Gastkommentar

Gefährliches Bashing von Ibuprofen: Grundlose Warnungen verunsichern die Menschen

Kiel - 21.03.2020, 07:45 Uhr

Eine WhatsApp-Nachricht schaffte es über über Nacht, Ibuprofen als bewährtes Schmerzmittel zu diskreditieren. Prof. Thomas Herdegen hätte sich seitens mancher Behörden kritische Gegenfragen gewünscht. (t/Foto: DAZ.online)

Eine WhatsApp-Nachricht schaffte es über über Nacht, Ibuprofen als bewährtes Schmerzmittel zu diskreditieren. Prof. Thomas Herdegen hätte sich seitens mancher Behörden kritische Gegenfragen gewünscht. (t/Foto: DAZ.online)


Welche Macht Social-Meda-Kanäle haben, zeigte das vergangene Wochenende, als per WhatsApp-Sprachnachricht vor Ibuprofen und schlimmen Verläufen von COVID-19 gewarnt wurde. Belege gibt es nicht, dennoch haben die Schweiz, Frankreich und auch zunächst die WHO geraten, eher Paracetamol bei Fieber und SARS-CoV-2 einzusetzen. Wo blieben kritische Gegenfragen, beispielsweise „Wie viele schwere oder gar tödliche Verläufe gibt es ohne eine Einnahme von Ibuprofen?“ wundert sich Prof. Thomas Herdegen.

„Ist Ibuprofen gefährlich in Corona-Zeiten?“ Die EMA und die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) erklären: Es gibt keinen belegten Zusammenhang zwischen der Einnahme von Ibuprofen oder Arzneimitteln wie Aspirin, Diclofenac oder Naproxen und einem schweren Verlauf einer Coronavirus-Infektion.

Doch warum ist diese wichtige Klarstellung überhaupt notwendig? Seit einigen Tagen geistern Warnungen im Internet, die Ibuprofen mit Corona-Todesfällen in Verbindung bringen. Über WhatsApp wird eine Fake-News-Warnung zu Ibuprofen verbreitet, die auf eine geradezu professionelle Kriminalität der Urheber schließen lässt. Der französische Gesundheitsminister warnt vor Ibuprofen, ohne auch nur irgendeinen Beleg zu benennen, auch die Schweizer Gesundheitsbehörden warnen – ebenfalls ohne Belege.

Ein WHO-Sprecher erklärte bei einer Pressekonferenz in Genf, Hauptort der französischen Schweiz, dass die WHO der Sache nachgehe. Einerseits sprach er davon, dass es keine neuen Studien zu dieser Frage gebe, und riet andererseits zunächst davon ab, Ibuprofen bei COVID-19-Verdacht ohne ärztlichen Rat zu nehmen. Die WHO korrigierte diese erste Einschätzung allerdings mittlerweile. Diese Vorgänge sind auf DAZ.online Ibuprofen bei COVID-19: eine Übersicht von Celine Müller ausführlich dargestellt.

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Zusammenfassend gibt es also bis heute keine objektiven klinischen Belege oder dokumentierten Zusammenhänge zwischen dem Krankheitsverlauf einer Corona-Infektion und der Einnahme von Ibuprofen und anderer NSAR/COX-Hemmer. 

Wo bleiben kritische Gegenfragen?

Wichtige „Gegenfragen“ werden überhaupt nicht diskutiert, zum Beispiel: Wie viele schwere oder gar tödliche Verläufe gibt es ohne eine Einnahme von Ibuprofen? Es liegt sicherlich nicht am Ibuprofen, welches in Deutschland übrigens das am häufigsten eingenommene Schmerzmittel ist, dass in Deutschland bei 15.320 Infizierten bis jetzt „nur“ 44 Infektionen tödlich verlaufen sind, in Frankreich bei 11.010 Infizierten aber 372 Todesfälle beziehungsweise in der Schweiz bei 4.164 Infektionen 43 Todesfälle zu verzeichnen sind. Es liegt sicher nicht am Ibuprofen, dass – im Vergleich zu Deutschland – Länder wie Frankreich eine 11,5-fach (= 1.150 Prozent) erhöhte Todesrate aufweisen (Stand: 20.3.2020, 10 Uhr).

Frankreich stets kritisch bei Ibuprofen und Infektionen

Frankreich hat seit Jahren „Ärger“ mit Ibuprofen, das seit Januar 2020 unter eine verschärfte OTC-Abgabe gestellt wurde. Auch die Schweiz tut sich mit den NSAR/COX-Hemmern schwer. Da keimt der Verdacht auf, dass Frankreich ein nationales Problem auf international europäischer Ebene lösen möchte, wie es das bereits erfolgreich mit Tetrazepam im Jahr 2013 geschafft hat, das seitdem nicht mehr erhältlich ist. 

Auch das PRAC-Sicherheitsverfahren zu Metoclopramid, das zu zeitweisem Widerrufen der Zulassung führte und in einer strengeren Indikationsstellung resultierte, war von Frankreich initiiert worden, da es dort aufgrund von Überdosierungen zu neurologischen Nebenwirkungen gekommen war.

Fazit: Es gibt gegenwärtig keinen Grund, auf Ibuprofen bei Erkältungskrankheiten zu verzichten, wenn die Einnahme notwendig erscheint. Das sieht auch die EMA so und mittlerweile auch die WHO. Das gilt erst recht für die anderen Indikationen wie Schmerzen oder Entzündungen jenseits von Corona.



Prof. Dr. med. Thomas Herdegen, Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie, Universität Kiel
redaktion@daz.online


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