Arzneimittel-Lieferengpässe

WIdO: Exklusive Rabattverträge machen die Versorgung sicherer

Berlin - 08.11.2019, 11:00 Uhr

Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO, ist sich sicher: Exklusive Rabattverträge machen die Versorgung stabiler und erhöhen die Anbietervielfalt. (b/Foto: WIdO)

Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO, ist sich sicher: Exklusive Rabattverträge machen die Versorgung stabiler und erhöhen die Anbietervielfalt. (b/Foto: WIdO)


Der politische Druck auf das Rabattvertragssystem erhöht sich: Sowohl die Unionsfraktion als auch die SPD denken darüber nach, exklusive Ausschreibungen künftig zu verbieten. Für die AOK ist das ein Bedrohungsszenario – im AOK-System sind fast alle Ausschreibungen exklusiv. Das beim AOK-Bundesverband ansässige Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat nun Zahlen vorgelegt, nach denen die Exklusivverträge die Versorgung sogar stärken sollen.

Die AOK Baden-Württemberg ist im AOK-System für die Generika-Ausschreibungen verantwortlich. Im Sommer 2018 wurde beispielsweise die 21. Tranche der AOK ausgeschrieben: Darunter waren 121 Wirkstoffe oder Wirkstoffkombinationen – nur drei davon waren im Mehrpartnermodell, der Rest wurde exklusiv ausgeschrieben. Doch mit solchen Verträgen könnte bald Schluss sein: Sowohl die Unions- als auch die SPD-Fraktion im Bundestag diskutieren derzeit über Systemänderungen, um die Lieferbarkeit von Arzneimitteln zu verbessern. Und in beiden Fraktionen ist die Abschaffung exklusiver Rabattverträge ein Thema. Die Union geht sogar noch weiter und schlägt vor, dass Rabattverträge künftig nur noch kassenübergreifend und regional ausgeschrieben werden sollen, um Apothekern von bürokratischem Mehraufwand zu entlasten.

Die AOK will das mit aller Kraft vermeiden. Dr. Christopher Hermann, Chef der AOK Baden-Württemberg, der als der „Erfinder der Rabattverträge“ gilt, mischte sich schon vor einigen Wochen in die Debatte ein, verteidigte seine Exklusivverträge und erklärte, dass Apotheker mit der Suche nach alternativen Wirkstoffen bei Nicht-Lieferbarkeit aus seiner Sicht gar keinen so großen Aufwand hätten.

WIdO: Exklusivverträge helfen Herstellern

Jetzt legt der AOK Bundesverband nach. Das im Verband ansässige WIdO hat nun Zahlen präsentiert, die belegen sollen, dass die Exklusivverträge sogar Vorteile haben sollen. Zunächst weist das Institut darauf hin, dass die AOK-Arzneimittelrabattverträge die Vorgabe enthalten, dass die Vertragspartner die AOK über nicht lieferbare Vertragsprodukte verpflichtend informieren müssen. Außerdem müssen die Vertragspartner einen ausreichenden Arzneimittelbestand vorhalten. Und weiter: „Hilfreich dabei sind exklusive Verträge, da Pharmafirmen so ihre Absatzmengen besser kalkulieren können, als wenn sie bei Mehrpartnerverträgen mit mehreren Anbietern konkurrieren müssen.“

Außerdem würden Patienten durch exklusive Verträge auch „stabiler“ versorgt. Laut WIdO haben im vergangenen Jahr mehr als 79 Prozent der Patienten, die einen rabattierten Wirkstoff über einen längeren Zeitraum einnehmen müssen, ihr Medikament dauerhaft von demselben Hersteller erhalten. Das WIdO hat daher die „Profile“ von 2 Millionen Patienten untersucht, die den Wirkstoff Ramipril einnehmen. Ramipril wird, gemessen an den Tagesdosen, GKV-weit am meisten verordnet. Danach erhielten 2006 noch über 35 Prozent der Patienten den Wirkstoff innerhalb des Jahres von mehreren Herstellern. 2018 waren es nur noch 14 Prozent, die auf ein anderes Arzneimittel umstellen mussten. „Rabattverträge tragen dazu bei, unnötige Medikamentenwechsel zu vermeiden. Das fördert die Therapietreue der Patienten und den Erfolg der Therapie“, schlussfolgert WIdO-Chef Helmut Schröder.

WIdO: Neue Meldepflichten für Apotheker, Großhändler und Hersteller

Das WIdO ist auch davon überzeugt, dass sich exklusive Verträge positiv auf die Anbietervielfalt auswirken, und hat dazu die Umsatzkonzentration im Jahr 2006, also vor Einführung der Rabattverträge, mit der Umsatzkonzentration im generikafähigen Markt im Jahr 2018 verglichen. „Im Ergebnis ist die Marktkonzentration, die bereits 2006 insgesamt niedrig war, 2018 noch weiter gesunken. Der für die Messung der Marktkonzentration etablierte Herfindahl-Hirschman-Index hat sich von 478 auf 277 reduziert“, heißt es in der Institutsmitteilung. Gemäß der Europäischen Kommission kennzeichne ein Wert unterhalb von 1.000 eine niedrige Marktkonzentration, ein Wert bis 1800 eine mittlere Konzentration und Werte oberhalb 1.800 eine starke Konzentration. Schröder dazu: „Im Umkehrschluss gehen exklusive Rabattverträge mit einem steigenden Anbieterwettbewerb im Generikamarkt einher und fördern die Vielfalt.“

Ohnehin sehen die AOK-Experten kein wirklich großes Problem mit den Arzneimittel-Lieferengpässen. Unter den 9.000 Arzneimitteln, für die es einen AOK-Rabattvertrag gibt, lag der Anteil der lieferbaren Präparate im September dieses Jahres demnach bei 99,7 Prozent. Das WIdO habe zudem eine Analyse zu den Verfügbarkeitsquoten durchgeführt. Mit 461 in der BfArM-Engpassliste gemeldeten Produkten seien „nur wenige“ Produkte nicht lieferbar. Denn: „Werden die insgesamt mehr als 66.000 verschiedenen Arzneimittel, die im Jahr 2018 auf dem Markt erhältlich und zu Lasten der GKV verordnet wurden, als Vergleichsmaßstab herangezogen, zeigt sich eine Verfügbarkeitsquote aller Produkte von 99,3 Prozent.“

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Deswegen warnt Institutschef Schröder vor tieferen Eingriffen in das Vertragssystem. Vielmehr bestünde bei der Einführung eines verpflichtenden Mehrpartnermodells die Gefahr, dass vor allem große Anbieter größere Marktanteile erzielen könnten. Kleinere Anbieter hätten das Nachsehen. Die Anbietervielfalt würde reduziert. „Das würde einen Rückschritt in die Zeit vor Einführung der Rabattverträge bedeuten, in der Großkonzerne den Markt beherrscht haben“, so Schröder. Allerdings stellen auch die AOK-Experten eine Forderung auf: eine Meldepflicht bei Lieferengpässen – und zwar solle diese für alle Stufen in der Lieferkette gelten, also auch für Apotheker. Schröder: „Es ist nicht einzusehen, dass wir heute den Weg unserer Paketsendungen online mitverfolgen können, dies aber bei der ungleich wichtigeren Arzneimittelversorgung in Deutschland nicht gelingen soll.“

Altbekannte Argumente und Forderungen

Neu sind diese Forderungen und Argumente allerdings nicht. Schon im vergangenen Jahr hatte sich die AOK Baden-Württemberg unter anderem mit dem SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach und dem AkdÄ-Chef Wolf-Dieter Ludwig zusammengetan, um zu behaupten, dass die Liefersituation in den Vor-Ort-Apotheken eigentlich problemfrei funktioniere – im Gegensatz zu den Kliniken. Als Forderung wurde auch schon damals formuliert, dass Apotheker ihre Lagerbestände regelmäßig dem BfArM melden sollen.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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2 Kommentare

GKV immer dreister beim Lügen !

von ratatosk am 08.11.2019 um 23:20 Uhr

Die Firmen müssen immer einen ausreichenden Bestand vorhalten !? gerade das ist aber nicht der Fal. Sicher hat man sich den Wirkstoff ausgesucht, der noch am besten abschneidet, damit es nicht so schlecht aussieht, die Zustände hat ansonsten schon fast jeder mitbekommen. Der feine Herr ist sich sicher ? aha, ist was anderes als mit Fakten belegt. Der olle Hermann weiß, daß es wenig Arbeit macht, das alles zu managen? - wenn er das schon nicht weis, was weis er dann überhaupt. Hier zeigt sich die Fratze von überheblichen, schamlosen Apparatschiks !
Wie beim Brexit beginnt das Blamegame, da man sieht wie sich die Katastrophe anbahnt. Denn das alles geschieht noch ohne besondere Ereignisse. Wenn in Indien ein Konflicht mit Pakistan ausbricht, ein Erdbeben oder ein Anschlag, dann gehen hier die Lichter aus.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: GKV immer dreister beim Lügen

von Andreas Seifert am 09.11.2019 um 15:31 Uhr

Es gehen nicht nur die Lichter aus, es wird noch viel, viel dramatischer.
Welche Wirkstoffe werden denn überhaupt noch in Europa produziert?
Gibt es irgendwo eine Datenbank, die darüber Auskunft geben kann?
Wenn auf der einen Seite die GKV weiter nur "billig" akzeptiert und die Industrie auf der anderen Seite, aber den "maximalen Profit" erzielen möchte, dann kann das bestehende System nur im Chaos enden.

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