Bakterien erholen sich schneller als Pilze

Antibiotika stören Mikrobiom nachhaltig

Stuttgart - 13.11.2020, 07:00 Uhr

Wie wirkt sich eine Antibiose eigentlich auf die Pilze unseres Mikrobioms aus? Bakterien können unter physiologischen Bedingungen eine übermäßige Besiedlung des Darms mit Pilzen verhindern. (p / Alex / stock.adobe.com)

Wie wirkt sich eine Antibiose eigentlich auf die Pilze unseres Mikrobioms aus? Bakterien können unter physiologischen Bedingungen eine übermäßige Besiedlung des Darms mit Pilzen verhindern. (p / Alex / stock.adobe.com)


Dass Antibiotika die Bakterien des Darm-Mikrobioms durcheinanderwirbeln, leuchtet ein. Doch auch das Mykobiom, die Pilze unseres Mikrobioms, beeinflusst eine Antibiose: Aus friedlichem Miteinander entwickelt sich Konkurrenz. Außerdem scheint einer Studie des Leibniz-Instituts zufolge der störende Effekt einer Antibiose auf Pilze sogar langfristiger zu sein als auf Bakterien: Die Bakterienflora erholte sich innerhalb von 
30 Tagen, Pilzspezies zeigten selbst nach 90 Tagen noch Veränderungen. Zudem fanden die Wissenschaftler, dass bestimmte Stoffwechselprodukte der Bakterien, kurzkettige Fettsäuren wie Propionsäure, sich positiv auf krankmachende Eigenschaften von Hefepilzen auszuwirken scheinen.

Das menschliche Darm-Mikrobiom ist ein komplexes System aus Bakterien, Pilzen, Archaeen (einzellige Organismen ohne Zellkern, zeigen deutliche genetische Unterschiede zu Bakterien, weswegen sie von diesen abgegrenzt werden) und Phagen. Meist konzentriert sich die Forschung direkt auf die bakteriellen Bestandteile des Mikrobioms und wie diese unsere Gesundheit und bestimmte Erkrankungen beeinflussen können. Bekannt ist, dass Antibiotika die Zusammensetzung der natürlichen bakteriellen Darmflora schädigen oder zumindest verändern, was sich akut als Durchfall äußern, doch auch so weit gehen kann, dass bestimmte Arzneimittel in der Tumortherapie (Checkpoint-Inhibitoren) nicht mehr optimal wirken – das Mikrobiom entscheidet mit, ob ein Tumorpatient auf eine Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren anspricht oder nicht.

Lassen Antibiotika das Mykobiom kalt?

Doch wie wirkt sich eine Antibiose eigentlich auf die Pilze unseres Mikrobioms aus? Bakterien können eine übermäßige Besiedlung des Darms mit Pilzen verhindern. Eine antibiotische Therapie wäre somit im Umkehrschluss ein wichtiger Risikofaktor für Pilzinfektionen. Wie sich Antibiotika auf das Zusammenspiel von Bakterien und Pilzen im Mikrobiom auswirken und wie eine Antibiose auch die Zusammensetzung der einzelnen Pilzarten stört, war beim Menschen bis vor kurzem nicht untersucht. Diese Aufgabe stellten sich die Forscher um Bastian Seelbinder unter der Leitung von Professor Gianni Panagiotou der Abteilung Systembiologie und Bioinformatik vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut. Sie untersuchten dafür über drei Monate Stuhlproben von 14 gesunden Probanden, 12 von ihnen hatten zuvor eine sechstägige Antibiose erhalten. Die Teilnehmer hatten entweder Doxycyclin, Azithromycin, Amoxicillin plus Clavulansäure, Ciprofloxacin oder Cefuroxim bekommen.

Stuhlproben wurden 15 Tage vor Antibiose, an Tag vier und sechs der Gabe und wieder an den Tagen 15, 30 und 90 nach Behandlung entnommen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler unter „Antibiotics create a shift from mutualism to competition in human gut communities with a longer-lasting impact on fungi than bacteria“ im Fachblatt „Microbiome“.

Was machen die Pilze?

Die Wissenschaftler fassten die Auswirkungen der Antibiose an drei Zeitpunkten zusammen: während, kurz nach und lang nach der Behandlung. Um eine Pilzart in ihrer Auswertung zu berücksichtigen, definierten die Forscher, dass diese in 
15 Prozent der entnommenen Stuhlproben zu finden sein musste. Diesen „Prävalenzfilter“ passierten 14 Pilzarten vor und spät nach der Behandlung, jedoch bis zu 44 Pilzarten während und in der frühen Nachbehandlungszeit. „Das deutet darauf hin, dass Antibiotika vorübergehend eine Nische für weniger häufige Pilzarten schufen“, erklären die Wissenschaftler.

Candida albicans breitete sich deutlich aus

Von der Baseline (Stuhlprobe vor Antibiotikumgabe) bis zur Stuhlprobe während der Antibiose nahm die Besiedelung mit Candida albicans (C. albicans), einem opportunistischen Hefepilz, um das 7-fache zu. Zudem fand sich C. albicans bei neun Teilnehmern nach der Behandlung, zu Beginn der Behandlung waren er jedoch nur bei fünf Teilnehmern auszumachen. Am stärksten wurde der Hefepilz von Amoxicillin plus Clavulansäure und Doxycyclin beeinflusst.

Gleichgewicht verschiebt sich

Ausgehend von der Pilzbesiedlung während der Behandlung und verglichen mit dem Mykobiom der frühen Nachbehandlungszeit, veränderten sich den Wissenschaftlern zufolge 23 Spezies signifikant (nicht allein durch Zufall erklärbar). Viele Pilzarten seien weder vor (Baseline) noch nach der Behandlung (späte Phase) vorhanden gewesen. Einige häufig anzutreffende Pilze wie Saccharomyces spp. und opportunistische Erreger wie Candida albicans, Candida parapsilosis und Malassezia restricta (ein Pilz, der kürzlich mit Bauchspeicheldrüsenkrebs in Verbindung gebracht wurde) nahmen in ihrer Häufigkeit ab, während weniger häufige Pilze wie Candida boidinii in ihrer Häufigkeit zunahmen. Eine geringfügige Abnahme der Häufigkeit von C. albicans wurde auch bei Kontrollen beobachtet, jedoch nicht annähernd so stark.

„Opportunistisch“ sind Erreger dann, wenn sie nur unter bestimmten Voraussetzungen zu einer Infektion führen. Sie machen sich ein geschwächtes Immunsystem – wie durch andere Infektionen (HIV) oder Arzneimittel (Immunsuppression, Tumortherapie) – zunutze. Man sagt auch, die Erreger sind „fakultativ pathogen“.

Zahl der Pilzarten verdoppelt sich

Verglichen mit den Stuhlproben vor der antibiotischen Gabe fanden sich noch bei sechs Pilzarten signifikante Veränderungen in der Pilzbesiedlung des Darms in der späten Nachbehandlungsphase. „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Anzahl der (verschiedenen) nachgewiesenen und vorherrschenden Pilzarten während der Behandlung und der frühen Nachbehandlung mehr als verdoppelt hat.“ Die meisten Veränderungen wurden innerhalb des ersten Monats nach der Behandlung festgestellt, das deute auf ein verzögertes Ansprechen der Pilzgemeinschaft auf die Antibiose hin, verglichen mit den Bakterien: „30 Tage nach Behandlungsende hat sich das bakterielle Mikrobiom weitgehend regeneriert. Wir konnten jedoch noch 90 Tage nach der Behandlung Veränderungen bei mehr als einem Drittel der Pilzspezies im Darm nachweisen. Dabei beobachteten wir, dass sich die Pilzgemeinschaften gemeinsam mit denen der Bakterien veränderten“, ordnet Panagiotou in einer Mitteilung des Leibniz-Institutes die Ergebnisse ein.

Pilze werden zu Konkurrenten

Theoretisch konkurrierten Bakterien und Pilze um die im Darmlumen verfügbaren Ressourcen, aber sie könnten sich auch gegenseitig unterstützen, so die Forscher. Sie beobachteten, dass die Pilze durch die Antibiose zueinander in Konkurrenz traten, und es gelang nicht allen, sich erneut anzusiedeln. Dadurch nahm die Vielfalt der Pilzarten ab. Diese Veränderungen manifestierten sich über den weiteren Studienverlauf.

Propionsäure hemmt Hefelpilze

Bei der Verarbeitung der Daten fanden die Forschenden einen weiteren Hinweis, wie bedeutend das Wechselspiel zwischen Pilzen und Bakterien ist: So unterdrücken mehrere Stoffwechselprodukte der Bakterien (zum Beispiel die kurzkettigen Fettsäuren Propionsäure und Essigsäure) die krankmachenden Fähigkeiten von Pilzen, wie Candida albicans. In vitro fanden sie, dass unter anderen Propionsäure, Essigsäure und cis-5-Dodecensäure das Wachstum von Candida albicans vollständig hemmten. Zudem konnte die schädigende Wirkung von Candida albicans auf menschliche Zellen (Vaginalzelllinie) in Gegenwart der kurzkettigen Fettsäuren reduziert werden: Bei höheren Konzentrationen, wenn das In-vitro-Pilzwachstum vermindert war, nahm die Schädigung der menschlichen Zellen mit den kurzkettigen Fettsäuren Propionsäure und Essigsäure ab. Essig- oder cis-5-Docensäure beseitigte die Zellschädigung durch C. albicans fast vollständig.

Propionsäure bei multipler Sklerose

Propionsäure ist auch Teil der Forschung in anderen Bereichen – etwa bei multipler Sklerose. Erst im März dieses Jahres veröffentlichten Forscher um Professor Aiden Haghikia der Neurologischen Klinik der Ruhr-Universität Bochum ihre Arbeiten daran im Fachjournal „Cell“: „Propionic Acid Shapes the Multiple Sclerosis Disease Course by an Immunomodulatory Mechanism“. Sie fanden, dass Propionsäure zusätzlich zu MS-Arzneimitteln langfristig die Schubrate und das Risiko einer Behinderungszunahme bei multipler Sklerose verringern kann.

Weitere Studien sollen Ergebnisse bestätigen

Die Wissenschaftler räumen der Studie auch Schwächen ein, mit insgesamt 
14 Probanden bildet die Untersuchung nur ein kleines Kollektiv ab. Zudem wurden auch „nur“ fünf Antibiotika getestet – ob sich die Effekte bei einem größeren Kollektiv an Teilnehmern und für weitere Antibiotika bestätigen, muss gezeigt werden. Zudem richteten die Wissenschaftler in dieser Studie ihren Fokus auf das Wachstum von Candida albicans, was die Komplexität der Darmgemeinschaft nicht vollständig abbildet. Und dann bleibt die Frage: Welche klinischen Auswirkungen ergeben sich konkret durch das antibiotikabedingte „Verschieben“ des Mykobioms? Nehmen Erkrankungen zu – und wenn ja: welche?



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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Zweimal täglich 500 mg Propionsäure

1 Kommentar

Sehr grundlegend

von Thomas Kerlag am 14.11.2020 um 20:23 Uhr

Das finde ich höchst spannend.
Aber Antibiotika sind vorausgesetzt sinnvoll eingesetzt die Feuerwehr.
Da kann man sich nicht nach der Löschung
eines Brandes über den Wasserschaden beschweren. Da gibt es viel dekadente Diskussion
dazu. Und hält oft von nötiger Therapie ab.
Trotzdem interessant, wie man schützen, regenerieren, reparieren oder optimieren könnte.

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