Interview mit Dr. Kerstin Kemmritz

Keine Kampfkandidatur, aber frischer Wind

Berlin - 26.10.2020, 07:00 Uhr

„Mein Ziel ist es, Gutes für den Berufsstand zu bewirken“, sagt Dr. Kerstin Kemmritz, Präsidentin der Apothekerkammer Berlin. (Foto: Apothekerkammer Berlin)

„Mein Ziel ist es, Gutes für den Berufsstand zu bewirken“, sagt Dr. Kerstin Kemmritz, Präsidentin der Apothekerkammer Berlin. (Foto: Apothekerkammer Berlin)


Raus aus der Deckung bei pharmazeutischen Dienstleistungen

Die ABDA hält mit ihren Vorschlägen für neue pharmazeutische Dienstleistungen derzeit noch hinter dem Berg. Halten Sie das für die richtige Strategie?

Nein. Um diese Leistungen Politik, Verbänden und Patienten schmackhaft zu machen, sollten wir raus aus der Deckung und klar kommunizieren, mit welchen Angeboten wir dazu beitragen können, die Gesundheitsversorgung in Deutschland zu verbessern. Ich verstehe die Sorge, dass der GKV-Spitzenverband in den Verhandlungen blockieren könnte. Wenn wir aber unsere Konzepte in der Politik und in der Öffentlichkeit aktiv vorstellen, könnte uns dies insgesamt Rückendeckung geben, die wir sicher brauchen werden. Dass ich in Berlin lebe, könnte für unsere politische Arbeit dabei übrigens zum Standortvorteil werden. Ich muss nicht erst anreisen, sondern habe kurze Wege und kann dadurch schnell und flexibel reagieren, wenn kurzfristig der Austausch mit Abgeordneten oder Verbänden nötig wird.

Welche Dienstleistungen wünschen Sie sich?

In einem vom Berliner Kammervorstand initiierten Workshop, zu dem auch einige recht junge Kolleginnen und Kollegen eingeladen waren, haben wir intensiv diskutiert, welche Angebote wir den Kassen und ihren Versicherten machen können. In diesem Zuge haben wir einen Katalog entwickelt, der die Dienstleistungen in drei Kategorien einteilt: Stufe eins kann jede Apotheke sofort und ohne zusätzliche Schulung erbringen, zum Beispiel ein Follow-up-Gespräch, wenn jemand ein neues Arzneimittel verschrieben bekommen hat. Wenn der Apotheker eine Woche nach dem Ansetzen eines neuen Blutdrucksenkers den Patienten anruft und sich erkundigt, wie er mit dem Arzneimittel zurechtkommt und ob der Blutdruck durch die Einnahme tatsächlich gesunken ist, könnte man damit die Therapietreue des Versicherten und das Outcome bestimmt in vielen Fällen verbessern.

Und Stufe zwei?

In Stufe zwei sehen wir Leistungen, die zeit- und arbeitsintensiver sind als in Stufe eins und für die möglicherweise eine Fortbildung erforderlich ist, wie etwa für die Medikationsanalyse. Dafür muss es dann natürlich auch mehr Geld geben als für Stufe-eins-Angebote. Stufe drei beinhaltet spezielle Leistungen, die wohl nicht mehr jede Apotheke erbringen kann oder will. Ein Beispiel wären Impfungen, auch wenn diese im Grunde keine pharmazeutischen Dienstleistungen mehr sind, sondern medizinische.

Das Drei-Stufen-Konzept erinnert an ein Positionspapier des Bundesverbands der Pharmaziestudierenden in Deutschland (BPhD) aus dem vergangenen Jahr …

Das ist kein Zufall. Die Kolleginnen und Kollegen vom BPhD haben an dem Workshop, in dem wir unser Konzept entwickelt haben, auch teilgenommen und haben ihren Entwurf auf dieser Diskussion aufgebaut.

Offenbar haben Sie großes persönliches Interesse daran, die Nachwuchsapotheker in Ihre Arbeit einzubinden. Wollen Sie das auch in der BAK umsetzen?

Ja, unbedingt! Ich schätze den Austausch mit dem Nachwuchs sehr. Wenn wir jetzt die Weichen für die Zukunft stellen, sollten wir darauf achten, auch die jungen Pharmazeutinnen und Pharmazeuten mitzunehmen. Für viele ist der Arbeitsplatz Apotheke nicht mehr reizvoll, weil sie sich mit Präqualifizierung, Retaxationen und anderen bürokratischen Hürden herumschlagen müssen. Das sollten wir dringend ändern. Ich bin leidenschaftliche Apothekerin und liebe meinen Beruf, aber auch mir wird es manchmal zu viel und ich kann absolut nachvollziehen, dass frisch Approbierte ernüchtert sind von der Arbeit in einer öffentlichen Apotheke. Auch aus diesem Grund brauchen wir weniger Bürokratie und mehr Pharmazie in den Betrieben. Dass das geht, haben nicht zuletzt die Corona-Sonderregelungen bis hin zum Aut-simile-Austausch gezeigt, die ich als immense Erleichterung verstehe und die wir daher unbedingt erhalten müssen!

Wie wollen Sie die Studierenden und Ihre Vorstellungen einbinden in die BAK-Arbeit?

Ich könnte mir vorstellen, einen Beirat zu etablieren, an dem auch Vertreter des BPhD beteiligt sind. Zudem wäre es denkbar, an dieser Stelle Kolleginnen und Kollegen aus der Praxis einzubeziehen – auch solche, die sich in Foren und auf den Webseiten der Fachmedien oft kritisch zur Arbeit der BAK und der ABDA äußern.

Über ein Thema müssen wir noch sprechen: die Grippeschutzimpfung in der Apotheke. In Nordrhein und im Saarland laufen die Modellprojekte – sicher auch beflügelt durch die Coronavirus-Pandemie – gut an. Wie ist der Stand in Berlin? Warum gibt es noch keine entsprechende Vereinbarung in der Hauptstadt?

Die Apothekerkammer Berlin hat alle notwendigen Vorbereitungen getroffen, damit auch in Berlin Modellprojekte zur Grippeschutzimpfung starten können. Die Schulungsunterlagen liegen in der Schublade, und wir haben Ärzte gefunden, die uns dabei unterstützen. Die Berufsordnung haben wir ja schon vor etlichen Monaten angepasst und damit klargestellt, dass Grippeimpfungen in der Apotheke berufsrechtlich möglich sind. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts können wir jedoch im Rahmen dieses Modellprojekts nach der gesetzlichen Regelung keine konkreten Verträge verhandeln. Wenn uns jemand als Kooperationspartner für die Schulungen wählt, stehen wir aber natürlich dafür bereit. Alles andere liegt nicht in unserer Hand. Ich hoffe sehr, dass bald auch die Apotheken in der Hauptstadt Grippeimpfungen anbieten können.



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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