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Rote-Hand-Brief
Cytotec: Zahlreiche neue Berichte über schwere Nebenwirkungen
Der Fall Cytotec und die damit in den Fokus geratenen Mängel in der Geburtshilfe sind, wie so vieles, durch die Coronakrise in den Hintergrund getreten. Doch mittlerweile sind dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) weitere Nebenwirkungsfälle gemeldet worden,und auch die Fachgesellschaften haben ihre Empfehlungen zum Umgang mit Cytotec aktualisiert.
Kurz vor der Corona-Krise hatte der Wirkstoff-Misoprostol und seine Off-Label-Anwendung in dem Arzneimittel Cytotec® in der Geburtshilfe in den Medien Wellen geschlagen. Fachgesellschaften wehrten sich schnell gegen den Vorwurf, dass Misoprostol leichtsinnig zum Einsatz komme und regelmäßig zu schweren Komplikationen bei der Geburt führe. Schnell war sich die Fachöffentlichkeit einig, dass der Ruf des Wirkstoffs Misoprostol so zu Unrecht beschädigt wird. Doch es gab auch einige Stimmen auf Ärzteseite, die den Off-Label-Einsatz von Cytotec® vor allem aus der juristischen Perspektive kritisch betrachten.
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Auch aus der pharmazeutischen Perspektive zeichnete sich schließlich ab, dass der Wirkstoff Misoprostol an sich zwar zu Unrecht in der Kritik steht. Die Off-Label-Anwendung von Cytotec® – so unproblematisch sie in der Theorie sein mag – in der Praxis doch Risiken mit sich bringen kann. Denn offenbar wurden die Tabletten teils zu hoch oder falsch – durch Achteln der Tablette – dosiert.
Schon zu Beginn der Berichterstattung im Februar lagen dem BfArM bis Ende Oktober 2019 insgesamt 74 Verdachtsmeldungen unerwünschter Arzneimittelwirkungen im Zusammenhang mit Cytotec® bei der Geburtseinleitung vor. Zudem verwies das BfArM damals auf die laufende Risikobewertung von Misoprostol: Die Fachinformation von Cytotec® wurde entsprechend geändert, auf die geschilderten Komplikationen wie Uterusruptur und krankhafte Gebärmutterkontraktionen wird verwiesen.
Cytotec lediglich zur oralen Einnahme vorgesehen
Nun informiert das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) seit dem 16. März, dass zahlreiche neue Berichte über schwere Nebenwirkungen bei der Anwendung von Cytotec® außerhalb der zugelassenen Indikation vorliegen. Betont wird außerdem, dass Cytotec® lediglich zur oralen Einnahme vorgesehen ist. „Die Bioverfügbarkeit/Pharmakokinetik bei anderen Anwendungsarten (zum Beispiel sublingual oder buccal), die den First-Pass-Effekt umgehen, wurde im Rahmen der Zulassung von Cytotec® nicht geprüft“, heißt es. In anderen EU-Mitgliedsländern seien aber misoprostolhaltige Arzneimittel u. a. zur oralen oder zur vaginalen Anwendung für die Geburtseinleitung (zum Beispiel Angusta® oder Vagiprost®) zugelassen, die unter bestimmten Voraussetzungen für deutsche Patientinnen eingeführt werden könnten.
Empfehlungen zum Umgang mit Misoprostol zur Geburtseinleitung
Die entsprechenden Nebenwirkungsberichte zeigen laut BfArM, dass die gemäß Zulassung mit einer Mahlzeit und ausreichend Flüssigkeit einzunehmende Cytotec®Tablette auch über andere Anwendungsarten (sublingual, rektal etc.) im Off-Label-Use verabreicht wurde. Weiterhin gehe aus den neuen Fallberichten hervor, dass den Patientinnen häufig Teildosen der sechseckigen Cytotec® 200 µg-Tablette verabreicht wurden, obwohl diese nicht für eine Teilung konzipiert ist. „Zudem lagen die Dosierungen nominal trotz unbekannter systemischer Exposition teilweise deutlich über denen, die seitens der WHO empfohlen werden bzw. die für in anderen EU-Mitgliedsländern zugelassene Arzneimittel zur oralen oder vaginalen Verabreichung gelten.“
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Rote-Hand-Brief
Warnung vor erhöhter Wehenfrequenz nach Misoprostolgabe
Im Februar hatte auf Anfrage von DAZ.online die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG) schriftlich mitgeteilt: „Zur Zeit wird die Cytotec®-Tablette geteilt. Zukünftig hoffen wir auf die Einführung von Angusta® auch in Deutschland.“ Den Rote-Hand-Brief hält sie nun für „konsequent und richtig“, das geht aus einer Stellungnahme vom 18. März hervor.
Bereits am 17. März hatte die AGG (Arbeitsgemeinschaft für Geburtshilfe und Pränatalmedizin in der DGGG e.V.) Empfehlungen zum Umgang mit Misoprostol zur Geburtseinleitung herausgegeben. Darin werden folgende Punkte genannt, die es bei der Verwendung von Misoprostol zur Geburtseinleitung am Termin bis zur Publikation der S2k-Leitlinie Geburtseinleitung (AWMF-Registernummer 015-088) zu beachten gelte:
- (Schriftliche) Aufklärung über den „Off-Label-Use“ zur Geburtseinleitung
- Keine Misoprostol-Gabe nach vorherigem Kaiserschnitt und/oder anderer Uterus-OP mit Eröffnung des Cavum uteri
- CTG-Kontrolle vor Gabe des Misoprostols
- Keine Misoprostol-Gabe bei vorhandener Wehentätigkeit
- Einzelgaben von 25-50 mcg
- Erstgabe 25 mcg
- Dosierungsintervalle oral > 2 Stunden (25 mcg) und > 4 Stunden (50 mcg)
Trotz der wohl guten Studienlage zu Misoprostol zeigt sich daran, dass offenbar weiterhin gewisse Unsicherheiten in der praktischen Anwendung bestehen. Denn sinnvoll wäre sicherlich auch, eine maximale Höchstdosis über 24 h anzugeben. Würde man nämlich mit 50 µg bei „Stunde null“ beginnen, wäre es ja – bei Gabe alle 4 h – möglich, über 24 h bis zu 650 µg zu verabreichen. Das zugelassene Präparat Angusta® in Frankreich darf ausschließlich oral in einer Dosierung von 25 µg alle 2 Stunden oder 50 µg alle 4 Stunden (max. 200 µg in 24 Stunden), nur in der Klinik und nur, wenn andere Einleitungsmethoden nicht zur Verfügung stehen, verwendet werden.
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