- DAZ.online
- News
- Politik
- „Ich würde mir wü...
Interview mit Kordula Schulz-Asche und Janosch Dahmen
„Ich würde mir wünschen, dass die Apotheker sich nicht länger so klein machen“
Mit Janosch Dahmen gibt es ein neues Gesicht in der Bundestagsfraktion der Grünen und im Gesundheitsausschuss des Bundestags. Der 39-jährige Unfallchirurg ist im November ins Parlament nachgerückt und übernimmt von der pflegepolitischen Sprecherin seiner Fraktion, Kordula Schulz-Asche, die Apothekenthemen. Was bedeutet das für die Pharmazeut:innen? Die DAZ sprach mit beiden Abgeordneten über ihre Visionen für den Berufsstand.
DAZ: Herr Dahmen, Sie steigen in einer Zeit in die Apothekenwelt ein, in der viele sehr grundlegende Veränderungen anstehen. Haben Sie Respekt vor Ihrer neuen Aufgabe?
Dahmen: Ich habe großen Respekt – nicht nur bezüglich des Teils der Gesundheitsversorgung, der auch die Apotheken betrifft, sondern insbesondere vor der Mammutaufgabe, die uns als Gesellschaft und dem Gesundheitswesen jetzt bevorsteht. Egal, aus welcher Perspektive man es betrachtet, ob politisch, heilberuflich oder journalistisch, wir stehen aktuell vor enormen Herausforderungen. Und auch wenn die Apotheker:innen nicht mit allen Impulsen, die aus unserer Fraktion kamen, immer einverstanden waren: Niemand kann uns vorwerfen, wir hätten uns mit der Zukunft der Arzneimittelversorgung, der Rolle der Offizinen und der Neuordnung im Gesundheitswesen nicht hinreichend beschäftigt. Die Ideen, die hierzu bereits ausgearbeitet auf dem Tisch liegen, erleichtern mir den Einstieg in diese sehr komplexe Materie.
Welche thematischen Schwerpunkte wollen Sie setzen?
Dahmen: Für mich steht eine qualitativ hochwertige, patientenorientierte Arzneimittel- und Apothekenversorgung im Mittelpunkt. Damit reihe ich mich ein in die Grundsätze, die die Fraktion auch bisher schon vertreten hat. Als Arzt bin ich zudem der Auffassung, dass Gesundheitsversorgung für die Menschen nie gut sein kann, wenn die Grundsätze über die Köpfe der Beteiligten hinweg getroffen werden. Es gilt, mit den Leistungserbringer:innen gemeinsam Lösungen für bestehende Probleme zu finden. Nach diesen Leitsätzen möchte ich aktuelle und zukünftige Projekte mitgestalten.
Ein Thema, das im kommenden Jahr ganz oben auf der Agenda steht, ist die Einführung des E-Rezepts. Wo sehen Sie diesbezüglich Chancen und Risiken für das Gesundheitswesen und die intersektorale Zusammenarbeit?
Dahmen: Einige Schwierigkeiten lassen sich damit sicher aus dem Weg räumen – angefangen bei der Mobilität der Menschen, wenn es darum geht, einen Zettel von A nach B zu tragen, bis hin zur Rezeptausstellung im kassenärztlichen Notdienst. Verordnungsfehler ausräumen, das Zurückgreifen auf vorhergehende Verschreibungen, all das birgt große Chancen. Was den Wettbewerb zwischen Arzneimittelversendern und Vor-Ort-Apotheken betrifft, müssen wir natürlich sehr genau hinschauen – gleichzeitig eröffnen wir den Patient:innen aber auch die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wo und wie sie ihr Rezept einlösen möchten. Was den Datenschutz betrifft, ist jedoch die Politik gefordert, die richtigen Weichen zu stellen und für Sicherheit zu sorgen. Und eins ist mir noch sehr wichtig: Digitalisierung kann unter Zwang nicht funktionieren. Wir müssen die Vorteile erlebbar machen und auch diejenigen mitnehmen, die sich mit dem ganzen Themenkomplex schwer tun. Für sie sollte aus der Digitalisierung bei der Arzneimittelversorgung kein Nachteil entstehen.
ARMIN – zu wenig genutzte Erfahrungen
Bisher haben sich die Grünen offen für den Versandhandel mit Medikamenten gezeigt. In den vergangenen Monaten hat Zur Rose jedoch auch Kritik aus Ihren Reihen auf sich gezogen – etwa mit dem Kauf des Telemedizinanbieters Teleclinic und der geplanten Zuarbeit des Tochterunternehmens eHealth-Tec bei der Entwicklung des zentralen E-Rezept-Diensts durch IBM. Frau Schulz-Asche, hat sich Ihre Haltung zum Rx-Versandhandel inzwischen gewandelt?
Schulz-Asche: Gerade im Gesundheitswesen müssen wir sehr genau aufpassen, was Interessenkonflikte betrifft. Daher sehe ich die angesprochenen Entwicklungen durchaus kritisch. Da sind Unternehmen beteiligt, die natürlich ihre eigenen Interessen verfolgen. Es ist wichtig, hier die Verträge zu prüfen und genau nachzuvollziehen, was hinter den Kulissen geschieht. Ich hätte mir eine andere Lösung gewünscht, als dass Zur Rose an der Ausarbeitung des E-Rezept-Fachdiensts beteiligt wird. Das hat aber nicht grundsätzlich etwas mit dem Versandhandel zu tun.
Welche anderen Lösungen hätten Sie begrüßt?
Schulz-Asche: Was ich nicht verstehe ist, warum man nicht auf Modellprojekte wie die Arzneimittelinitiative in Sachsen und Thüringen (ARMIN) zurückgegriffen hat. Dort ist der elektronische Austausch doch bereits Teil eines Gesamtprozesses, bei dem Ärzt:innen und Apotheker:innen gemeinsam agieren, um die Arzneimitteltherapiesicherheit der Patientinnen und Patienten zu verbessern. Statt von solchen Projekten zu lernen und sie in die Fläche zu bringen, fängt man wieder bei null an. Es sollte doch nicht nur um die technische Komponente, sondern auch um die fachliche Zusammenarbeit gehen. Dabei hätte man von den Erfahrungen aus ARMIN profitieren können. Wenn man dann noch andere Gesundheitsberufe wie die Pflegekräfte einbeziehen würde, hätte man den Nutzen für die Patient:innen sogar noch vergrößern können.
Noch liegen die Evaluationsergebnisse aus ARMIN noch nicht vor. Herr Dahmen, was erwarten Sie davon?
Dahmen: Es steht mir nicht zu, dem Abschlussbericht vorzugreifen. Es würde mich aber wundern, wenn das Projekt keine positiven Resultate liefern würde. Es entspricht auch meinem persönlichen Erleben als Arzt, dass die Zusammenarbeit der Professionen großen Nutzen bringt. Die Ergebnisse aufzuarbeiten, ist der eine Schritt. Letztlich müssen aber alle Partner im Gesundheitswesen an einem Strang ziehen, um daraus einen Nutzen zu generieren – auch die Krankenkassen. Da reicht rein politischer Druck nicht aus. Es müssen alle Beteiligten den Willen entwickeln, solch ein Projekt flächendeckend auszurollen.
Haben Sie selbst in Ihrer Funktion als Arzt Erfahrungen mit der Zusammenarbeit von Medizinern und Apothekern gemacht?
Dahmen: Ich habe Teile meines Studiums in San Diego in den USA absolviert. Dort war es schon damals völlig selbstverständlich, dass bei pharmakologischen Visiten auch Apotheker:innen dabei waren. Das hat mich als angehender Arzt sehr beeindruckt und entlastet, denn auch unter erfahrenen Kolleg:innen ist eine Pharmakotherapie oft ein Blindflug. Mit dem Zusammenwirken komplexer Therapien kennen sich die Apotheker:innen halt am besten aus. Hierzulande setzt sich das Konzept der Apotheker:innen auf Station immer mehr durch. Aber warum soll dieser Austausch auf den Kliniksektor beschränkt bleiben? In leicht abgewandelter Form könnte dies doch auch die ambulante Versorgung verbessern. Es leuchtet mir nicht ein, warum man außerhalb der Krankenhäuser diesen enorm wichtigen Baustein in der Arzneimitteltherapie außer Acht lässt. Ich würde mir wünschen, dass die Apotheker:innen sich nicht länger so klein machen, wie sie es aktuell tun, sondern sich emanzipieren und ihre heilberuflichen Kompetenzen stärker einbringen als bisher.
Kooperation mit Ärzten und lokale Gesundheitsnetzwerke als Schlüssel
Frau Schulz-Asche, Sie begleiten die Apotheker seit einigen Jahren. Haben Sie den Eindruck, dass diesbezüglich Bewegung reinkommt?
Schulz-Asche: Ja, ich glaube, dass sich aktuell der Blick verändert auf pharmazeutische Kompetenzen, aber auch auf die Bedeutung der Apotheker:innen für die Gesundheitsversorgung allgemein – nicht nur vonseiten der Apothekerschaft, sondern vor allem auch bei den Patient:innen und im ärztlichen Bereich. Es ist an der Zeit, dass Berufe, die so zentral sind für eine gute Patientenbetreuung, auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Dazu zwingt uns auch der demografische Wandel: Immer weniger Fachkräfte müssen immer mehr multimorbide Menschen versorgen. Die Gesundheitsberufe müssen jetzt neue Aufgaben in der Versorgung kranker Menschen, aber auch in der Prävention übernehmen und kooperieren.
Fürchten Sie, dass es in diesem Zuge zu einer gewissen Selektion kommen wird? Nicht alle Apotheken haben optimale Voraussetzungen beziehungsweise die Ressourcen, den Wandel vollumfänglich mitzugehen.
Schulz-Asche: Ich habe in den vergangenen Jahren deutschlandweit jede Apotheke besucht, die mich eingeladen hat. Was mich dabei ganz besonders beeindruckt hat, war die Vielfalt, die ich kennenlernen durfte. Natürlich haben einige Betriebe derzeit Schwierigkeiten, am Markt zu bestehen. Das hat unterschiedliche Gründe. Ich glaube, ein Schlüssel ist, die Kooperation mit Ärzt:innen zu suchen und eingebunden zu sein in lokale Gesundheitsnetzwerke. Das ist eine Überlebensmöglichkeit für Apotheken, ob sie nun digital gestützt ist oder auf den direkten menschlichen Kontakt aufbaut. Zentral ist, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen Arzt, Apotheker und Patient existiert. Wir müssen darauf achten, dass die Menschen in ganz Deutschland auch in Zukunft noch Zugang zu einer Vor-Ort-Apotheke haben. In diesem Zusammenhang muss man auch über mögliche Kooperationen unter den Apotheker:innen sprechen – denn ähnlich wie im ärztlichen Bereich sind viele junge Approbierte heute nicht mehr bereit, das Risiko einer Selbstständigkeit einzugehen und gleichzeitig sehr viel Zeit in den eigenen Betrieb investieren zu müssen.
Was ist dagegen aus Ihrer Sicht zu tun?
Schulz-Asche: Wir müssen uns überlegen, wie wir es für die Absolvent:innen wieder attraktiv machen, nach dem Studium nicht in die Pharmaindustrie zu gehen, sondern in die Apotheke vor Ort. Dabei spielt auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine Rolle. Neben dem demografischen Wandel muss man auch den gesellschaftlichen im Blick behalten: Es ist gut, dass junge Paare heute vermehrt Wert darauf legen, sich gleichermaßen am Familienleben beteiligen zu können. Besitzt einer von beiden aber eine Apotheke, die sechs Tage in der Woche geöffnet hat und für Notdienste eingeteilt ist, gestaltet sich dies schwierig. Also müssen wir die Angebote den Bedürfnissen anpassen und das kann geschehen, indem man Kooperationen ermöglicht. Die langwierige Diskussion um das Rx-Versandverbot hat in den vergangenen Jahren leider völlig davon abgelenkt, Wege zu suchen, wie sich das Modell Apotheke weiterentwickeln kann und muss, um zukunftsfähig zu sein. Das sollten wir jetzt dringend nachholen.
Dahmen: Es gibt Regionen, in denen offensichtlich wird, dass mit den bestehenden Möglichkeiten eine gute Gesundheitsversorgung kaum aufrechterhalten werden kann. Ein Teil der Lösung könnte ein Fondssystem sein, wie wir es bereits vorgeschlagen haben. Ein anderer könnte sein, das Mehrbesitzverbot punktuell und sehr vorsichtig dann zu lockern, wenn man feststellt, dass sich an einem Ort einfach niemand findet, der bereit ist, dort eine Apotheke zu betreiben.
„Apothekenketten lehnen wir grundsätzlich ab“
Aber Apothekenketten lehnen Sie weiter ab?
Dahmen: Ja. Es geht mir explizit um Regionen, in denen es unter Normalbedingungen gar keine Apotheke gäbe. Das Ergebnis darf nicht sein, dass daraus eine deutschlandweite Kette entsteht, sondern Ziel ist, regionale Lösungen zu finden. Diese Diskussion muss doch erlaubt sein – und auch geführt werden.
Schulz-Asche: Apothekenketten lehnen wir grundsätzlich ab. Wir stehen als Fraktion hinter dem Prinzip der inhabergeführten Apotheke. Wenn aber eine Region droht, von der Gesundheitsversorgung abgeschnitten zu werden, muss es doch irgendeinen Weg geben, lokal nach Lösungen zu suchen. Die Entscheidung, wann der Betrieb einer zusätzlichen Apotheke über die geltenden Begrenzungen hinaus erlaubt ist, sollte dabei aber mit allen Beteiligten abgestimmt sein.
Also keine Chance für DocMorris, sich in Deutschland breitzumachen? Stehen Sie zum Fremdbesitzverbot?
Schulz-Asche: Voll und ganz. Aus meiner Sicht sollten Betriebe wie Apotheken unmittelbar von Fachkräften geleitet werden. In der Pflege sehe ich, dass es mitunter zu Problemen kommen kann, wenn das nicht der Fall ist. Ein ökonomisches Interesse reicht nicht aus, um solch spezielle Gesundheitsangebote zu machen. Dann leidet oft die fachliche Kompetenz und das darf nicht sein. Ich möchte keinen Discounter im Apothekenwesen oder in der medizinischen Versorgung haben. Wenn wir darüber reden, die Gesundheitsberufler enger zu vernetzen und den Austausch zu fördern, ist das nur sinnvoll, wenn neben dem ökonomischen Aspekt auch die Fachkompetenz eine Rolle spielt. Das kann kein Geschäftsführer leisten, der irgendwo sitzt und den Laden schmeißt. DocMorris als Alleinversorger wäre der Horror – sowohl als Versender, als auch als Vor-Ort-Apotheke. Wir haben es im Gesundheitswesen und explizit in der Apotheke weder mit Kundschaft im klassischen Sinn noch mit handelsüblichen Waren zu tun. Arzneimittel sind besondere Güter und entsprechend müssen wir auch die Rahmenbedingungen gestalten.
6 Kommentare
Impfzentrum / Mitarbeit
von Dr. Albrecht Emmerich am 15.01.2021 um 20:04 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: Impfzentrum / Mitarbeit
von Recovering Pharmacist am 17.01.2021 um 11:47 Uhr
Wünsch Dir was...
von Thomas Eper am 15.01.2021 um 12:26 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Ich kann's nicht mehr hören...
von Dr. Christian Redmann am 15.01.2021 um 10:18 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
da wird mir
von Karl Friedrich Müller am 15.01.2021 um 9:16 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: da wird mir
von Karl Friedrich Müller am 15.01.2021 um 9:28 Uhr
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.