Antworten aus dem BMG

Was steckt hinter den Lieferengpässen bei Corona-Impfstoffen?

Berlin - 19.01.2021, 13:45 Uhr

Warum hakt es bei der Auslieferung der COVID-19-Impfstoffe? (c / Foto: imago images / IP3press)

Warum hakt es bei der Auslieferung der COVID-19-Impfstoffe? (c / Foto: imago images / IP3press)


Die Impfinitiativen gegen COVID-19 laufen in Deutschland nicht so zügig an, wie es sich viele gewünscht hätten. Das Bundesministerium für Gesundheit steht in der Kritik: Ist die Einkaufspolitik der Bundesrepublik und der Europäischen Kommission mitverantwortlich für die Lieferengpässe, die nun auftreten? Das BMG informiert in einem umfangreichen Dokument jetzt über die Hintergründe.

Waren Deutschland und die EU-Kommission zu vorsichtig bei der Bestellung von COVID-19-Impfstoffen? Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) und die SPD-geführten Bundesländer fühlen dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) auf den Zahn: Warum stockt die Auslieferung der Corona-Vakzinen derzeit noch? Jetzt liegt die ausführliche Antwort des Ministeriums auf den Fragenkatalog der Sozialdemokraten vor. Auf insgesamt 30 Seiten erläutert das BMG unter anderem, wie es zu bestimmten Entscheidungen bezüglich der Lieferverträge mit den Herstellern kam und ob es Bedarf für weitere Vereinbarungen mit Produzenten sieht.

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Scholz und Parteikolleg:innen wollten etwa wissen, welche Liefertermine und Liefermengen den Bundesländern für den Januar und Februar zugesagt sind und ob das Ministerium hier Nachbesserungsbedarf sieht. Dabei liegt das Augenmerk auf der Vakzine von Biontech/Pfizer: Die Pharmafirmen bleiben derzeit bezüglich der Liefermengen ihres Impfstoffs hinter den Erwartungen zurück. „Der Lieferplan von Biontech/Pfizer, den das BMG den Ländern am 21. Dezember 2020 weitergeleitet hat, beinhaltete nach dem gemeinsamen Verständnis von Bund und Ländern die vermeintliche perspektivische Angabe zu Lieferungen ab Kalenderwoche 1/2021“, heißt es aus dem Hause Spahn.

Unstimmigkeiten mit Biontech/Pfizer beim Lieferplan

Der konkrete Lieferplan der Unternehmen bis zur Kalenderwoche 7/2021 mit Datum und Anzahl der Dosen, den das BMG nach eigenen Angaben am 30. Dezember 2020 an die Länder weiterreichte, sah entgegen der gemeinsamen Annahme Lieferungen erst ab Kalenderwoche 2/2021 vor. „Dieses Missverständnis konnte zum Bedauern aller Akteure nicht vollumfänglich behoben werden“, moniert das Ministerium. „Um die kurzfristigen Auswirkungen dennoch zu begrenzen, wurden die Lieferdaten auf Initiative des BMG noch am gleichen Tag dahingehend angepasst, dass in Kalenderwoche 1 eine Lieferung sichergestellt werden konnte. In der darauffolgenden Kalenderwoche 2/2021 erfolgte keine Lieferung.“

Biontech/Pfizer-Vakzine war nicht der Favorit in Europa

Und auch in den anstehenden Wochen werden die Hersteller offenbar nicht wie vorgesehen liefern können. Der Grund ist laut BMG, dass Pfizer wegen Umbauten im Werk Puurs in Belgien die bereits zugesagte Menge an Impfstoff für die folgenden Wochen nicht vollständig bereitstellen kann. „Nach Angaben von Pfizer dienen die Umbauten dazu, die Kapazitäten ab Mitte Februar zu erhöhen“, informiert das Ministerium. „Mit Bedauern und Unverständnis wurde die sehr kurzfristige und unerwartete Mitteilung zur Kenntnis genommen.“ Biontech habe jedoch inzwischen eine vollständige Lieferung der für das erste Quartal 2021 angekündigten rund 10 Millionen Dosen bis Ende März zugesichert.

Angebot nicht ausgeschöpft

Darüber hinaus erkundigen sich der Bundesfinanzminister und die SPD-Ministerpräsidenten, weshalb die EU-Kommission bei der Bestellung der Impfstoffe nicht die volle Zahl der angebotenen Dosen ausgeschöpft habe. „Medienberichten zufolge haben sowohl Biontech als auch Moderna der EU deutlich höhere Mengen an Dosen angeboten“, betonen sie. Biontech hätte demnach 400 bis 500 Millionen Dosen offeriert statt der dann am 11. November 2020 vertraglich vereinbarten 200 Millionen plus 100 Millionen Dosen als Kaufoption. Moderna soll bis zu 300 Millionen Dosen statt der dann von der EU am 25. November 2020 gesicherten 80 Millionen Dosen plus 80 Millionen Dosen als Option angeboten haben.

„Im Juli 2020 liefen auf EU-Ebene die Sondierungsgespräche mit Biontech/Pfizer und Moderna“, erinnert das BMG. „Zu diesem Zeitpunkt war nicht abzusehen, ob und welcher Impfstoff die klinische Entwicklung erfolgreich und zügig durchlaufen und zugelassen würde.“ Zudem sei nicht klar gewesen, dass die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna zuerst eine Zulassung in der EU erhalten werden. Aber: „Darüber hinaus war bereits bekannt, dass der Impfstoff der Firma Biontech/Pfizer für eine längere Lagerung einer Ultra-Tiefkühlung bedürfen würde und dass die Impfdosen vor Verabreichung verdünnt werden müssten, sodass Verteilung, Lagerung und Anwendung eine Herausforderung darstellen würden. Hinzu kam, dass im Sommer noch im Hinblick auf den damaligen Stand der klinischen Studien davon ausgegangen werden konnte, dass der Impfstoff der Firma AstraZeneca bereits 2020 eine Zulassung erhalten könnte.“

Bekommt Deutschland weitere Impfstoffdosen?

Tatsächlich, so das Ministerium, sei bis November 2020 nicht absehbar gewesen, dass die Zulassung des AstraZeneca-Impfstoffs erst deutlich später als die Zulassung für den Biontech/Pfizer-Impfstoff erfolgen würde. „Deshalb war das Interesse vieler anderer Mitgliedstaaten an dem Impfstoff der Firma Biontech/Pfizer anfangs eher gering ausgeprägt.“ Um vor diesem Hintergrund überhaupt einen Vertrag für die EU in ausreichender Höhe aushandeln zu können, hat Deutschland nach Angaben des BMG garantiert, bis zu 100 Millionen Impfdosen abzunehmen für den Fall, dass andere Mitgliedstaaten auf ihren Anteil verzichten würden. Im Ergebnis wurden die Sondierungsgespräche im August 2020 (Moderna) und im Oktober 2020 (Biontech/Pfizer) erfolgreich beendet, fasst das Bundesgesundheitsministerium zusammen.

Ob über die bestehenden Vereinbarungen hinaus weitere Lieferverträge mit Herstellern von COVID-19-Impfstoffen nötig seien, um den Bedarf in Deutschland zu decken, bezweifelt das BMG. Denn beim Bezug der Biontech/Pfizer-Vakzine hat Deutschland noch ein Ass im Ärmel: Die Entwicklung des Impfstoffs sei vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert worden, schreibt das BMG. „Von der Firma wurde im Gegenzug erwartet, dass sie einen angemessenen Anteil der Produktion eines zugelassenen COVID-19-Impfstoffs für die bedarfsgerechte Versorgung in Deutschland zugänglich macht.“ Man habe eine vorvertragliche Absichtserklärung geschlossen, in der Biontech sich zur Lieferung von 30 Millionen Impfdosen an die Bundesrepublik zusätzlich zur geplanten EU-Lieferung verpflichtet. „Die Umsetzung dieser Absichtserklärung in eine verbindliche Bestellung inklusive der Liefertermine ist Gegenstand laufender Verhandlungen.“

BMG steht zum europäischen Weg

Auch die Verhandlungen mit Moderna laufen nach Angaben des Ministeriums derzeit. „Das BMG bevorzugt auch hier den europäischen Weg und wirbt derzeit bei seinen europäischen Partnern dafür, auch mit Moderna kurzfristig eine Mengenaufstockung auf EU-Ebene zu vereinbaren.“ Nach aktuellem Stand werde Deutschland aus den Verträgen auf EU-Ebene mindestens 99 Millionen Impfdosen von Biontech/Pfizer und 50 Millionen Impfdosen von Moderna erhalten, die im Laufe des Jahres 2021 geliefert werden sollen. „Ob auch vor dem Hintergrund weiterer Impfstoff-Kandidaten, die vor der Zulassung stehen, Optionen auf weitere Dosen erforderlich sind, muss sorgfältig erwogen werden.“



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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