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Rückholung der Arzneimittelproduktion
Pro Generika: Mehr Resilienz in den Lieferketten
Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft will Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Rückholung der Produktion wichtiger Arzneistoffe nach Europa in Angriff nehmen. Der Branchenverband Pro Generika hat nun ein Papier veröffentlicht, inwieweit dies sinnvoll und machbar ist. Zudem sind in der zweiten Jahreshälfte verschiedene Konferenzen geplant, die das Thema am Laufen halten dürften.
Als Ursachen für die Abwanderung der Arzneimittelproduktion nach Asien nennt Pro Generika einerseits den staatlich gelenkten Aufbau von Industrieproduktion in China, den steigenden Arzneimittelbedarf auch in Asien, den Preis- und Kostendruck in nationalen Gesundheitssystemen sowie regulatorische Auflagen in Deutschland zum Beispiel im Bereich Umwelt. Doch kann die Rückverlagerung der Produktion nach Europa die entstandene Abhängigkeit beheben? Pro Generika nennt als Antwort „ja und nein zugleich“. Eine europäische Autarkie bei der Arzneimittel- und Wirkstoffproduktion sei weder realistisch noch erstrebenswert. Vielmehr sei es wichtig, nicht nur die heimische Produktion im Blick zu haben, es müsse auch vor allem um mehr Resilienz in den Lieferketten gehen. Dazu sollte auf drei Ebenen angesetzt werden:
Ebene 1: Ausbau der existierenden Infrastruktur. Die COVID-19-Krise habe gezeigt, dass viele – etwa auf den Intensivstationen benötigte Arzneimittel – in Europa hergestellt werden. Die Arzneimittel- und Wirkstoffproduktion in Europa habe sich in der Krise als insgesamt robust erwiesen. Pro Generika kündigt an, in Kürze eine Studie vorzulegen, die erstmals zeige, wo welche Wirkstoffe weltweit produziert werden. Auf ihrer Grundlage könne über den möglichen Ausbau bestehender Wirkstoffherstellungsstätten diskutiert werden. Zudem würden Mechanismen benötigt, welche die Abwanderung und weitere Erosionserscheinungen des Standorts Europa aufhalten.
Ebene 2: Definition versorgungskritischer Wirkstoffe, die hierzulande produziert werden sollen. Die Politik müsse festlegen, bei welchen versorgungskritischen Arzneimitteln und Wirkstoffen Europa ein Stück unabhängiger werden möchte, dann müsse geprüft werden, was davon schon hier produziert werde und was es brauche, um die entsprechenden Standorte zu stärken.
Ebene 3: Etablierung von Maßnahmen, die mehr Diversifizierung ermöglichen. Es gehe nicht um De-Globalisierung, sondern es müsse um De-Risking gehen. Es sei weniger das Problem, dass der überwiegende Anteil von Wirkstoffen und Arzneimitteln im Ausland, sondern vielmehr, dass er fast ausschließlich in wenigen Regionen Indiens und Chinas hergestellt werde. Dadurch entstehe ein Klumpenrisiko, das es nun aufzuweichen gelte.
Sinnvolle Gesamtstrategie
Nun sei, heißt es weiter, eine sinnvolle Gesamtstrategie gefragt. Dabei dürfe man nicht nur industriepolitisch denken; die alleinige finanzielle Unterstützung von Produktion (etwa durch Subventionen) greife zu kurz, da sie die Nachfrageseite ignoriere. Für die Nachfrageseite gelte: Solange sich die Krankenkassen auf den niedrigsten Preis fokussieren müssten, würden europäische Produkte nicht wettbewerbsfähiger. Zudem müsse man auf regulatorischer Ebene aktiv werden. Wer seine Lieferkette robuster machen wolle, etwa durch Aufnahme eines zweiten Wirkstofflieferanten, sollte das ohne regulatorische Mehrkosten und großen regulatorischen Aufwand tun können, und auch die Abnehmer müssten den Mehraufwand anerkennen.
Das alles kostet Geld
Zu lange sei es, kritisiert Pro Generika, in der Gesundheitspolitik nur darum gegangen, an der Grundversorgung zu sparen. Nun werde „eine neue Balance zwischen Effizienz und Resilienz“ gebraucht. Erst wenn der Markt bereit sei, höhere Preise zu zahlen, wären europäische Produktion und resiliente globale Lieferketten auch wettbewerbsfähig.
Seine Ideen will der Branchenverband Pro Generika im Rahmen eine Digitalkonferenz mit dem Titel „Für ein gesundes Europa. Stärkung der Versorgungssicherheit und Arzneimittelproduktion in Europa“ am 7. Oktober diskutieren. Eröffnet wird diese von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Teilnehmen werden unter anderem Vertreter aus Industrie und Krankenkassen sowie EU-Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton.
Gleich zwei Konferenzen am 1. Dezember
Auch die ABDA und der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) haben bereits Konferenzen zum Thema Lieferengpässe angekündigt, und zwar für den 1. Dezember 2020. Dann beginnt nämlich der letzte Monat der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, was beide Veranstalter offenbar als guten Termin empfunden haben, um ihren Forderungen nochmals Nachdruck zu verleihen. Die ABDA lädt am 1. Dezember 2020 um 9 Uhr in Brüssel zu einer Veranstaltung mit einem nicht näher benannten „hochkarätigen Podium“, zur gleichen Zeit findet in Berlin die BAH-Veranstaltung statt, unter anderem mit Vertretern aus dem Bundesgesundheitsministerium, vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und vom GKV-Spitzenverband.
Die Kassenseite hat sich ebenfalls anlässlich des Beginns der deutschen EU-Ratspräsidentschaft beim Thema Lieferengpässe zu Wort gemeldet. Der Verband der Ersatzkassen (vdek) teilt mit, er begrüße, „dass die Bundesregierung die europäische Souveränität bei der Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten stärken will“. Allerdings werde allein die Zurückverlegung von Produktionsstätten nach Europa das Problem der Lieferengpässe nicht lösen. „Wir brauchen kürzere Lieferketten, mehr Produktionsstandorte weltweit und eine digital vernetzte Lagerhaltung in Europa“, heißt es weiter. „Dann haben wir die Chance, gemeinsam mit den europäischen Staaten die Versorgung mit Arzneimitteln, Medizinprodukten und Schutzausrüstung sicherzustellen." Zu dem zentralen Punkt, inwieweit die Kassenseite bereit ist, die dadurch entstehenden höheren Kosten zu tragen – darüber steht allerdings nichts in der Meldung.
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