Präqualifizierung extrem (Teil 5)

Prima Klima – dicke Luft dank Bürokratie

Bonn - 26.07.2022, 17:50 Uhr

Die Hilfsmittelversorgung bringt viele Apotheken an ihre Grenzen. (s / Foto: StockPhotoPro / AdobeStock) 

Die Hilfsmittelversorgung bringt viele Apotheken an ihre Grenzen. (s / Foto: StockPhotoPro / AdobeStock) 


Nicht nur das zwischenmenschliche Betriebsklima und eine hohe pharmazeutische Beratungsqualität sind zentrale Erfolgsfaktoren für Apotheken. Auch die Sicherstellung der korrekten Lagerbedingungen für Arzneimittel und sonstige potenziell temperaturempfindlichen Apothekenwaren spielt eine essenzielle Rolle im Apothekenalltag, nicht erst seit Einführung der Präqualifizierung. Im fünften Teil unserer Serie widmen wir uns der Temperaturüberwachung von Hilfsmitteln.

Apothekerinnen und Apotheker verfügen über immense Expertise zu den unterschiedlichen arzneimittelbezogenen Themen. Im Studium werden verschiedene Themenkomplexe gelehrt und in einer Vielzahl von Prüfungen immer wieder detailliert abgefragt. Nicht nur die korrekte Anwendung und Herstellung von Arzneimitteln steht im Zentrum der pharmazeutischen Ausbildung. Mindestens ebenso intensiv werden unter anderem auch die Prüfung und Aufbewahrung von Arzneimitteln, Gefahrstoffen, pharmazeutischen Drogen und anderen apothekenüblichen Waren abgehandelt.1 Und so weiß unstrittig jeder Apotheker und jede Apothekerin, dass verschiedene pharmazeutische Waren auch verschiedener Lagertemperaturen bedürfen, die unbedingt einzuhalten und regelmäßig zu überprüfen sind.

Unsere Fachkenntnisse über die genaue Definition des Wortes „Raumtemperatur“, über die Klimazonen der Erde und die Wichtigkeit der Durchführung von Stabilitätsprüfungen von Arzneimitteln unter definierten Bedingungen reichen gemäß der Apothekenbetriebsordnung für die fachgerechte Lagerung und Abgabe von Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten aus.2 Wir sind also infolge unseres intensiven Studiums dazu befähigt, die Bevölkerung Deutschlands mit diesen, teilweise (über-)lebenswichtigen, Gesundheitsgütern zu versorgen.

Für die Versorgung mit Hilfsmitteln scheinen hingegen andere Ansprüche zu gelten. Unsere – durch die Approbation bestätigte – Fachexpertise allein reicht der gesetzlichen Krankenversicherung zur Übernahme der anfallenden Therapiekosten nicht aus. Die stattdessen geforderte Präqualifizierung (PQ) mit ihren regelmäßig wiederkehrenden, zeit- und kostenaufwendigen Audits und Re-Präqualifizierungen löst von jeher Unmut und Verständnislosigkeit in der Apothekerschaft aus. Die zusätzliche Aufnahme von Trinknahrungsprodukten in die PQ-pflichtige Hilfsmittelversorgung zu Jahresbeginn scheint dies weiterhin zu verstärken, wie uns Kolleginnen und Kollegen berichteten.

PQ-Stelle strenger als Apothekenüberwachung

Eine Apothekerin aus dem Saarland beispielsweise ärgerte sich bei ihrer Präqualifizierung von medizinischer Trinknahrung auch über die unterschiedlichen Ansprüche bei der Hilfsmittelbelieferung. Sie verstehe nicht, wieso die zuständige Apothekenüberwachung mit der Lagerung ihrer Arzneimittel immerzu zufrieden gewesen sei, die PQ-Stelle hingegen die Bedingungen für die am selben Ort aufbewahrten Hilfsmittel monierte. Streitpunkt sei die fehlende Dokumentation der Temperaturkontrollen an Sonn- und Feiertagen, auf welche die PQ-Stelle bestehe. 

Diese Anforderung scheint allerdings nicht universell zu gelten, wie uns andere Apothekenleitungen berichteten. Während bei einigen Apotheken der Nachweis über die Protokollierung der Temperatur eines von Montag bis Samstag selbst abgelesenen Raumthermometers kommentarlos akzeptiert werde, müssen andere wiederum, einige von ihnen bei ein und derselben PQ-Stelle, auch die Überprüfung an geschlossenen Tagen lückenlos nachweisen. Um nicht auch noch an Sonn- und Feiertagen extra hierzu in die Apotheke kommen zu müssen, schafften sich die Kollegin aus dem Saarland und andere Betroffene automatisierte Temperaturlogger an. Und dies ausschließlich zum Zwecke der Präqualifizierung. Weiterer Kostenaufwand also für eine Dienstleistung, deren Vergütung die Kosten und den Aufwand ohnehin nicht mehr kompensiere, wie uns ein Apotheker aus NRW schilderte.

Überwachung 24/7

Dieser Redaktion liegt ein auszugsweises Beanstandungsschreiben einer PQ-Stelle über vermeintlich unzureichende Nachweise zu den Lagerbedingungen einer Apotheke vor. In diesem wird unter anderem gefordert, dass die Kontrolle der Temperaturen „24 Stunden tägl. erfolgen“ und das Ableseprotokoll „an mindestens (sic!) sieben aufeinanderfolgenden Tagen“ geführt werden müsse. Also (mindestens?) rund um die Uhr. Verwiesen wird hierbei auf die notwendige Einhaltung der Herstellervorgaben. Doch wie sehen diese bei Trinknahrungsmitteln eigentlich aus?

Einer der vielfach mit seinen Produkten in deutschen Apotheken vertretenen Hersteller von medizinischer Trinknahrung ist die Firma Fresenius. Auf Anfrage teilte die Pressestelle der Firma mit, dass die Langzeitlagerungsbedingungen für ihre Fresubin®-Produkte zwischen 15 und 25 °C liege. Des Weiteren gebe es Ergebnisse aus Stabilitätsstudien, welche eine akzeptable Temperaturspanne von -18 °C bis +40 °C für einen Zeitraum von bis zu einem Monat belegen. Einschränkend merkt die Firma jedoch an, dass es einige wenige Produkte gebe, welche hiervon abweichen. Diese seien nur über einen kürzeren Zeitraum bei den genannten Temperaturen stabil. Insgesamt betrage die allgemeine Lagerempfehlung für Fresubin-Produkte 12 bis 15 Monate.

Dies ist natürlich lediglich einer von vielen Herstellern, sodass keine verbindlichen Rückschlüsse auf andere Produkte gezogen werden sollten. Dennoch liegt anhand dieser Auskunft die Frage nahe, ob tatsächlich Qualitätsmängel bei der üblichen Arbeitsweise vieler Apotheken zu erwarten sind. Immerhin handelt es sich um Betriebe, die auch verpflichtend an die gesetzlichen Vorschriften der Apothekenbetriebsordnung gebunden sind und demnach die Qualität von oftmals deutlich temperaturempfindlicheren Waren – nämlich Arzneimitteln – sicherstellen müssen.2 In einigen Fällen berichteten die betroffenen Apothekenleitungen, dass ihre Räumlichkeiten vollständig und rund um die Uhr klimatisiert seien. Trotz entsprechender Nachweise sei dies jedoch vielfach nicht von den Präqualifizierungsstellen als ausreichender Nachweis der adäquaten Lagerung akzeptiert worden.

Nicht nur der neue Versorgungsbereich der Trinknahrung ist von den Regelungen über die Lagerung betroffen. Schon zuvor war für einen Großteil der im Kriterienkatalog des GKV-Spitzenverbands aufgeführten Hilfsmittel die Einhaltung der laut Hersteller korrekten Umgebungsbedingungen obligatorisch.3 Und viele der davon betroffenen Produkte werden regelmäßig von Apotheken bezogen und an ihre Kundschaft abgegeben. Die Problematik mit der Temperaturüberwachung, und wie diese in der Praxis zu erfolgen hat, ist somit kein neues Phänomen.

Min-Max-Thermometer genügt nicht

Davon berichtete uns auch eine Kollegin aus Hessen. Sie habe jahrelang die Lagerungsbedingungen aller Apothekenwaren mittels Minimum-Maximum-Thermometer überwacht. Dass die Temperatur montags bis samstags täglich und für den Zeitraum zwischen Samstag und Montag mittels Ablesen des Min-Max-Thermometers am frühen Montagmorgen erfolgte, sei im Rahmen von Apothekenrevisionen sowie der Zertifizierung ihres Qualitätsmanagementsystems bisher immer unproblematisch gewesen. Ihre Präqualifizierungsstelle hingegen akzeptierte diese Vorgehensweise nicht. Es habe bislang noch nie Abweichungen bei der Auswertung des Min-Max-Thermometers gegeben und dennoch habe die PQ-Stelle auf die Anschaffung eines Temperaturloggers bestanden, so die Apothekerin. Auch in ihrem Fall habe die vorhandene Klimatisierung der Räumlichkeiten nichts an dieser Entscheidung geändert.

Windeln richtig lagern

Ein weiteres häufigeres Streitthema scheint die zulässige Lagerungstemperatur von Inkontinenzartikeln zu sein. Solche Hilfsmittel also, deren Einsatz anwendungsbedingt bei verschiedenen Feuchtigkeitszuständen und (Körper-)Temperaturen erfolgt. Unter anderem ein Kollege aus NRW sollte für seine Präqualifizierung nachweisen, dass sämtliche Inkontinenzartikel zuverlässig gemäß der Herstellerangaben gelagert werden. Und damit stellte sich ihm auch die Frage, was dies überhaupt bedeutet.

Ein Hersteller apothekenüblicher Inkontinenzprodukte erklärte auf Anfrage, dass „in Hinsicht auf Lager- und Transportbedingungen keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen“ für seine Inkontinenzartikel notwendig seien, „da kurzzeitige Schwankungen in Temperatur und Luftfeuchtigkeit die Produktsicherheit und Saugleistung nicht einschränken“. Zusätzlich liege bei „Umgebungstemperatur und -luftfeuchtigkeit“ die Haltbarkeit einer Vielzahl der Produkte bei mehr als fünf Jahren. Bedingungen also, die jede ordnungsgemäß nach Apothekenbetriebsordnung geführte Apotheke auch ohne Präqualifizierung erfüllen muss.2

Apotheker fühlen sich nicht ernstgenommen

Die Präqualifizierung ist ein aufwendiger, bürokratischer Kraftakt, der neben Zeit und Geld auch oftmals einige Nerven kostet. Viele Apothekerinnen und Apotheker, die uns in den vergangenen Monaten von ihren Erfahrungen berichteten, ärgern sich über die fortwährende Uneinheitlichkeit der gestellten Anforderungen. Sie fühlen sich nicht ernst genommen und sehen ihre Fachkompetenz infrage gestellt. Dass Produkte mit Gesundheitsbezug unter qualitätssichernden Bedingungen gelagert werden müssen – und dass dies auch regelmäßig zu prüfen und langfristig sicherzustellen ist – sei für sie eine Selbstverständlichkeit. Statt des derzeitigen Bürokratiewahnsinns wünschen sie sich mehr Zeit für ihre pharmazeutischen Beratungstätigkeiten, um tatsächlich einen positiven Beitrag in der Gesundheitsversorgung leisten zu können.

Infokasten

Der Kriterienkatalog zu den Empfehlungen gemäß § 126 Absatz 1 Satz 3 SGB V des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) schreibt für einen Großteil der aktuell darin aufgeführten Versorgungsbereiche vor, dass die „Lager- und Transportmöglichkeit unter Umgebungsbedingungen gemäß den in den Produktunterlagen des Herstellers vorgegebenen Spezifikationen“ gewährleistet sein muss.3, 4 Um also eine Präqualifizierung für die betroffenen Hilfsmittel zu erhalten, müssen entsprechende Nachweise vorgelegt werden. Allerdings wird nicht weiter ausgeführt, welche Nachweise akzeptabel sind oder wie „Umgebungstemperatur“ zu definieren ist. Da sich die Vorschrift weiterhin auf die Hersteller-Spezifikationen bezieht, wäre theoretisch auch eine herstellerbezogene Prüfung jedes einzelnen Produkts möglich. Für Sterilprodukte sowie Trink- und Sondennahrung erklärt der GKV-Spitzenverband auf seiner Homepage in den „Häufig gestellten Fragen“, dass „Einschränkungen hinsichtlich der für die Produktqualität unschädlichen Lagertemperaturen (Raumtemperatur)“ existieren können. Demnach müssen die einzureichenden Maßnahmenbeschreibungen auch Ausführungen darüber enthalten, wie genau die Temperaturkontrolle erfolgt. Ferner seien die vorgenommenen Kontrolltätigkeiten der PQ-Stelle nachzuweisen.5 Über die Häufigkeit der Messungen bzw. zulässige Intervalle werden keine Aussagen getroffen.

Gemäß § 1a Abs. 10 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) handelt es sich bei apothekenüblichen Waren unter anderem um Medizinprodukte (die nicht der Apothekenpflicht unterliegen), Mittel und Gegenstände, die der Gesundheit unmittelbar dienen bzw. diese fördern sowie um Mittel zur Körperpflege.2 In diese Kategorien fallen auch viele Hilfsmittel.6 In § 4 ApBetrO wird unter anderem geregelt, dass die Betriebsräume in einwandfreiem hygienischen Zustand zu halten und erforderlichenfalls zu klimatisieren sind. Weiterhin wird verbindlich vorgeschrieben, dass eine „Lagerhaltung unterhalb einer Temperatur von 25 °C möglich sein“ muss. Auch ein schriftlich festgehaltener Hygieneplan sowie die Dokumentation der in diesem festgelegten Hygienemaßnahmen wird gefordert (§4a ApBetrO). § 16 ApBetrO regelt ferner, dass auch apothekenübliche Waren so zu lagern sind, dass ihre Qualität nicht nachhaltig beeinflusst wird.2

 

Literatur

1 Approbationsordnung für Apotheker vom 19. Juli 1989 (BGBl. I S. 1489), die zuletzt durch Artikel 9 des Gesetzes vom 15. August 2019 (BGBl. I S. 1307) geändert worden ist, verfügbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/aappo/BJNR014890989.html#BJNR014890989BJNG000100326, letzter Zugriff am 25.07.2022.

2 Apothekenbetriebsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. September 1995 (BGBl. I S. 1195), die zuletzt durch Artikel 3d des Gesetzes vom 28. Juni 2022 (BGBl. I S. 938) geändert worden ist, verfügbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/apobetro_1987/BJNR005470987.html, letzter Zugriff am 24.07.2022.

3 GKV-Spitzenverband (2021), Kriterienkatalog Empfehlungen gemäß § 126 Absatz 1 Satz 3 SGB V, in: gkv-spitzenverband.de, 30.08.2021, https://gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/hilfsmittel/praequalifizierung/eignungskriterien/ek_ab_01_januar_2022/HiMi_Kriterienkatalog_30.08.2021.pdf, letzter Zugriff am 24.07.2022.

4 GKV-Spitzenverband (2021), Empfehlungen des GKV-Spitzenverbands gemäß § 126 Absatz 1 Satz 3 SGB V für eine einheitliche Anwendung der Anforderungen zur ausreichenden, zweckmäßigen und funktionsgerechten Herstellung, Abgabe und Anpassung von Hilfsmitteln, in: gkv-spitzenverband.de, 30.08.2021, https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/hilfsmittel/praequalifizierung/eignungskriterien/ek_ab_01_januar_2022/HiMi_Empfehlungen_nach__126_SGB_V_30.08.2021_bf.pdf, letzter Zugriff am 24.07.2022.

5 GKV-Spitzenverband (2022), Häufig gestellte Fragen Empfehlungen nach § 126 Abs. 1 Satz 3 SGB V, in: gkv-spitzenverband.de, Februar 2022, https://gkv-spitzenverband.de/krankenversicherung/hilfsmittel/praequalifizierung/eignungskriterien/eignungskriterien.jsp, letzter Zugriff am 24.07.2022.

6 Bundesgesundheitsministerium (2022), Hilfsmittel, in: bundesgesundheitsministerium.de, 08.06.2022, https://www.bundesgesundheitsministerium.de/hilfsmittel.html, letzter Zugriff am 25.07.2022.


Jessica Geller, Autorin, DAZ.online
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Nachwuchsmangel

von Thomas Eper am 27.07.2022 um 10:31 Uhr

Warum haben wir wohl Nachwuchsmangel?

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Sinnfrei

von ratatosk am 26.07.2022 um 18:28 Uhr

Bundesdeutsche Vorschriften müssen schon lange keinen Sinn mehr machen, zusammen mit den GKV Funktionären ist es natürlich eine für die Patienversorgung tödliche Mischung.
Daß hier immer mehr groteske Aktionen kommen, ist aber wohl politisch auch so gewollt, da es nur einen Federstrich bedürfte um eine vernünftige Regelung zu erstellen. Aber sicher nicht von Karl, bürokratische Kujonierung war immer schon ein probates Mittel etwas zu zerstören und dies nicht offen machen zu müssen.
Wenn China oder Rußland was nicht mag, passen halt ein paar Papierchen nicht, funktioniert hier auch. Und egal wo es in D problematisch wird, immer liegt eine Hauptursache mittlerweile bei einer dysfunktionalen Bürokratie, GKV fällt natürlich hier auch darunter.

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