kann man es aktuell noch immer bei Embryotox nachlesen. 

Mittlerweile spricht jedoch immer mehr gegen den Einsatz von systemischen NSAR in der Schwangerschaft. Bereits im Januar 2021 ging die DAZ der Frage nach, ob Schwangere bereits ab Mitte einer Schwangerschaft NSAR meiden sollten. Vorausgegangen war eine Empfehlung der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA, wonach Schwangere Ibuprofen und andere NSAR bereits ab der 20. Schwangerschaftswoche meiden sollen. Grund sind Nierenprobleme beim ungeborenen Kind, was zu einer verringerten Menge an Fruchtwasser (Oligohydramnion) führen kann.

Natürlich sollte Ibuprofen wie jede Medikation in der Schwangerschaft schon immer nicht unkritisch und vor allem (ohne ärztlichen Rat) nicht tagelang oder über mehrere Wochen eingenommen werden. Allerdings erklärte die FDA im Oktober 2020, dass ein Oligohydramnion bereits „zwei Tage nach Beginn einer regelmäßigen Einnahme von NSAR beobachtet werden“ kann. Wer nun schwanger zwei Tage lang Ibuprofen eingenommen hat, muss nicht direkt in Panik verfallen, denn das Phänomen gilt nach Absetzen der Medikation als reversibel. Die FDA forderte aber, dass entsprechende Warnhinweise in die Packungsbeilagen aufgenommen werden. 

Jetzt ist man auch in Europa so weit: Wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) am 9. August mitteilte, hat der Pharmakovigilanzausschuss der europäischen Arzneimittelbehörde EMA im Juli 2022 über entsprechende Änderungen der Produktinformationen von NSAR-haltigen Arzneimitteln beraten. Die „Co-ordination group for Mutual recognition and Decentralised procedures – human“ hat sich anschließend auf einen für Europa harmonisierten Text geeinigt. Demnach soll in der Packungsbeilage künftig darauf hingewiesen werden, dass man NSAR nicht anwenden soll,

„…wenn Sie sich in den letzten drei Monaten der Schwangerschaft befinden, da dies Ihr ungeborenes Kind schädigen oder Probleme bei der Geburt verursachen könnte. Es kann Nieren- und Herzprobleme bei Ihrem ungeborenen Kind verursachen. Es kann Ihre Blutungsneigung und die Ihres Kindes beeinflussen und dazu führen, dass der Geburtsvorgang später einsetzt oder länger andauert als erwartet.“ 

(Quelle:BfArM)

Außerdem sollte man NSAR während der ersten sechs Monate der Schwangerschaft nicht einnehmen, sofern es nicht absolut notwendig ist und vom Arzt empfohlen wird, heißt es. Vor allem wird aber neu der Hinweis eingefügt:

„Wenn Sie [NSAR] ab der 20. Schwangerschaftswoche für mehr als ein paar Tage einnehmen, kann dies bei Ihrem ungeborenen Kind Nierenprobleme verursachen, was zu einer verringerten Menge des Fruchtwassers, welches Ihr Kind umgibt, führen kann (Oligohydramnion) oder es kann zur Verengung eines Blutgefäßes (Ductus arteriosus) im Herzen Ihres Kindes kommen. Wenn Sie länger als ein paar Tage behandelt werden müssen, kann Ihr Arzt eine zusätzliche Überwachung empfehlen.“ 

(Quelle:BfArM)

Und so steht auch aktuell bei Embryotox zu Ibuprofen, dass bei wiederholter Einnahme – allerdings im letzten Schwangerschaftsdrittel (nach Schwangerschaftswoche 28) – „der fetale Kreislauf sonographisch (Doppler-Sonographie) auf Veränderungen der Hämodynamik im Ductus arteriosus kontrolliert und ein Oligohydramnion ausgeschlossen werden“ sollten. Und:


Diese Diagnostik wird auch dann empfohlen, wenn NSAID zwischen Schwangerschaftswoche 20 und 28 regelmäßig und mehrere Tage hintereinander oder sogar wochenlang angewendet wurden. Kurz vor dem Entbindungstermin am Ende des dritten Trimenon wird eine dopplersonographische Kontrolle des Ductus arteriosus bereits bei Einzeldosen empfohlen.“

Embryotox zu Ibuprofen, Stand 15. August 2022


Während auch der Einsatz von Paracetamol in der Schwangerschaft zwar immer wieder kritisch hinterfragt wird, ist und bleibt Paracetamol nun umso mehr ein unverzichtbares Arzneimittel in der Schwangerschaft. Zusammenfassend ist laut Embryotox zu Paracetamol festzustellen, dass auch dieses nicht leichtfertig eingenommen werden darf. So gibt es auch im „Zusammenhang mit einer Paracetamol-Exposition am Ende der Schwangerschaft […] einige Fallberichte zu einem vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus Botalli beim Fetus“. Doch eine prospektive Beobachtungsstudie mit 604 exponierten Schwangeren (im dritten Trimenon) soll dies nicht gezeigt haben. „Dies spricht dafür, dass das Risiko offenbar sehr gering ist.“

Für Zulassungsinhaber von topischen NSAID-haltigen Arzneimitteln gelten die Textanpassungen übrigens noch nicht. Sie werden jedoch aufgefordert, dies in den kommenden PSURs (Periodische Sicherheitsberichte / Periodic safety update reports) zu diskutieren. Zudem sind Arzneimittel, die Acetylsalicylsäure (ASS) enthalten, derzeit ausgenommen, erklärt das BfArM. Weitere Hinweise für diese Arzneimittel würden nach Abschluss einer Zulassungsänderung des Originalherstellers gegeben. ASS ist in der Schwangerschaft laut Embryotox bis Woche 28 nur ein Analgetikum und Antipyretikum der zweiten Wahl. Eine „Low dose“-Behandlung könne bei entsprechender Indikation aber in der ganzen Schwangerschaft durchgeführt werden.


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Vorsicht

von Christina Del Prete am 16.08.2022 um 21:52 Uhr

Wenn bei Medikamenten, die schon lange auf dem Markt sind, zur Vorsicht geraten wird, habe ich ehrlich gesagt grosse Schwierigkeiten, zu verstehen, warum dann nicht zur Vorsicht bei mRNA-Injektionen geraten wird, zu denen nur unzureichende Studien in der Schwangerschaft vorliegen und die nicht vor Ansteckung, Transmission und schwerem Verlauf schützen? Warum sinken die Geburtsraten im Jahre 2022?

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