Gastkommentar

Was Geld mit Ware zu tun hat - eine kleine Fortbildung für Krankenkassenmitarbeiter

Erding - 04.02.2020, 08:58 Uhr

Der Apotheker Dr. Franz Stadler möchte einigen Krankenkassenmitarbeitern einen Auffrischungskurs in Ökonomie zuteil werden lassen. (Foto: fotogestoeber / stock.adobe.com)

Der Apotheker Dr. Franz Stadler möchte einigen Krankenkassenmitarbeitern einen Auffrischungskurs in Ökonomie zuteil werden lassen. (Foto: fotogestoeber / stock.adobe.com)


DAZ.online-Gastkommentator Dr. Franz Stadler meint: Manch ein Kassenmitarbeiter könnte einen Auffrischungskurs in Ökonomie gebrauchen. Anhand von zwei Beispielen aus dem Alltagsleben einer Apotheke erklärt er die beobachteten Phänomene mit einfachen Mechanismen unserer Marktwirtschaft – ganz simpel, findet der Pharmazeut aus Erding.

Erster Fall: Eine Apothekenmitarbeiterin will bei Janssen Cilag zwei Packungen Stelara® 130mg Konzentrat zur Herstellung einer Infusion bestellen. Apothekeneinkaufspreis ohne Mehrwertsteuer: 4223,24 Euro je Packung. Die Firmenmitarbeiterin verweist freundlich, aber bestimmt auf die seit 1. Januar 2020 geänderten AGBs und teilt uns mit, dass Janssen Cilag unter einem Auftragswert von 10.000 Euro netto (!!) nicht mehr direkt an Apotheken liefert. Wir sollen die Packungen doch beim Großhandel bestellen, der sie aber auch erst disponieren muss, weil er sie nicht vorrätig hat. Ihm ist der Preis wahrscheinlich auch zu hoch.

Zweiter Fall: Es gibt zurzeit kein Epirubicin mehr zu kaufen – ein relativ günstiges, schon lange bekanntes Zytostatikum, das unter anderem bei Mamakarzinomen eingesetzt wird. Ein Anruf bei einem der wenigen noch verbliebenen großen deutschen Hersteller, ergibt, dass zwar genügend Ware vorhanden sei, aber in Deutschland erst wieder in drei Monaten geliefert werden könne – der Rest geht ins europäische Ausland. Subtext: Da verdienen wir mehr.

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Jetzt werden sich manche Krankenkassenmitarbeiter fragen: Was hat das mit uns zu tun? Nun, beide Fälle zeigen das Wirken unseres Wirtschaftssystems und die zu lernende Lektion lautet: Die Regeln dieses Systems kann man nicht ungestraft über einen längeren Zeitraum missachten.

Zum ersten Fall: Janssen Cilag kann das bei patentgeschützten Wirkstoffen so machen, weil es nicht verboten ist und weil es dank des Patentschutzes keine Konkurrenz gibt. Genauso verhielt es sich im Bortezomib-Fall, der andernorts schon ausführlich dargestellt wurde. Kurz zusammengefasst: Hier führte die absichtliche Wahl einer viel zu großen Packungsgröße und eines sehr kurzen Haltbarkeitsdatums zu einem Mehr an unvermeidbaren Verwürfen und damit einem enormen Zusatzgewinn bei der gleichen Firma. Wir lernen: Unser System erlaubt derartiges Handeln nicht nur, sondern schützt es (unbeabsichtigt?) auch noch.

Epirubicin: Wie ein Engpass im generischen Bereich entsteht 

Zum zweiten Fall: Am Fall von Epirubicin kann exemplarisch das Entstehen von Lieferengpässen im generischen Bereich erklärt werden, weil in diesem Fall, anders als bei den geheimen Rabattverträgen der normalen Generikaversorgung, die Zahlen durch die Hilfstaxe bekannt sind. 83,7 Prozent (!!) Rabatt müssen die herstellenden Apotheken den GKV-Krankenkassen auf den zweitgünstigsten mg-Preis aller am Markt befindlichen Packungen gewähren, was im Umkehrschluss bedeutet, dass sie die Ware mindestens mit einem derartigen Rabatt einkaufen müssen.

Anmerkung: Da auch die den Apotheken bezahlte Herstellpauschale eigentlich zu niedrig angesetzt wurde, muss auch die Apotheke am Arzneimittel etwas mitverdienen, der Einkaufspreis sollte also noch etwas niedriger liegen. Zu diesen ohnehin schon schlechten Bedingungen darf der Hersteller aber zusätzlich auch noch den Herstellerrabatt an die Krankenkassen abdrücken. Dabei sollte er am Ende des Tages auch seine Leistung (Wirkstoff, Herstellung, Vertrieb und Bereitstellung) inklusive eines kleinen Gewinns ausreichend vergütet bekommen haben. 

Gewinn muss sein

Liebe Krankenkassenmitarbeiter: Leider ist in der Marktwirtschaft der Gewinn die entscheidende Motivation. Ohne Gewinn wird nicht mehr produziert oder die Produktion in Billiglohnländer ausgelagert oder die produzierte Ware schlicht in andere Länder verkauft. Das kann man hinterfragen, aber in einer Marktwirtschaft ist das nun einmal so: Gewinn muss sein.

Kann ein Hersteller nun seine Ware in verschiedene Märkte liefern und in dem einen Markt verdient er mehr als im anderen, liegt die Entscheidung auf der Hand: Es wird der Markt mit der höchsten Gewinnspanne zuerst beliefert. Das wiederum kann zu Lieferengpässen in dem Land mit dem niedrigsten Preis führen. Ist doch eigentlich ganz simpel. Ausschreibungen führen zu immer niedrigeren Preisen. Reicht dann die produzierte Menge nicht aus, alle Märkte zu versorgen, weil sich zum Beispiel bereits einige Produzenten aus dem Preiswettbewerb zurückgezogen haben oder weil im Wirkstoff Verunreinigungen gefunden wurden, fällt die Versorgung des Marktes mit dem niedrigsten Preis als erstes aus.

Daran ändern dann auch keine Rechenexempel mit Umsatzanteilen des deutschen Marktes am Weltmarkt etwas. Gibt es nicht genügend Packungen spielt der Umsatz eine untergeordnete Rolle. Zuerst kommt der Gewinn und dann der Umsatz.

Und noch eine Anmerkung: Parallelim- und -exporteure helfen nicht bei der Versorgung. Sie verschieben höchstens einen Lieferengpass von einem Land in das Nächste und verdienen an diesen Verschiebungen jeweils noch mit. Sie produzieren keine Packungen, sondern packen nur um.

So das war es: Meine kleine Fortbildung für Krankenkassenmitarbeiter. Nichts für ungut, wie wir in Bayern so schön formulieren, aber das musste mal gesagt werden.



Dr. Franz Stadler
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Gut und treffend erklärt - geht aber auch kürzer

von ratatosk am 05.02.2020 um 9:20 Uhr

Das Wohl der Kasse und deren Boni stehen politikgeschützt über allen, alle anderen Erklärungen sind in D nur noch Beiwertk. Da gehen die auch über Leid und Tod lächelnd hinweg.

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