Bundestagswahl 2021 – Teil 4: SPD

„Wie angemessen das Honorar ist, wird sich am Erfolg feststellen lassen müssen“

Stuttgart - 09.08.2021, 07:00 Uhr

Sabine Dittmar ist seit 40 Jahren Mitglied der SPD. Seit acht Jahren sitzt die Bundestagsabgeordnete für Ihre Partei im Ausschuss für Gesundheit. (Foto: IMAGO / Christian Spicker)

Sabine Dittmar ist seit 40 Jahren Mitglied der SPD. Seit acht Jahren sitzt die Bundestagsabgeordnete für Ihre Partei im Ausschuss für Gesundheit. (Foto: IMAGO / Christian Spicker)


Stationsapotheker, Impfungen, Cannabis-Modellprojekte: Die SPD-Gesundheitspolitikerin Sabine Dittmar hat einige Felder vor Augen, die Apothekerinnen und Apotheker in naher Zukunft erobern könnten. Beim Honorar hingegen sieht sie keinen akuten Handlungsbedarf – denn viel habe die Politik für die Offizinen bereits auf den Weg gebracht.

DAZ: Frau Dittmar, hat sich Ihre Meinung zu öffentlichen Apotheken während der Pandemie-Monate verändert?

Dittmar: Die Pandemie hat mein bisheriges Bild von der Apotheke nicht verändert, sondern nur bestätigt. Ich habe während meiner Tätigkeit als Hausärztin eng mit Apotheken zusammengearbeitet und wusste auch vor der Pandemie, wie wichtig diese Arbeit ist.

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Sollen die Regelungen um die SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung verstetigt werden?

Trotz der Corona-Sonderregelungen konnten die Krankenkassen so viele Einsparungen mit Rabattverträgen erzielen wie noch nie zuvor. Daher müsste man sich in der nächsten Legislaturperiode anschauen, ob es weiteren Regelungsbedarf gibt. Wenn Bürokratie abgebaut werden kann, ohne dass es Mehrkosten verursacht oder zulasten der Solidargemeinschaft geht, bin ich immer dafür.

Reicht das Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) aus, um die Apothekenlandschaft zu erhalten?

Mit dem Gesetz wurden viele Maßnahmen getroffen, um die Apotheken vor Ort zu stärken. Ich bin dankbar, dass sich das Bundesgesundheitsministerium unserem Vorschlag angeschlossen hat, das Rx-Boni-Verbot im Sozialrecht zu verankern. Besonders wichtig finde ich zudem, dass das VOASG die Expertise der Apotheker in den Vordergrund rückt. Sie sind keine reinen Verkäufer, sondern Angehörige eines Heilberufs. Daher finde ich die Dienstleistungsverträge, die der DAV gerade mit dem GKV-Spitzenverband verhandelt, gut. Auch die Grippeimpfung in Apotheken war mir ein wichtiges Anliegen, auch wenn sie nicht im VOASG, sondern schon im Masernschutzgesetz auf den Weg gebracht wurde.

Sollten Apotheker bald auch andere Impfungen anbieten können?

Ich kann mir vorstellen, dass Impfungen mit regionalen Schwerpunkten – wie die FSME-Impfung – in Apotheken angeboten werden könnte. Die Evaluation der Modellprojekte zur Grippeimpfung wird hier sicher mehr Aufschluss bringen. Impfungen für Kinder sollten aber in den Händen von Kinder- und Jugendärzten bleiben.

Käme für Sie eine regulierte Cannabisabgabe über Apotheken infrage?

Cannabis könnten Apotheken abgeben, sie müssten aber nicht. Unsere Fraktion hat vor zwei Jahren ein Konzept für eine neue Drogenpolitik entwickelt. Wir wollen die regulierte Abgabe in Modellprojekten erproben. Mittlerweile sind alle – bis auf ein paar Unionsabgeordnete – der Meinung, dass unsere Verbotspolitik im Umgang mit Cannabis gescheitert ist. Wir wollen Erkenntnisse darüber gewinnen, welche Modelle wie ankommen.

„Die Digitalisierung wird die Versorgung grundsätzlich verändern“

Welchen Einfluss wird das E-Rezept auf die Patientenversorgung haben?

Die Digitalisierung wird die Versorgung grundsätzlich verändern. Die Pandemie hat gezeigt, dass die Menschen für digitale Formen offen sind – auch, wenn der persönliche Kontakt nicht überall ersetzt werden kann. Doch nach meinem Empfinden geht der Prozess zu langsam voran. Bisher nutzt noch niemand der Ärztinnen und Ärzte in meinem Bekanntenkreis die elektronische Patientenakte. Ich hätte mir mehr erwartet.

Kann die Telemedizin beim Ärztemangel aushelfen?

Sie unterstützt viele Prozesse. Als ich noch als Hausärztin tätig war, habe ich ältere Patienten oft zuhause besucht. Dabei habe ich den Blutzucker und Blutdruck gemessen und die Beine auf Schwellungen untersucht. Diese Tätigkeiten hätte auch ein qualifizierter Arzthelfer übernehmen können. Oft hätte ich heute die weitere Behandlung telemedizinisch klären können. Wir Ärzte müssen bereit sein, die Qualifikationen unseres medizinischen Fachpersonals besser einzusetzen.

Denken Sie, wir müssen die Arzneimitteltherapiesicherheit für die Patienten verbessern?

Auf jeden Fall. Vor allen Dingen im Bereich der Polymedikation ist noch viel zu tun. Hier setze ich auf die Beratungskompetenz der Apotheker. Die Apotheker müssen gute Modelle in die Verhandlungen einbringen, die die Versorgung sicherer machen.

Aber werden sich der Deutsche Apothekerverband und der GKV-Spitzenverband auf solche pharmazeutischen Dienstleistungen einigen können?

Ich bin ein großer Fan der Selbstverwaltung, weil die Beteiligten am besten wissen, welche Fragen in der Praxis zu klären sind. Wenn keine Einigung zustande kommt, sind Konfliktlösungsverfahren wie Schiedsstellen wichtig.

Reichen die 150 Millionen Euro aus, die der GKV-Spitzenverband jährlich für pharmazeutische Dienstleistungen investieren soll?

Es geht ja nicht darum, notleidende Apotheken zu unterstützen, sondern gute Lösungen für eine bessere Versorgung der Patientinnen und Patienten zu finden. Wenn das funktioniert, dann ist das gut angelegtes Geld. Wie angemessen das Honorar ist, wird sich am Erfolg feststellen lassen müssen.

Dienstleistungszentren für unterversorgte Regionen

Wie kann die Arzneimitteltherapie für Patienten im Krankenhaus sicherer werden?

Aktuell müssen nur in Niedersachen Stationsapotheker beim Medikationsprozess eingebunden werden. Das sollte der Standard sein. Ein pharmazeutischer Blick auf die Medikation schadet nie.

In ihrem Wahlprogramm sprechen sie davon, in unterversorgten Regionen Dienstleistungszentren aufzubauen. Wie könnten Apotheken beteiligt werden?

Wir wollen regionale Gesundheitszentren etablieren. Diese sollen mit einem staatlichen Budget autonomer planen können. Sie sollen einen fließenden Übergang zwischen ambulanter und stationärer Versorgung ermöglichen. Wir planen, Standorte auszuwählen, in deren Nähe Apotheken sind. Für mich gehören neben der medizinischen und pflegerischen Versorgung auch Arzneimittel zur Daseinsvorsorge.

Warum sind Dienstleistungszentren wichtig?

Viele Regionen sind unterversorgt. Dort gibt es kaum spezialisierte Praxen. Gleichzeitig sind andere Regionen überversorgt. Wir müssen daher beginnen, Strukturpolitik zu betreiben. Wir brauchen überregionale Zentren und eine gute regionale Versorgung. Diese Teilbereiche müssen wir miteinander vernetzen. Auch ist es an der Zeit, unsere Krankenhäuser digital aufzurüsten. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland zurück.

Wie soll die Arzneimittelversorgung in struktur- und einkommensschwachen Regionen gelingen?

Auch wenn die absolute Zahl der Apotheken zurückgeht, sehe ich hier keinen Handlungsbedarf. Denn es öffnen mehr Filialen und auch die Zahl der Angestellten wächst. Mithilfe der modernen Medien muss nicht mehr in jedem kleinen Ort eine Apotheke vorhanden sein. Die Versorgung mehrerer Dörfer im Umkreis wird mit Einführung des E-Rezepts noch einfacher. Dass wir den Botendienst nun dauerhaft vergüten, war auch ein wichtiger Schritt.



Marius Penzel, Apotheker
redaktion@daz.online


Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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4 Kommentare

Zahl der Apotheken

von Stackmann am 10.08.2021 um 14:11 Uhr

„Auch wenn die absolute Zahl der Apotheken zurückgeht, sehe ich hier keinen Handlungsbedarf. Denn es öffnen mehr Filialen und auch die Zahl der Angestellten wächst.“
Nach der Logik sind Filialen keine Öffentlichen Apotheken.

Und „ Die Versorgung mehrerer Dörfer im Umkreis wird mit Einführung des E-Rezepts noch einfacher.“ das soll sie mir mal erklären

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Selbstverwaltung !

von ratatosk am 10.08.2021 um 10:07 Uhr

Nee is klar, die AOK mit 70% Versichertenanteil gegen Dorfapotheke , ein ausgeglichenes Verhandlungsergebnis ?!
Kapiert sie es nicht oder biegt sie sich die Realität so hin wie es für sie und die SPD am nettesten ausschaut ? das ist die einzige Frage.
Und klar, Botendienst für pampel Bisoprolol für 5** und dann halbe Stunde Arbeitszeit für Fahrt ins nächste Dorf etc. etc

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SPD

von Karl Friedrich Müller am 09.08.2021 um 17:04 Uhr

ganz kurz habe ich darüber nachgedacht, mal wieder SPD zu wählen, weil die beiden anderen Kandidaten absolut unterirdisch sind.
Jetzt nicht mehr. Danke Frau Dittmar für die Entscheidungshilfe.
Nun wird es eben eine der kleinen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Arzneimittelversorgung in Zukunft

von Hüsgen am 09.08.2021 um 11:07 Uhr

Wie soll die Arzneimittelversorgung in struktur- und einkommensschwachen Regionen gelingen?
S. Ditmar: "Auch wenn die absolute Zahl der Apotheken zurückgeht, sehe ich hier keinen Handlungsbedarf. ..." (Zitat Ende)

Im System der S o z i a l e n M a r k t w i r t s c h a f t können auf Dauer nur rentabel betriebene Apotheken die im öffentlichen Interesse gebotene, ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherstellen.
Finde den Fehler.

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