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Weniger Antibiotika, mehr Schmerzmittel
Was nutzen Bärentraubenblätter bei Blasenentzündung?
Bärentraubenblätter sollen Beschwerden bei Harnwegsinfektionen lindern. Aber lässt sich dadurch wirklich der Antibiotika-Einsatz reduzieren? Oder gibt es vielleicht sogar Risiken, die mit der Einnahme bärentraubenhaltiger Arzneimittel bei Harnwegsinfektionen einhergehen? Das „Arznei-Telegramm“ äußert sich eher kritisch.
„Ohne dass Nutzen und Sicherheit durch aussagekräftige Studien belegt sind, wird Bärentraubenblätterextrakt (Cystinol akut® u. a.) hierzulande seit Jahrzehnten rezeptfrei zur Behandlung entzündlicher Erkrankungen der ableitenden Harnwege angeboten“, kritisiert das „Arznei-Telegramm“ – eigenen Angabe zufolge eine „neutrale“ medizinische Fachzeitschrift für Ärzte und Apotheker. Ihre Zweifel am Nutzen von Bärentraubenblätterextrakt in der Behandlung akuter Harnwegsinfektionen stützt das „Arznei-Telegramm“ gleich auf mehrere Quellen – unter anderem die Bewertung der EMA, die aktuell gültige Leitlinie und eine nun veröffentlichte Studie aus Deutschland, die in Hausarztpraxen durchgeführt wurde. Die Wissenschaftler untersuchten, ob es gelingt, mit Bärentraubenblätterextrakt die Verordnungshäufigkeit von Antibiotika – Fosfomycin – bei unkomplizierten akuten Harnwegsinfektionen bei Frauen zu reduzieren. Sie veröffentlichten ihre Untersuchung jüngst im Fachjournal „Clinical Microbiology and infection” („Herbal treatment with uva ursi extract versus fosfomycin in women with uncomplicated urinary tract infection in primary care: a randomized controlled trial”).
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Die Studie lief doppelblind und randomisiert von Mai 2017 bis Mai 2019 in 42 Hausarztpraxen in Deutschland. Die Teilnehmerinnen waren erwachsene Frauen (Alter 18 bis 75 Jahre) mit unkomplizierter Harnwegsinfektion und mindestens zwei der folgenden Symptome: Dysurie (Schmerzen beim Wasserlassen), Harndrang, Pollakisurie (häufiges Wasserlassen) und Unterleibsschmerzen. Ausschlusskriterien waren das Vorliegen einer Schwangerschaft und Risikofaktoren für einen komplizierten Verlauf der Harnwegsinfektion.
Die Teilnehmerinnen nahmen entweder 3 x 2 Tabletten eines Bärentraubenblätterextrakts mit 105 mg für fünf Tage ein oder Fosfomycin mit 3 g als Einzeldosis. Beide Gruppen erhielten jeweils die andere Darreichungsform als Placebo, um die Verblindung zu wahren. Zur Erklärung: Bärentraubeblätterextrakt liegt in Form von Tabletten vor, Fosfomycin zu Behandlung von unkomplizierten Harnwegsinfektionen bei Frauen gibt es nur als Granulat im Beutel zum Auflösen.
Ziel der Studie: weniger Antibiotika und nicht mehr Beschwerden
Ziel der Studie war herauszufinden, ob der Pflanzenextrakt den Gebrauch von Fosfomycin verringern kann, ohne dabei die Beschwerden der Patientinnen zu steigern oder komplizierte Verläufe zu provozieren. Dabei wurden die Antibiotikaanwendungen innerhalb von 28 Tagen bewertet sowie die Symptombelastung in den ersten sieben Tagen. Nur wenn es sowohl gelang, dass der Antibiotikaverbrauch sank und der Bärentraubenblätterextrakt Fosfomycin überlegen ist, und gleichzeitig aber die Symptomlast nicht zunimmt und der Pflanzenextrakt in diesem Punkt Fosfomycin ebenbürtig (nicht unterlegen) ist, wird das Studienergebnis als positiv gewertet.
Weniger Antibiotika unter Bärentraubenblätterextrakt
Insgesamt nahmen 398 Patientinnen an der Studie teil, 207 Frauen erhielten bei ihrer Harnwegsinfektion Bärentraubenblätterextrakt und 191 Fosfomycin. Unter der Einnahme von Bärentraubenblättern war die Zahl der Antibiotikaanwendungen in den beobachteten vier Wochen um 63,6 Prozent niedriger als in der Fosfomycingruppe. So kam es zu 92 antibiotischen Therapien in der Bärentraubenblättergruppe (bei 207 Teilnehmerinnen) – das entspricht 44 Behandlungen pro 100 Teilnehmerinnen – und 233 antibiotischen Behandlungen (bei 191 Teilnehmerinnen) in der Fosfomycingruppe – das entspricht 122 Behandlungen pro 100 Teilnehmerinnen. Nach Ansicht der „Arznei-Telegramm“-Autoren belegen diese Zahlen allerdings nicht, dass Bärentraubenblätter den Antibiotikaeinsatz reduzieren: „Die Abnahme lässt sich angesichts des gewählten Studiendesigns mit der obligatorischen Anwendung von Fosfomycin in der Kontrollgruppe aus unserer Sicht jedoch nicht sicher auf den Extrakt zurückführen“, erklären die Autoren.
Häufiger Pyelonephritis und Fieber mit Bärentraubeblätterextrakt
Wie sieht es mit dem zweiten primären Endpunkt der Studie aus, der Symptomlast innerhalb der ersten Woche? Hier durften Bärentraubenblätter einer antibiotischen Therapie nicht unterlegen sein, um diesen Studienendpunkt zu erreichen. Allerdings scheint die Verringerung der antibiotischen Gaben in der Bärentraubenblättergruppe mit einer höheren Symptombelastung einherzugehen – die Frauen hatten im Mittel eine 36,5 Prozent höhere Symptomlast als unter Fosfomycin (um das Studienziel der Nichtunterlegenheit zu erreichen, hätten sie maximal eine 25 Prozent höhere Symptomlast haben dürfen): Die Teilnehmerinnen, die Bärentraubenblätterextrakt als Erstbehandlung erhalten hatten, entwickelten häufiger eine Pyelonephritis (Nierenbeckenentzündung, obere Harnwegsinfektion; 8 vs. 2) oder Fieber, sie erholten sich langsamer (Harnwegssymptome dauerten 4,2 Tage unter Bärentraubeblätterextrakt und 3,4 Tage unter Fosfomycin), benötigten mehr Schmerzmittel (42,5 Prozent vs. 30,9 Prozent) und mussten häufiger erneut zum Arzt und sich krankschreiben lassen. „Daher muss die Annahme der Nichtunterlegenheit der Erstbehandlung mit Bärentraubenblätterextrakt verworfen werden“, schlussfolgern die Wissenschaftler. Und weiter: „Bei Frauen mit unkomplizierten Harnwegsinfektionen führte die Erstbehandlung mit Bärentraubenblätterextrakt zu einem geringeren Antibiotikaverbrauch, aber zu einer höheren Symptombelastung und mehr Sicherheitsbedenken als Fosfomycin.“
Nutzen von Fosfomycin vor allem bei positiver Urinkultur
Den Ergebnissen zufolge scheinen vor allem Frauen mit positiven Urinkulturen von einer Antibiotikabehandlung zu profitieren, hingegen stellten die Wissenschaftler keinen Unterschied fest, wenn die Urinkultur negativ war. Die Nebenwirkungsrate war in beiden Gruppen vergleichbar.
Mehr Schmerzmittel: Bleibt eine Nierenbeckenentzündung unerkannt?
Das „Arznei-Telegramm“ sieht vor allem auch die erhöhte Rate an Frauen, die eine Nierenbeckenentzündung entwickelten unter dem Aspekt der erhöhten Schmerzmittelanwendung kritisch – können durch die Kupierung der Schmerzen Symptome der Pyelonephritis vielleicht unerkannt bleiben. Und eine Pyelonephritis ist laut Leitlinie eine Indikation für eine Antibiotikabehandlung: „Bei der akuten unkomplizierten Pyelonephritis soll eine wirksame Antibiotikatherapie so früh wie möglich zum Einsatz kommen“, heißt es dort.
EMA sieht Bärentraubenblätter nur als „traditionelles Arzneimittel“
Die Autoren des „Arznei-Telegramm“ raten von der Einnahme von Bärentraubenblätterextrakt ab – zumal bereits die Europäische Arzneimittelagentur EMA 2018 die Datenlage zu Wirksamkeit und Sicherheit des Pflanzenextrakts in ihrer Pflanzenmonographie als „sehr dürftig“ bewertet habe. In der Tat sieht die EMA Bärentraubeblätter nur als „traditionelles pflanzliches Arzneimittel zur Linderung der Symptome von leichten wiederkehrenden Infektionen der unteren Harnwege, wie Brennen beim Wasserlassen und/oder häufigem Wasserlassen bei Frauen, nachdem ernsthafte Erkrankungen von einem Arzt ausgeschlossen wurden“. Das Produkt sei ein traditionelles pflanzliches Arzneimittel zur Verwendung für das angegebene Anwendungsgebiet ausschließlich aufgrund langjähriger Anwendung, schreibt die EMA.
Leitlinie: Bärentraubenblätter maximal einen Monat
Und was rät die Leitlinie bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen? Laut der S3-Leitlinie aus dem Jahr 2017 geht es bei der Therapie der unkomplizierten Zystitis im Wesentlichen darum, die klinischen Symptome rascher zum Abklingen zu bringen. Die Autoren sind sich einig (Empfehlungsgrad B), dass bei der akuten unkomplizierten Zystitis eine antibiotische Therapie empfohlen werden sollte. Allerdings könne bei nur leichten bis mittelgradigen Beschwerden die alleinige symptomatische Therapie als Alternative zur antibiotischen Behandlung erwogen werden, was gemeinsam mit der Patientin entschieden werden solle. Die Leitlinienautoren äußern sich auch zu Phytotherapeutika: „Bei häufig rezidivierender Zystitis der Frau kann Mannose empfohlen werden. Alternativ können verschiedene Phytotherapeutika [z.B. Präparate aus Bärentraubenblättern (maximal 1 Monat), Kapuzinerkressekraut, Meerrettichwurzel], erwogen werden“, schreiben die Autoren. Sie betonen aber, dass sich Bärentraubenblätter für eine Langzeitprophylaxe nicht eignen. Die EMA ist mit der Anwendungsdauer strenger, sie sieht eine maximale Therapiedauer von einer Woche vor.
Nutzen nicht belegt
Das „Arznei-Telegramm“ sieht keinen belegten Nutzen von Bärentraubenblätterextrakt bei entzündlichen Harnwegserkrankungen. Die Autoren raten, dass Frauen mit unkomplizierter Zystitis ausreichend trinken und informiert sind, dass ihre Beschwerden auch ohne antibiotische Therapie abklingen können. Einen pragmatischen Tipp zur Verringerung der Antibiotikaanwendungen haben die Autoren ebenfalls parat: Frauen mit unkomplizierter Zystitis und geringen Symptomen könnten sich zwar ein Antibiotikum verordnen lassen, doch sollten sie dieses erst dann in der Apotheke besorgen und einnehmen, wenn sich ihre Beschwerden ohne Antibiose nicht innerhalb von 48 Stunden gebessert hätten.
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