VdPP-Fachtagung zur Klimakrise

Künftige Generationen pharmazeutisch versorgen

Stuttgart - 24.06.2021, 09:15 Uhr

Die globale Temperatur steigt. Das hat Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland und weltweit. Was kann die Pharmazie leisten, was kommt auf sie zu?  (x / Foto: Quality Stock Arts / AdobeStock)

Die globale Temperatur steigt. Das hat Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland und weltweit. Was kann die Pharmazie leisten, was kommt auf sie zu?  (x / Foto: Quality Stock Arts / AdobeStock)


Die Klimakrise trifft alle Bereiche, auch die Pharmazie. Zu diesem Thema trafen sich am vergangenen Samstag rund 50 Apotheker:innen aus verschiedenen Branchen zur Fachtagung des Vereins demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP). Angesichts der Tatsache, dass ein großer Wandel bevorsteht, ist die Berufsgruppe in der Praxis nicht sehr weit. Doch in der Diskussion zeigt sich: Apotheker:innen sind dazu ausgebildet, Probleme zu lösen.

Es ist der 19. Juni 2021. Eine schwere Hitzewelle rollt über Deutschland, während der Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP) seine Fachtagung „Klimakrise konkret: Umwelt, Gesundheit, Pharmazie!“ beginnt. Wenn die Hitze dermaßen drückt, wird verständlich, warum sich auch Apotheker:innen dem bedrückenden Thema annehmen sollten.

Klimaforscher:innen haben in den vergangenen Jahrzehnten eine Evidenzlage geschaffen, die einen Schatten auf unsere nahe Zukunft wirft. Warum die Klimakrise unser aller Gesundheit bedroht, erklärte zu Beginn der Tagung Dieter Lehmkuhl, Arzt und Gründungsmitglied der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG). Schon jetzt sterben in Deutschland jährlich viele Zehntausende Menschen im Zusammenhang mit Hitzewellen und Luftverschmutzung. Vektorbasierte Krankheiten breiten sich aus, weil immer mehr Überträger auch in unseren Breitengraden überleben.

Auf der VdPP-Fachtagung sammelten Veranstalter und Gäste Ideen für den Klimaschutz in der Offizin. Die Berliner Apothekerin Claudia Reimers berichtete, wie sie und ihre Kolleg:innen vier Filialen zur „Klimaneutralen Apotheke“ zertifizieren ließen. Den vollständigen Artikel finden Sie in der Deutschen Apotheker Zeitung Nr. 25.

Hauptursache, dass die globale Temperatur steigt, ist nachgewiesenermaßen der menschgemachte Ausstoß von Treibhausgasen. Nicht nur beim Fußball spielt Deutschland ganz vorn mit: Nur fünf Nationen pusten mehr CO2 in die Atmosphäre als die Bundesrepublik. Systeme wie das Eis der Antarktis oder Permafrostböden stabilisieren sich gegenseitig und das globale Klima. Senken wir den CO2-Verbrauch nicht massiv, drohen die stabilisierenden Faktoren zu „kippen“, die Temperatur steigt weiter. Infolge dessen werden weite Teile der Erde nicht mehr bewohnbar sein. Dies wird Hungersnöte und Kriege nach sich ziehen. „Wer wirklich verstanden hat, was auf dem Spiel steht, und wer das an sich heranlässt, den lässt das Thema nicht mehr los.“ Lehmkuhl ist überzeugt, dass Vertreter der Gesundheitsberufe die Krise gemeinsam bekämpfen sollten.

Mehr reflektieren statt „green washing“

In einem weiteren Vortrag erörterte Karina Witte zusammen mit den Gästen die Frage, was nachhaltige Pharmazie genau beinhaltet. Witte ist Apothekerin und Doktorandin der pharmazeutischen Chemie an der Universität Freiburg. Dort hielt sie ein Seminar zur nachhaltigen Pharmazie. Außerdem gehört sie zu den Gründungsmitgliedern der Pharmacists for Future. Die Gruppe trifft sich monatlich online und entwickelt Konzepte für die Rolle der Pharmazie in der Klimakrise. Die Impulse, die sie gewann, teilte sie auf der VdPP-Tagung.

Witte umschreibt das Ziel der nachhaltigen Pharmazie so: Auch für nachfolgende Generationen soll eine wirksame Behandlung von Krankheiten möglich sein. Eine Definition gelingt nur, wenn gleichzeitig naturwissenschaftliche, soziokulturelle, ökonomische wie auch didaktische Betrachtungen mit einfließen – und nicht bloß isolierte Arbeitsfelder betrachtet werden. Denn dann wächst die Gefahr des green washings, also scheinbarer Lösungen, die lediglich für einen grünen Anstrich missbraucht werden. Witte appelliert, dass wir nicht auf dieser Stufe stehen bleiben dürfen. „In der Vergangenheit haben wir viele Lösungen für Probleme gefunden, die später zum Problem wurden.“ Man müsse regelmäßig hinterfragen, ob das, was man tut, tatsächlich gut sei.

„Packen wir es an!“

Mit 30 °C herrschen nicht gerade die besten Bedingungen für eine sechsstündige Online-Fachtagung. Aber trotzdem: Alle Teilnehmer bleiben bei der Sache, diskutieren, stellen Fragen, bringen Anregungen ein. Nach der Mittagspause startet ein Workshop im World-Café-Format: Dabei teilten die Veranstalter:innen ihre Gäste in drei Gruppen ein. In separaten Konferenzräumen der Video-Plattform „Zoom“ diskutieren sie nacheinander konkrete Problemstellungen. Die Diskussion begleitet immer eine Seminarleiterin oder ein Seminarleiter.

Brainstorming im World-Café

Eine der Seminarleiterinnen war Annegret Dickhoff. Sie zertifiziert als Umweltmanagerin eines von 27 Krankenhäusern über ein Projekt des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), wie systematisch CO2 und Abfall eingespart werden kann. In vielen Abteilungen meldeten sich Freiwillige, die Umweltbeauftragte werden wollen. Nur in der Klinikapotheke bzw. krankenhausversorgenden Apotheke fand sich niemand, der den Job übernimmt. Woran könnte das liegen? Wo könnte eine Krankenhausapotheke konkret ansetzen? Ein Diskurs aus Offizin- und Krankenhausapotheker:innen sowie Pharmazeuten im öffentlichen Gesundheitswesen trägt innerhalb weniger Minuten Früchte.

Nach etwa 20 Minuten öffnet sich auf der VdPP-Tagung ein neuer Raum für Diskussionen. Die nächste Gruppenleiterin war die Journalistin Claudia Jenkes, die zu Antibiotikaresistenzen recherchiert. Sie zeigte ein Video, in dem der Protagonist einen zusätzlichen Reinigungsschritt in Kläranlagen bewertet, mit denen Arzneimittel teilweise aus dem Abwasser entfernt werden können. Studien zeigen, dass Antibiotika in Abwässern zu Resistenzen führen können. Über die Umwelt gelangen sie zu Patient:innen, die die Keime ins Krankenhaus mitnehmen. Wieder erarbeiten die Apotheker:innen in den Seminargruppen Ansätze, finden erste Lösungen. Können wir nicht schon früher ansetzen, sodass weniger Antibiotika in Kläranlagen landen? Hier bedarf es pharmazeutischer Kompetenz.

Eine weitere Runde befasste sich mit der Lehre in der Pharmazie. Patrick Neumann, Beauftragter für Public Health beim Bundesverband der Pharmaziestudierenden in Deutschland, bekannte: Nachhaltigkeit fehlt in der Approbationsordnung und folglich im vollgepackten Pharmaziestudium. Das ist problematisch, weil es Apothekern schon in Studium und Ausbildung an Raum fehlt, um über den Tellerrand hinauszublicken und dem Berufsstand neue Impulse zu geben. Auch zu diesem verzwickten Thema zeichnen sich Maßnahmen ab: Man könne Dozenten einen Pool mit Powerpoint-Folien für ihre Präsentationen bereitstellen, deren sie sich bedienen könnten, ohne sie selbst erarbeiten zu müssen. Doch auch Apothekerkammern müssten nachziehen und die Apothekerschaft weiterbilden.

Nach der Tagung saßen wohl die Meisten mit vollem Kopf in der Frühsommerhitze, müde vom Nachdenken und zugleich aufgeweckt von den Ideen ihrer Kolleg:innen. Nach diesem Vor- und Nachmittag war klar: Der Kampf gegen die Klimakrise ist mehr als ein Kampf gegen Windmühlen. Er ist eine Chance für die gesamte Pharmazie. VdPP- und Pharmacists for Future-Mitglied Regina Schumann fasst es zusammen. „Es gibt viel zu tun. Packen wir es an!“



Marius Penzel, Apotheker
redaktion@daz.online


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