Frankreich greift durch

Minister verbietet Off-Label-Verordnung von möglichen COVID-19-Therapeutika

Remagen - 27.03.2020, 09:00 Uhr

Frankreichs Gesundheitsminister Olivier Véran hat den Off-Label-Use von möglichen COVID-19-Medikamenten verboten. (c / Foto: imago images / IP3Press)

Frankreichs Gesundheitsminister Olivier Véran hat den Off-Label-Use von möglichen COVID-19-Medikamenten verboten. (c / Foto: imago images / IP3Press)


Frankreichs Gesundheitsminister hat die Off-Label-Verordnung von Hydroxychloroquin und der fixen Kombination von Ritonavir und Lopinavir im ambulanten Sektor per Dekret verboten. Damit reagiert er auf den Hype um die Medikamente, von denen man bislang gar nicht weiß, ob sie überhaupt gegen das Coronavirus wirken. Das Nachsehen bei der hohen Nachfrage haben Schwerkranke, die die Präparate brauchen, denn die Bestände sind bereits knapp.

Der französische Gesundheitsminister Olivier Véran hat ein Dekret erlassen, mit dem die Off-Label-Verschreibung von Hydroxychloroquin sowie von Ritonavir plus Lopinavir im ambulanten Sektor unterbunden werden soll. Der versuchsweise Einsatz zur Behandlung von COVID-19 soll ausschließlich dem Krankenhausbereich beziehungsweise einer Anschlussbehandlung vorbehalten sein. Dort sollen die Präparate nach Entscheidung der Ärzte und unter deren Aufsicht eingesetzt werden.

Bestellungen explodiert

In den zugelassenen Indikationen wird Hydroxychloroquin neben der Vorbeugung und Behandlung von Malaria auch bei Photodermatosen und Autoimmunerkrankungen wie Lupus erythematodes und Rheumatoider Arthritis eingesetzt. Da es für die Therapie von COVID-19 untersucht wird, ist ein regelrechter Hype darum entstanden. Seit einigen Tagen sollen in französischen Apotheken massenweise Rezepte für das Malariamittel mit oder ohne Azithromycin auftauchen, ausgestellt für Personen, die gar nicht krank sind oder keine Symptome haben, für Ärzte oder deren Familien.

Wie „Le Quotidien du Pharmacien“ berichtet, sollen sich die Verkäufe von Plaquenil® nach Angaben des Großhandelsverbandes OCP répartition seit Ende Februar auf das 15-fache vermehrt haben und seit Montag buchstäblich explodiert sein. Die Nachfrage nach dem Handelspräparat Nivaquine (Chloroquinsulfat) soll im selben Zeitraum auf das 30-fache gestiegen sein.

Die fixe Kombination von Ritonavir und Lopinavir (Kaletra® bzw. generische Präparate) wird bei HIV eingesetzt. Für die Patienten, die diese oder Hydroxychloroquin (Plaquenil®) für ihre zugelassenen Indikationen brauchen, haben sich deswegen schon Engpässe eingestellt.

Keine gesicherte Datenlage

Dem wollte der Minister nun rasch einen Riegel vorschieben. Der französische Hohe Rat für die Öffentliche Gesundheit und eine Reihe von Fachgesellschaften stützen seine Maßnahme. In seiner Stellungnahme vom 5. März hatte der Hohe Rat Chloroquin und Hydroxychloroquin mangels zuverlässiger Daten nicht einmal den empfohlenen Behandlungen für COVID-19 zugerechnet. Bis die Datenlage sich bessert, sehen die französischen Experten keinen Platz für Off-Label-Hydroxychloroquin-Verschreibungen außerhalb der Kliniken. 

Dringender Appell an die Apotheker

Die französische Arzneimittelbehörde ANSM hat sich ebenfalls eingeschaltet. Sie weist mit Nachdruck darauf hin, dass weder Plaquenil® noch Kaletra® eine Indikation für die ambulante Versorgung von COVID-19-Patienten hätten und verweist auf das Dekret des Gesundheitsministers. „Es gibt keine Rechtfertigung für die Verordnung in dieser Indikation“, betont die ANSM. „Wir bitten die öffentlichen Apotheker darum, diese Arzneimittel nur auf Verschreibung für die gewöhnlichen Indikationen abzugeben, um damit den Zugang derjenigen Patienten zu sichern, die im Rahmen ihrer Langzeitbehandlung davon profitieren.“

Wie könnte Hydroxychloroquin bei COVID-19 wirken?

Nach einer aktuellen Erhebung wird Chloroquin derzeit in 23 klinischen Studien zur Prävention und Behandlung von Coronavirus-Infektionen erprobt. In vitro konnte bereits gezeigt werden, dass Chloroquin und das deutlich weniger toxische Hydroxychloroquin Infektionen mit SARS-CoV-2 blockieren können

Bei Autoimmunerkrankungen wird es breit eingesetzt, weil es die Produktion von Zytokinen und proinflammatorischen Faktoren signifikant verringern kann. Auch bei kritisch kranken Patienten, die mit SARS-CoV-2 infiziert waren, ergaben klinische Untersuchungen eine hohe Konzentration von Zytokinen im Plasma, was darauf hindeutet, dass Zytokinstürme mit der Schwere der Erkrankung verbunden sind. Daher könnte Hydroxychloroquin neben der antiviralen Wirkung bei COVID-19-Patienten auch zur Dämpfung der Entzündungsreaktion beitragen. Auch auf der HIV-Kombination Ritonavir/Lopinavir ruhen in Bezug auf COVID-19 große Hoffnungen.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Sorry, aber .....

von Gunnar Müller, Detmold am 29.03.2020 um 9:38 Uhr

… Haben wir nicht gerade in Deutschland erlebt (oder erleben wir gerade immer noch), wie einige Kolleginnen und Kollegen - entweder aus Misstrauen gegen das gut funktionierende System der Arzneimitteldistribution über Großhändler und/oder aus Selbstsucht - gerade eben dieses System durch Einkaufen abstruser Mengen in Schieflage bringen? Und sich ggf. noch damit rühmen, sich nur zum Wohle ihrer Patienten zu bevorraten und halt den Trend etwas eher erkannt zu haben?
Rechne sich bitte jeder einmal aus, was passiert, wenn sich nur 10 % von uns mit der zehnfachen Menge bevorraten…

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Verbot

von Roland Mückschel am 27.03.2020 um 11:21 Uhr

Hoffnung lässt sich nicht verbieten.

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