Offener Brief an den Bundesgesundheitsminister

KV Hessen: Lauterbach soll pharmazeutische Dienstleistungen stoppen

Stuttgart - 13.07.2022, 13:45 Uhr

Die KV Hessen bleibt auf ihrem ablehnenden Kurs gegen die pharmazeutischen Dienstleistungen. (x / Foto: PRASERT/AdobeStock)

Die KV Hessen bleibt auf ihrem ablehnenden Kurs gegen die pharmazeutischen Dienstleistungen. (x / Foto: PRASERT/AdobeStock)


Aus Hessen kommt weiterhin scharfe Kritik zu den pharmazeutischen Dienstleistungen. Die dortige Kassenärztliche Vereinigung wendet sich jetzt in einem offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Lauterbach und fordert das Aus der Dienstleistungen.

Kritik an den pharmazeutischen Dienstleistungen gab es von mehreren Seiten. Besonders scharf formulierten sie Ärztefunktionäre in Hessen. So hat die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) kürzlich ihre Mitglieder aufgerufen, zu dokumentieren, wenn eine Apotheke eine inkompetente Beratung leisten würde. Da das Bundesgesundheitsministerium trotz der laut KVH „absolut substanziellen Kritik“ bisher nicht aktiv geworden sei, wenden sich nun der Vorstand und die Vertreterversammlung direkt an den Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). In einem offenen Brief fordern sie ihn zu „schnellstmöglichem Handeln“ auf.

„Zweitmeinungsverfahren“ ohne jegliche Evidenz

In diesem Brief drückt die KVH ihre „tiefe Besorgnis“ aus. Konkret richtet sich die Kritik gegen die erweiterte Medikationsberatung bei Polypharmazie sowie die pharmazeutische Betreuung bei oraler Antitumortherapie und von Organtransplantierten. Aus Sicht der KV gehe von diesen Leistungen eine „evidente Patientengefährdung“ aus. Man führe mit ihnen ein „Zweitmeinungsverfahren ein, für das jegliche Evidenz“ fehle. 

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Aus der ärztlichen Praxis sei bekannt, dass nach einer „sogenannten ‚Beratung‘“ durch die Apotheke Patienten teilweise lebenswichtige Medikamente nicht mehr wie verordnet eingenommen oder gar abgesetzt hätten.

Pharmazeuten für Beratung zu Polymedikation nicht qualifiziert

Zur Polypharmazie würde der Patient bereits in den Arztpraxen ausführlich beraten, so die KVH-Vorstände. Es steckten hinter den Überlegungen zu einer Polymedikation „oft auch so viele Dinge, dass wir diese leider nicht allen unseren Patienten wirklich vollständig erklären können. Dinge, von denen gerade die Pharmazeuten in der Regel kaum oder keine Kenntnis haben.“ Nachdem ausgeführt wird, welche Ausbildung Ärzte benötigen, um verschreibungspflichtige Arzneimittel verordnen zu können, wird die pharmazeutische Expertise im Gegensatz dazu auf „rudimentäre im Studium vermittelte Krankheitslehre, gepaart mit einer Online-Fortbildung“ reduziert. Die Dienstleistungen seien daher zu stoppen, denn Patientenschutz müsse vor „Profiinteressen von Pharmazeuten“ gehen.

Es wird betont, dass nahezu alle der neuen pharmazeutischen Dienstleistungen geeignet seien, „das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten massiv zu beschädigen und die Compliance, die Therapietreue bei der Einnahme von Arzneimitteln, zu gefährden“.

Außerdem würden Patienten mit Antitumortherapie oder nach Organtransplantation bereits in „hoch qualifizierten Ambulanzen oder in der ambulanten Spezialfachärztlichen Versorgung“ betreut werden.

„Wenn es denn aber so sein soll“

Sollte Lauterbach die Apotheker dennoch für qualifiziert genug für die pharmazeutischen Dienstleistungen halten, so seien laut KVH Qualitätssicherungsrichtlinien zwischen den Apothekerverbänden, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem GKV-Spitzenverband notwendig. Man empfehle, dass die Qualifikation für die Medikationsberatungen „nur nach einem Curriculum und einer Prüfung vor einer entsprechenden Kommission einer Landesärztekammer zu erlangen“ sei.

Außerdem dürfe nicht „hinter dem Rücken der behandelnden Ärzte“ beraten werden. Deshalb müsse die Information der behandelnden Ärzte sichergestellt werden und eine entsprechende Einwilligung des Patienten sollte Voraussetzung für jede pharmazeutische Dienstleistung sein. Der Apotheker solle den Arzt über die Beratung „unverzüglich, standardisiert und unterbrechungsgesichert“ informieren. 

Zudem solle eine ausführliche Dokumentation erfolgen. In einer Art Katalog nennt die KVH weitere Bedingungen, die alle erfüllt werden müssten, damit „jemand eine Abrechnungsgenehmigung für solche Leistungen erhalten und eine Vergütung erfolgen darf“. Dazu gehöre auch eine rechtliche Absicherung durch den Pharmazeuten, falls durch eine „Falschberatung Gesundheitsschäden oder Zusatzaufwendungen in der ärztlichen Versorgung entstehen“.

Letztlich würde sich die KVH „aber freuen und es begrüßen“, wenn Herr Lauterbach „das alles“ „unverzüglich mit einer gesetzgeberischen Maßnahme beenden“ würde.


Desiree Aberle, Apothekerin, Redakteurin DAZ
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Mein Beileid

von Guse am 15.07.2022 um 14:07 Uhr

Sehr geehrter Herr Dastych, sehr geehrter Herr Dr. Starke,

Aufgrund Ihres Auftretens am 30.6.22 "Von Beratungsdienstleistungen in Apotheken" im weltweiten Web möchte ich Ihnen mein aufrichtiges Beileid aussprechen. https://www.kvhessen.de/publikationen/apotheken/

Wie weit muss Ihre Missgunst und Ihr Neid fortgeschritten sein, um sich auf ein derartiges Niveau zu begeben.
Sie wollen "nicht nur bellen, sondern auch beißen", heißt es in Ihrem Schreiben.
Seit über 20 Jahren bin ich Apothekerin in einer öffentlichen Apotheke und kann Ihnen versichern, die Arbeit die wir täglich leisten ist Ihrer und der Ärzteschaft mindestens gleichwertig. Die Beratung, die wir bisher kostenlos unseren Patienten anbieten, ist laut Aussagen vieler Patienten intensiver und länger, als Sie sie in der Sprechstunde bei ihrem Arzt erhalten.
Wie traurig ist es, sich so darstellen zu müssen, zu hetzen, sich öffentlich als Neider zu zeigen und zu meinen seine Mißgunst in die Welt hinaus tragen zu müssen.

Für diesen Beitrag kann man Sie nur bemitleiden.

Mein Beileid an Sie und Ihre Mitbeißer!

Mit dennoch freundlichen Grüßen Eva Guse

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verzerrte Wahrnehmung

von Stefan Haydn am 14.07.2022 um 13:37 Uhr

Patientenschutz müsse vor „Profiinteressen von Pharmazeuten“

Streiche Pharmazeuten, setze Ärztevertreter und es wäre in diesem Falle korrekt.

"Qualifikation für die Medikationsberatungen „nur nach einem Curriculum und einer Prüfung vor einer entsprechenden Kommission einer Landesärztekammer zu erlangen“"

Was qualifiziert die Landesärztekammer? Haben die dort auch Pharmazie studiert? Darf ich deren Qualifikationsnachweis einsehen?

Fragen über Fragen. Mir tun nur die Hausärzte leid, die sich mit solchen Vertretern herumschlagen müssen. nicht umsonst sind die KVen so gut gelitten.

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Es reicht

von P Ti am 13.07.2022 um 15:11 Uhr

Verklärter als in Hessen kann der Blick auf die Realität kaum sein. Wenn sich Patienten nach der Behandlung beim Arzt in der Apotheke erkundigen, dann aus zwei Gründen allein: der Arzt hat sie wie üblich nicht pharmazeutisch beraten oder der Arzt hat so einen guten Eindruck hinterlassen, dass der Patient ihm nicht vertraut.

Was die rein pharmazeutische Kompetenz betrifft sollten alle KäV's mal an die Nase ihrer eigenen Mitglieder fassen. So gern wie sie die Götter in weiß wären, genauso sind sie nicht unfehlbar oder Up to Date.

Es wären so viel mehr Menschenleben zu retten, würden sich Ärzte mal mit Heilpraktikern befassen. Denn im Gegensatz zur Apotheke besteht dort tatsächlich Konkurrenz und eine erhebliche Gefahr, sind die Schulmedizin und Pharmazie dort doch der erklärte Feind und dubiose Heilbehandlungen insbesondere bei Krebs führen zum Tode. Geht der Patient zur Apotheke, wo studierte Pharmazeuten mit drei Staatsexamen (welche im Puncto Arzneimittelkunde tiefer gehen als in der Medizin!) arbeiten um sich ergänzend beraten zu lassen, fühlen sich die Herrschaften auf den Schlips getreten und bangen um ihre Einnahmen. Geht der Patient zu einem Heilpraktiker, der einen Ankreuz- und Praxistest beim örtlichen Gesundheitsamt mit "ausreichend" bestanden hat und ihnen statt der Chemo oder vergleichbarer Behandlungen den Verzehr bitterer Aprikosenkerne ans Herz legt, dann ist es das Recht des Patienten?

Es ist beschämend wie sehr Geld und Ego der Ärztevertretungen über das Wohl des Patienten gehen.

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