Bundesgerichtshof

Werbung für rein digitalen Arztbesuch ist unzulässig

Berlin - 09.12.2021, 14:50 Uhr

Der Bundesgerichtshof hat zwar erst einmal rigoros entschieden – zumindest die Telemedizinanbieter dürften mit dem Urteil nicht zufrieden sein. Allerdings hat er auch eine Tür für die Fernbehandlungs-Werbung geöffnet. (x / Foto: Nattakorn /AdobeStock)

Der Bundesgerichtshof hat zwar erst einmal rigoros entschieden – zumindest die Telemedizinanbieter dürften mit dem Urteil nicht zufrieden sein. Allerdings hat er auch eine Tür für die Fernbehandlungs-Werbung geöffnet. (x / Foto: Nattakorn /AdobeStock)


Anerkannte fachliche Standards können sich entwickeln 

Laut Pressemitteilung des Gerichts verstößt die beanstandete Werbung gegen § 9 HWG – und zwar sowohl in seiner alten wie auch in seiner neuen Fassung. Da es sich bei dieser Vorschrift um eine – dem Gesundheitsschutz dienende – Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG handelt, sei die Versicherung verpflichtet, die Werbung zu unterlassen.

Was das Fernbehandlungsverbot in seiner neuen Fassung betrifft, führt der Bundesgerichtshof aus, dass Apps, wie die hier vorliegende, grundsätzlich ein Kommunikationsmedium nach § 9 Satz 2 HWG sind, sodass eine Ausnahme vom Werbeverbot vorliegen könnte. Allerdings gelte dies nur dann, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist. Diese Voraussetzung sieht der Senat hier nicht erfüllt.

Fachgesellschaften und G-BA gefragt

Dazu stellt die Pressemitteilung klar: „Mit den allgemein anerkannten fachlichen Standards sind – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht die Regelungen des für den behandelnden Arzt geltenden Berufsrechts gemeint. Es kommt daher nicht darauf an, ob die beworbene Fernbehandlung den Ärzten in der Schweiz schon seit Jahren erlaubt ist.“ Auszulegen sei der Begriff der „allgemein anerkannten fachlichen Standards“ unter Rückgriff auf den entsprechenden Begriff in den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum medizinischen Behandlungsvertrag (§ 630a Abs. 2 BGB) und die dazu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auszulegen. Danach könnten sich solche Standards auch erst im Laufe der Zeit entwickeln und sich etwa aus den Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften oder den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ergeben.

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Vorliegend habe die beklagte Versicherung für eine umfassende, nicht auf bestimmte Krankheiten oder Beschwerden beschränkte ärztliche Primärversorgung im Wege der Fernbehandlung geworben. Dass diese eine den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemeinen fachlichen Standards entspreche, sei nicht festgestellt. Da das Versicherungsunternehmen dies auch nicht behauptet hatte, sah sich Bundesgerichtshof zu einer abschließenden Entscheidung in der Lage.

Der Bundesgerichtshof hat damit zwar erst einmal rigoros entschieden – zumindest die Telemedizinanbieter dürften mit dem Urteil nicht zufrieden sein. Allerdings hat er auch eine Tür für die Fernbehandlungs-Werbung geöffnet. Im Laufe der Zeit können sich Standards entwickeln – und es wird sich zeigen, ob und wann die Fachgesellschaften oder der G-BA hier aktiv werden, objektive fachliche Standards zu setzen. Jedenfalls wird man es nicht den Telemedizinanbietern selbst überlassen dürfen, diese zu entwickeln.

Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. Dezember 2021, Az.: I ZR 146/20



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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