Gastkommentar

Mit unpassenden Packungsgrößen Kasse machen: das Beispiel Polivy

Erding - 04.03.2020, 13:00 Uhr

Lassen sich innovative und teure monoklonale Antikörper wirklich nur in einer Packungsgröße herstellen? DAZ.online-Gastkommentator Dr. Franz Stadler kann dieses Verwurfs-trächtige Vorgehen der Industrie nur als „Abzocke“ verstehen. (Foto: Kadmy / stock.adobe.com)

Lassen sich innovative und teure monoklonale Antikörper wirklich nur in einer Packungsgröße herstellen? DAZ.online-Gastkommentator Dr. Franz Stadler kann dieses Verwurfs-trächtige Vorgehen der Industrie nur als „Abzocke“ verstehen. (Foto: Kadmy / stock.adobe.com)


Jeder muss irgendwann Gewinn machen – auch die Pharmaindustrie. Das ist ein ehernes Gesetz unseres marktwirtschaftlichen Systems. Wird aber aus Gewinnstreben Gier und führt diese Gier mittelfristig zu einer ernsthaften Gefährdung unseres solidarischen Gesundheitssystems, so muss der Gesetzgeber die handelnden Akteure schon aus Gründen der Vorsorgepflicht in ihre Grenzen weisen, meint Dr. Franz Stadler und verweist als jüngstes Beispiel einer zu gewinnorientierten Industriepolitik auf Polivy der Firma Roche.

Roche hat aus Firmensicht alles richtig gemacht. Am 15. Februar 2020 wurde als Neuerung in der onkologischen Therapie der Antikörper Polivy® in den deutschen Markt eingeführt und natürlich, unter anderem beim Deutschen Krebskongress in Berlin, entsprechend beworben. Der Apothekeneinkaufspreis für die einzige verfügbare Packungsgröße von 140 mg beträgt 12.338 Euro netto, also stolze 88,13 Euro netto je mg Wirkstoff (Polatuzumab vedotin).

Jetzt könnte man trefflich über den Patentschutz und die ständig steigenden Preise von neu eingeführten Medikamenten schwadronieren, aber das sind hier nicht die zu diskutierenden Punkte. Denn selbst wenn es den Krankenkassen gelingen sollte, (mehr oder weniger freiwillige) Rabatte zu verhandeln, bleibt der Fakt der (absichtlich?) falsch gewählten Packungsgröße oder genauer: Der Verzicht auf unterschiedliche Packungsgrößen.

Mehr zum Thema: Roches Stellungnahme zur Polivy-Packungsgröße

Die empfohlene Dosierung liegt bei 1,8 mg pro kg Körpergewicht und soll in der Regel im Abstand von 21 Tage gegeben werden. Ferner hat die Firma Roche die physikalisch-chemische Stabilität der zubereiteten Wirkstoffinfusion für maximal 72 Stunden (bei 2 °C - 8 °C) nachgewiesen und schreibt zudem in der Fachinformation, dass jede Packung nur zur Einmalanwendung gebraucht werden darf. Diese Angaben führen bei der Zubereitung der applikationsfertigen Infusionen geradezu zwangsläufig zu Verwurf und damit zu Mehrumsatz für die Firma und erheblichen Zusatzkosten für die Krankenkassen und damit das Solidarsystem. 

Das zeigt die folgende Tabelle:

 

Körpergewicht in kg

Dosis in mg

Verwurf in mg

Nettokosten

Bruttokosten

   

Verwurf

Verwurf

40

72

68

5.992,84 €

7.131,48 €

50

90

50

4.406,50 €

5.243,74 €

60

108

32

2.820,16 €

3.355,99 €

70

126

14

1.233,82 €

1.468,25 €

77

138,6

1,4

   123,38 €

    146,82 €

80

144

136

11.985,68 €

14.262,96 €

90

162

118

10.399,34 €

12.375,21 €

100

180

100

8.813,00 €

10.487,47 €

110

198

82

7.226,66 €

  8.599,73 €

120

216

64

5.640,32 €

  6.711,98 €

Das in der Tabelle hervorgehobene Körpergewicht von 77 kg entspricht dem durchschnittlichen Körpergewicht aller Personen über 18 Jahre in Deutschland (lt. Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2017). Immerhin wurde dieses Durchschnittsgewicht vermutlich als Begründung der Packungsgröße von 140 mg herangezogen.

Mit einer 100 mg und einer 10 mg könnten die Kosten erheblich sinken

Diese Verwurfskosten wären problemlos und deutlich zu reduzieren – beispielsweise durch die Markteinführung einer 100 mg-Packung und einer 10 mg-Packung, wie folgende Tabelle zeigt:  

Körpergewicht in kg

Dosis in mg

Verwurf in mg

Nettokosten

Bruttokosten

   

Verwurf

Verwurf

40

72

8

705,04 €

839,00 €

50

90

0

-   €

-   €

60

108

2

176,26 €

209,75 €

70

126

4

352,52 €

419,50 €

77

138,6

1,4

123,38 €

146,82 €

80

144

6

528,78 €

629,25 €

90

162

8

705,04 €

839,00 €

100

180

0

-   €

-   €

110

198

2

176,26 €

209,75 €

120

216

4

352,52 €

419,50 €

Die Summe der Bruttokosten für die möglichen Verwürfe, die in der rechten Spalte der beiden Tabellen ausgewiesen werden, würde in unserem Beispiel von 69783,63 Euro auf 3712,56 Euro oder um fast 95 Prozent (!) sinken. 

Fazit:

Wie gesagt, jeder darf und soll Gewinne machen. Aber diese dreiste Art von Abzocke ist erstens einem Weltkonzern wie Roche unwürdig und zweitens dürfte dies auch nicht erlaubt sein. Ohne großen Aufwand könnten die Zulassungsbehörden, unterstützt von den entsprechenden gesetzlichen Maßnahmen, beispielsweise in vergleichbaren Fällen mehrere geeignete Packungsgrößen oder/und längere Haltbarkeits-/Stabiltätsuntersuchungen fordern, damit eine sinnvolle und verwurfsarme Zubereitung der Infusionen möglich wird. Die Krankenkassen und damit das Solidarsystem wären dankbar.

Roche hat am 6.3.2020 Stellung zu diesem Kommentar bezogen. Den Beitrag finden Sie hier.



Dr. Franz Stadler
redaktion@daz.online


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