Vertrauliches Dokument zur AvP-Insolvenz

Hat die BaFin „geschlafen“?

Berlin - 19.11.2020, 17:50 Uhr

Hätte die BaFin bei AvP schneller aktiv werden müssen? (rh / Foto: imago images / Hannelore Förster)

Hätte die BaFin bei AvP schneller aktiv werden müssen? (rh / Foto: imago images / Hannelore Förster)


Welche Rolle spielt die BaFin in Zusammenhang mit der AvP-Pleite? In einem vertraulichen Dokument informiert das Bundesfinanzministerium über die konkreten Schritte der Finanzaufsicht zwischen Ende März 2020 und Ende Juli 2020. DAZ.online erfuhr exklusiv, was drinsteht.

Hätte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) früher als geschehen auf die Pleite des Apothekenrechenzentrums AvP reagieren können? Die Inhalte eines vertraulichen Dokuments aus dem Bundesministerium für Finanzen (BMF) legen das nahe. Auf Bitten des Finanzausschusses erstellte das Ministerium eine Chronologie der Ereignisse rund um die Insolvenz von AvP und die aufsichtsrechtlichen Schritte.

In einem offiziellen Ausschussdokument (Drucksache 19(7)650) zum Sachstand des Insolvenzverfahrens, das DAZ.online vorliegt, schreibt die zuständige Parlamentarische Staatssekretärin Sarah Ryglewski einleitend, Teile dieser Chronologie enthielten Geschäftsgeheimnisse von Unternehmen, die es gegen das parlamentarische Fragerecht der Abgeordneten des Deutschen Bundestags abzuwägen gelte. „Diese Teile der Chronologie werden daher in einem separaten Schreiben an die Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestags (GSS) zur Einsicht übermittelt“, informiert Ryglewski.

Konkret betrifft das den Zeitraum vom 31. März 2020 bis 29. Juli dieses Jahres. „Die von AvP zu dieser Zeit bereits ergriffenen Maßnahmen werden aufsichtlich durch BaFin eng begleitet“, steht dazu in der Ausschussdrucksache mit Verweis „nähere Details zur Einsicht in der GSS“. Wie DAZ.online jetzt aus Kreisen erfuhr, die Einblick in dieses separate Schreiben haben, wurde die Finanzaufsicht hellhörig, als am 27. März dieses Jahres der AvP-Geschäftsleiter Rolf Clemens das Unternehmen verließ – aufgrund „kaufmännischer Empfehlungen“, wie es dem Vernehmen nach in dem Dokument heißt.

Jahresabschluss für nichtig erklärt

Daraufhin setzte sich die BaFin offenbar sowohl mit AvP als auch mit der Staatsanwaltschaft Düsseldorf in Verbindung und forderte im weiteren Verlauf Einsicht in die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft zu diesem Fall, die ihr auch gewährt wurden. Am 2. Juni wurde der Finanzaufsicht nach DAZ.online-Informationen ein Gutachten vorgelegt, in dem der Jahresabschluss von AvP für das Jahr 2019 für nichtig erklärt wurde. Es folgten im Juni und Juli regelmäßige „anlassbezogene Aufsichtsgespräche“ zwischen BaFin und AvP.

Ein Jahresabschluss kann laut reguvis.de, dem Fachmedienbereich des Bundesanzeiger-Verlags, dann für nichtig erklärt werden, wenn bei der Aufstellung und Feststellung des Abschlusses Fehler feststellbar sind. „Dies umfasst zum einen Fälle des Bilanzbetrugs (vorsätzlich falsche Bilanzierung), zum anderen (und praktisch häufiger) unbeabsichtigte Fehler bei der Rechnungslegung“, heißt es auf der Website. Gemeint ist damit ein normativ-subjektiver Fehlerbegriff. „Ein Abschluss ist danach handelsrechtlich nur dann fehlerhaft, wenn er gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstößt und der bilanzierende Kaufmann dies spätestens im Zeitpunkt der Feststellung oder Billigung des Abschlusses bei pflichtgemäßer und gewissenhafter Prüfung hätte erkennen können.“

Schäffler (FDP) kritisiert BaFin

Statt sofort zu reagieren, leitete die BaFin zum Beispiel einen Auszahlungsstopp, das Einsetzen eines Sonderbeauftragten und eine Strafanzeige wegen des Verdachts auf mögliche Insolvenz- und Vermögensstraftaten erst im September ein. Wie ist dieses späte Handeln der BaFin zu werten? DAZ.online bat Frank Schäffler, der für die FDP im Finanzausschuss sitzt, um eine Einordnung. „Die BaFin hätte unmittelbar eine Sonderprüfung bei AvP einleiten müssen“, teilte Schäffler daraufhin mit. „Sie hat jedoch wie so häufig viel zu lange gebraucht, um Maßnahmen zu ergreifen. Wenn das stimmt, zeigt sich, dass die BaFin mal wieder geschlafen hat.“ 



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Verantwortung übernehmen?

von Thomas Eper am 20.11.2020 um 10:37 Uhr

Also, wenn das so ist, hat die BaFin versagt und den Schaden der betroffenen Apotheken mit verursacht.
Braucht man nicht diskutieren; Sachlage ganz klar.

Dafür muss aber dann auch jemand die Verantwortung übernehmen und die Apotheken entschädigen.
Vielleicht fühlt sich ja jemand in Berlin angesprochen.

Und unsere Standesvertreter könnten jetzt aber auch aktiver werden.

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Bafin

von Simone Werberger am 19.11.2020 um 20:14 Uhr

Wenn die Bafin-Behörde so spät reagiert hat nach Kenntnisnahme der Finanzverbrechen der AvP, darf der geneigte Leser durchaus annehmen, das Bafin-Mitarbeiter unter ihrem Chef Olaf Scholz mit den Verbrechern gemeinsame Sache gegen die Apotheken gemacht haben.

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