Übersichtsarbeit über 830 Studien

Klimakrise und Verbreitung von Krankheitserregern – Anpassung unmöglich?

Stuttgart - 09.08.2022, 07:00 Uhr

Die Flutkatastrophe im Ahrtal hat den Menschen in Deutschland zuletzt die Auswirkungen von Extremwetter-Ereignissen sehr bewusst gemacht. (x / Foto: Christian / AdobeStock)

Die Flutkatastrophe im Ahrtal hat den Menschen in Deutschland zuletzt die Auswirkungen von Extremwetter-Ereignissen sehr bewusst gemacht. (x / Foto: Christian / AdobeStock)


Eine neue Übersichtsarbeit über 830 Studien soll zeigen, dass es schwierig bis unmöglich wird, die stärkere Ausbreitung von Krankheiten durch den Klimawandel zu verhindern oder sich daran anzupassen. Ein Experte rät deshalb gegenüber dem Science Media Center zu einem aggressiven Vorgehen zur Minderung der Treibhausgasemissionen und zur Entwicklung von Szenarien zur Stechmückenbekämpfung.

Wie das Science Media Center (SMC) berichtet, ist im Fachjournal „Nature Climate Change“ eine Studie erschienen, die gerade den Gesundheitsberufen klarmachen dürfte, wie wichtig es ist, der Klimakrise so schnell und umfassend zu begegnen wie möglich. Denn laut dem Titel der Studie sollen mehr als die Hälfte der bekannten humanpathogenen Erkrankungen durch den Klimawandel verschlimmert werden können (DOI: 10.1038/s41558-022-01426-1).

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Die Arbeit stamme von einem Forschungsteam aus Hawaii, das 830 Studien ausgewertet hat, so das SMC. Darin sei untersucht worden, wie sich die Ausbreitung von 286 verschiedenen Krankheiten durch den Einfluss einzelner Extremwetterereignisse oder Klimaveränderungen verändert. Für 277 dieser Krankheiten sollen die Studien zeigen, dass die Auswirkungen des Klimawandels die Verbreitung oder Schwere der Krankheiten verstärkt habe. Dabei gehe es nicht nur um Krankheiten, die durch Bakterien und Viren ausgelöst werden, sondern auch durch Pollen, Pilzsporen, Algen und Gifte von Tieren. Beim Abgleich der Ergebnisse mit Listen von Gesundheitsbehörden, die insgesamt 378 bekannte Krankheiten aufführen sollen, sei schließlich für 58 Prozent durch die Übersichtsarbeit belegt, dass sie durch Extremwetter oder Klimaveränderungen verschlimmert werden können.

Die Autorinnen und Autoren wollen schließlich mehr als 1.000 mögliche Zusammenhänge zwischen klimawandelbedingten Ereignissen und der Ausbreitung von Krankheiten identifiziert haben. Diese haben sie hier grafisch aufbereitet dargestellt. Als Gründe werden beispielsweise aufgeführt:

  • Dürren drängen Wildtiere näher an Wohngebiete, wodurch das Risiko für Zoonosen steigt.
  • Überflutungen oder Stürme können Menschen zwingen, in Gegenden zu ziehen, in denen sie stärker bestimmten Keimen ausgesetzt sind.
  • Erhöhte Temperaturen können die Verbreitung von Erregern begünstigen, weil beispielsweise pathogene Algen, Bakterien und Mücken (als Überträger) in wärmeren Umgebungen besser gedeihen.
  • Extremwetter können die medizinische Versorgung oder Trinkwassersysteme stören und das Immunsystem schwächen.

Anhand der zahlreichen Übertragungswege werde deutlich, dass es schwierig oder unmöglich sei, die stärkere Ausbreitung von Krankheiten durch den Klimawandel zu verhindern oder sich daran anzupassen.

Reduzierung der Treibhausgasemissionen muss weiter im Fokus stehen

Dr. Renke Lühken, Leiter der Arbeitsgruppe Arbovirus-Ökologie am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM), ordnet die Studie gegenüber dem SMC ein: „Die Studie zeigt eindrücklich, dass viele unterschiedliche Übertragungspfade einen Einfluss auf diverse Krankheitserreger haben. Diese Vielschichtigkeit macht eine gesellschaftliche Anpassung sehr schwierig, sodass die Reduzierung der Treibhausgasemissionen als wichtigste Gegenmaßnahme weiter im Fokus stehen muss.“

Wie komplex die Veränderungen sind, macht Lühken am Beispiel von Stechmücken deutlich: Deren verstärkte Ausbreitung sei vor allem besorgniserregend, weil nur gegen wenige der so übertragenen Erreger zugelassene Impfstoffe existierten. Doch erklärt er auch: „Interessanterweise können auf dieselben Krankheitserreger dieselben Prozesse jedoch einen unterschiedlichen Einfluss haben. Dürreperioden können beispielsweise die Prävalenz von Malaria oder des Chikungunya-Fiebers durch die Verringerung der Brutstätten von Stechmücken reduzieren. Aber in anderen Fällen kann Dürre zu einer erhöhten Dichte an Stechmücken in weniger Brutplätzen führen. Für das Verständnis dieser kontextabhängigen Prozesse besteht noch weiterer Forschungsbedarf.“ 

Europa und Deutschland bleibt von solchen Effekten keineswegs verschont. So nennt Lühken beispielsweise die Etablierung der asiatischen Tigermücke in weiten Teilen Europas.

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Und es geht nicht nur um exotische Stechmückenarten: „Gleichzeitig breiten sich durch einheimische Stechmückenarten übertragene Krankheitserreger wie der Hundehautwurm oder das West-Nil-Virus in Europa aus. Im Hitzesommer 2018 kam es erstmals zu einem Ausbruch des West-Nil-Virus in Deutschland. Seitdem kommt es jährlich zu Krankheitsfällen bei Vögeln, Pferden und Menschen. Die Übertragungswahrscheinlichkeit dieses Virus steigt bei zunehmenden Temperaturen.“ Laut Lühke müssen nun, neben der aggressiven Minderung der Treibhausgasemissionen, Überwachungssysteme etabliert werden, „um Änderungen in der Prävalenz der Krankheitserreger frühzeitig erfassen zu können. Außerdem müssen schon jetzt Szenarien zur Prävention entwickelt werden – beispielsweise zur Stechmückenbekämpfung.“

Übrigens ist auch RKI-Chef Professor Lothar Wieler der Meinung, dass Ärzt:innen für solche durch die Klimakrise vermehrt übertragenen Krankheiten sensibilisiert werden müssen. 


Deutsche Apotheker Zeitung / dm
redaktion@daz.online


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