COVID-19-Spätfolgen für Kinder

Studie zeigt: PIMS ist gefährlich, aber wohl gut heilbar

Düsseldorf - 31.05.2021, 16:45 Uhr

PIMS tritt nur selten auf, die Verläufe können indes schwer sein. (Foto: zilvergolf / AdobeStock)

PIMS tritt nur selten auf, die Verläufe können indes schwer sein. (Foto: zilvergolf / AdobeStock)


Das Pädiatrische Inflammatorische Multiorgan-Syndrom (PIMS) bei Kindern und Jugendlichen ist eine seltene, aber gefährliche Spätfolge einer häufig symptomlosen COVID-19-Infektion. Unbehandelt können die Symptome, die mit Bauchschmerzen und Fieber beginnen und bis zu schweren Herz-Kreislauf-Störungen und neurologischen Ausfällen reichen können, tödlich sein. Eine Studie britischer Mediziner:innen zeigt jetzt aber, dass sich die jungen Patient:innen in der Regel wohl gut erholen.

In der aktuellen Diskussion darum, ob Kinder nun mit der Freigabe des Biontech-Vakzins ab zwölf Jahren bevorzugt gegen COVID-19 geimpft werden sollen, mischt sich ein Akronym, das durchaus Anlass zur Sorge bereiten darf. PIMS – das steht für Pädiatrisches Inflammatorische Multiorgan-Syndrom (paediatric inflammatory multisystem syndrome) und beschreibt eine seltene, aber schwere Spätfolge einer COVID-19-Infektion bei Kindern und Jugendlichen.

3.681.126 COVID-19-Fälle insgesamt bis 31. Mai 2021 verzeichnet das Robert Koch-Institut RKI in Deutschland seit Beginn der Pandemie, davon insgesamt 355.944 in der Altersgruppe der bis 14-Jährigen. Der überwiegende Teil der Jüngeren hatte nur leichte Verläufe oder blieb symptomlos (wobei hier eine entsprechende Dunkelziffer noch dazu gerechnet werden muss). So schwere Verläufe, dass die Patient:innen hospitalisiert werden mussten, gab es laut der Statistik der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) in nur 1.548 Fällen. Auch traten nur wenige Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19 auf: Nach Angaben des RKI waren es bei unter 19-Jährigen insgesamt 17.

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Also weniger Grund zur Sorge – und kein Grund, Kinder und Jugendliche bevorzugt zu impfen, argumentieren viele. Allerdings gibt es eben jenes Phänomen des PIM-Syndroms, in einigen Beschreibungen auch als MIS-C (Multiinflammatory Syndrome with COVID-19) benannt. Bis zu sechs Monate nach einer oft sogar unbemerkten symptomlosen COVID-19-Infektion beginnt dies meist mit hohem Fieber und Magen-Darm-Beschwerden und kann unbehandelt zum Tode führen. Denn bei PIMS reagiert das Immunsystem der jungen Patient:innen über. Eine Bandbreite von schweren Symptomen sind die Folge, angefangen bei Hautausschlägen und geröteten Augen über schwere Störungen und Entzündungen des Verdauungstrakts, der Gefäße und des Herzens sowie neurologische Beeinträchtigungen unter anderem mit Halluzinationen bis hin zum Multiorganversagen.

PIMS ist nicht Kawasaki

PIMS ähnelt dabei dem bereits bekannten Kawasaki-Syndrom bei Kindern – und vor allem die Unberechenbarkeit, wann es auftritt, macht dabei Mediziner:innen Sorge und vielen Eltern Angst. Der kausale Zusammenhang mit COVID-19 gilt als erwiesen. Studien zeigten, dass die Fallzahlen für PIMS in direkter Korrelation zeitlich versetzt mit den Fallzahlen von COVID-19 steigen.

Spielen Vorerkrankungen bei Kindern eine Rolle?

Beruhigend ist indes die Tatsache, dass PIMS wohl nur sehr selten auftritt – 323 Fälle seit Beginn der Pandemie bis Ende Mai 2021 verzeichnet die DGPI in ihrem PIMS-Survey. Diese sind allerdings in der Mehrheit der Fälle so schwer, dass sie intensivmedizinisch betreut werden müssen. Todesfälle infolge von PIMS gab es bislang nicht zu verzeichnen.

Vorerkrankungen spielten dabei eher keine Rolle, so die DGPI-Expert:innen. Statistisch sind die Betroffenen innerhalb der Altersgruppe älter und eher männlich – in Erhebungen in Großbritannien etwa fand man außerdem eine Korrelation mit der Ethnie. Dort sind Kinder aus ethnischen Minderheiten eher betroffen als andere.

Welche Langzeitfolgen macht PIMS?

Aus Großbritannien kommt nun auch eine Studie, welche die Langzeitfolgen von PIMS unter die Lupe genommen hat. Exemplarisch anhand einer Gruppe von 46 von PIMS betroffenen Kindern, die über einen Zeitraum von sechs Monaten behandelt und untersucht wurden, kamen die Mediziner:innen um Justin Penner und Karyn Moshal vom „Department of Paediatric Infectious Diseases“ des „Great Ormond Street Hospital“ in London zu dem Ergebnis, dass nach sechs Monaten trotz der Schwere der Erkrankungen nur vergleichsweise geringe Langzeit-Organschäden zu beobachten seien.

Die Mediziner:innen veröffentlichten ihre Ergebnisse jetzt im Fachmagazin „The Lancet“. Schwere Symptome beschreiben die Kinderärzt:innen in ihrer Studie. 15 Kinder zeigten ein auffälliges Echokardiogramm, ein Kind musste an die extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) angeschlossen werden – die stärkste Behandlungsform der künstlichen Beatmung.

Viele Kinder mit neurologischen Symptomen

Über die Hälfte der Patient:innen (n=24) zeigten neurologische Symptome von Kopfschmerzen über Sprech- und Hörstörungen bis zu visuellen und akustischen Halluzinationen. Abnorme Augenbewegungen, Delirium oder Gesichtslähmungen wie bei einem Schlaganfall seien weitere Symptome vor der Behandlung gewesen. 14 Kinder zeigten Auffälligkeiten im EEG (Hirnwellenablesung, Elektroenzephalogramm).

Probleme mit den Nieren hätten 42 der 46 Kinder gezeigt, ebenso gastrointestinale Symptome wie Bauchschmerzen und Durchfall. 40 zeigten Blutwerte, die auf Gerinnungsstörungen und ein erhöhtes Thromboserisiko hinwiesen. Zwei Kinder entwickelten Thrombosen. 29 zeigten Atemprobleme, 16 wurden künstlich beatmet.

Kinder im Schnitt nach sieben Tagen genesen

Ohne intensivmedizinische Behandlung hätten viele dieser Symptome zum Tode geführt. Erfahrungen aus der Behandlung etwa des Kawasaki-Syndroms aber führten dazu, dass alle Kinder nach im Schnitt sieben Tagen von den Symptomen genesen konnten. Behandelt wurden sie dabei unter anderem, je nach Symptomatik, mit Corticosteroiden, Blutverdünnern und Immunglobulinen.

Zwölf Kinder hatten bei der Einweisung ins Krankenhaus einen positiven COVID-19-PCR-Test, 36 waren in einem Antikörper-Test positiv. Zwei waren zwar weder serologisch noch in der RT-PCR positiv, hatten aber Haushaltskontakte zu COVID-19-Patient:innen.

Organische Folgen meist gering, aber psychische Labilität

Sechs Monate nach der Entlassung aus dem Krankenhaus seien bei den jungen Patient:innen weniger schwere Langzeitschäden gefunden worden als die Mediziner:innen erwartet hatten. Ein Koronararterien-Aneurysma, das etwa nach Kawasaki-Fällen recht oft gefunden wird, wies nur ein Kind auf. Zwei Kinder zeigten weiter Auffälligkeiten im Echokardiogramm und sechs weisen leichte Beschwerden des Verdauungstrakts auf. Allerdings zeigen nach sechs Monaten immer noch 18 der Betroffenen im Lauf-Belastungstest schwere muskuläre Defizite. Sieben Kinder zeigen sechs Monate später laut den Mediziner:innen weiterhin emotionale Labilität, und viele zeigten Ängste. Die Ärzt:innen nahmen dabei auch die psychischen Folgen für die Eltern ins Visier, die besonders vor einem Rückfall ihrer Kinder Angst zeigten.

Insgesamt, so fassen die Kinderärzt:innen zusammen, seien zwar die organischen Folgen nach sechs Monaten überwiegend gering – Sorgen bereiteten aber die anhaltende physische Schwäche und die mentalen Folgen, bei denen allerdings mehrere Faktoren eingeflossen seien – unter anderem seien das auch Symptome eines Post-intensivmedizinischen Syndroms. Über 250 PIMS-Fälle insgesamt verzeichnete das Vereinigte Königreich bis Ende März 2021 – Todesfälle seien dabei wie in Deutschland nicht zu verzeichnen gewesen.

Langzeitschäden: Long-COVID?

Langzeitschäden, wie die anhaltende Schwäche, deutlicher Leistungsabfall im Vergleich zu Gesunden sowie neurologische und psychische Probleme werden aber auch im Übrigen für das sogenannte Long-COVID beschrieben. Diese Symptome zeigen sich ebenfalls im Nachgang einer COVID-19-Infektion – auch bei symptomlos Infizierten.

Betroffen sind dabei allerdings alle Altersklassen. Neueren Schätzungen etwa der WHO zufolge rechnet man in Deutschland im Nachgang der Pandemie mit bis zu rund 350.000 Betroffenen, die zum einen nur eingeschränkt erwerbstätig sein könnten und zum anderen eine Vielzahl an Therapien benötigen werden. Dabei geht man von rund 10 Prozent der als COVID-19-positiv verzeichneten Fälle aus. Da die Dunkelziffer der symptomlosen aber höher ist und Long-COVID sich auch nach asymptomatischen Infektionen zeigen kann, könnte die Zahl höher liegen. Die Folgen könnten dabei noch Jahre anhalten.

Sowohl zu PIMS als auch zu Long-COVID sei weitere Forschung nötig.



Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


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