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Oberlandesgericht Düsseldorf
Das gesamte Arzneimittelpreisrecht wankt
Schon bevor
der EuGH im Oktober 2016 sein Urteil zur Rx-Preisbindung gesprochen hatte,
hatten Rechtsexperten gewarnt: Kippen die Luxemburger Richter die
Rx-Preisbindung auf Apothekenebene, steht das gesamte Arzneimittelpreisgefüge auf
dem Spiel. Nun zeigen zivilrechtliche
Entscheidungen aus Düsseldorf, dass die Befürchtungen, dass auch die Großhandels-
und Herstellerebene betroffen sind, keinesfalls aus der Luft gegriffen sind. Juristen wie Hilko J. Meyer und Morton Douglas sehen nun mehr denn je gesetzgeberischen Handlungsbedarf.
Eine noch nicht veröffentlichte Entscheidung des 20.
Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf sorgt derzeit für Unruhe bei
allen Beteiligten der Arzneimittellieferkette. Der Senat, der seinerzeit EuGH angerufen
hat, um zu klären, ob die Arzneimittelpreisbindung für EU-ausländische
Versandapotheken, die Medikamente nach Deutschland liefern, möglicherweise
europarechtswidrig ist, hat sich nun mit der Frage befasst, ob dann auch die
Preisbindung auf Herstellerebene obsolet ist. Konkret hat er die Berufung des
Herstellers Galderma gegen ein Urteil des Landgerichts Düsseldorf
zurückgewiesen.
Worum geht es in dem Urteil?
Geklagt hatte Galderma gegen seinen Wettbewerber Merz. Beide bieten verschreibungspflichtige Botulinumtoxin-Arzneimittel („Botox“) an: Azzalure® und Bocouture®. Pharmazeutische Unternehmen haben nach der deutschen Gesetzeslage einen einheitlichen Abgabepreis sicherzustellen (§ 78 Abs. 3 Satz 1 AMG i.V.m. § 1 Abs. 1, 4 die AMPreisV). Sie können zwar den generellen Listenpreis für ihre Medikamente frei bestimmen. Sie dürfen von diesem aber gegenüber einzelnen Abnehmern – etwa Apotheken – nicht abweichen und keine individuellen Rabatte gewähren. Solche Rabatte sind nach dem Heilmittelwerbegesetz verboten.
Bei Galderma bekam man spätestens im Sommer 2018 mit, dass der Mitbewerber sein Bocouture® bei Verkäufen an ausländische Versandhändler, die ihrerseits nach Deutschland liefern, diesen einheitlichen Abgabepreis offenbar nicht einhält. Die Firma mahnte daher ihre Konkurrenz ab – ohne Erfolg. Daraufhin beantragte sie beim Landgericht Düsseldorf eine einstweilige Verfügung. Bei Galderma war man überzeugt, dass sich Merz damit im Wettbewerb einen Vorsprung durch Rechtsbruch verschaffe. Es liege ein Verstoß gegen das geltende Arzneimittel- und Heilmittelwerberecht vor, wenn das Unternehmen gegenüber ausländischen Versandapotheken Preisnachlässe auf den Herstellerabgabepreis anbiete, ankündige und/oder gewähre und dies auch noch über seine Außendienstmitarbeiter bewerbe.
Abgesehen davon, dass Merz schon das angerufene Gericht für nicht zuständig hielt, sah das Unternehmen sich auch in der Sache nicht veranlasst, die ihm vorgehaltene Geschäftspraktik aufzugeben. Es sei zu bezweifeln, ob die Regelung zum einheitlichen Abgabepreis überhaupt auf einen Auslandssachverhalt angewendet werden könne. Zudem gebe es nach der Rechtsprechung des EuGH zu den Abgabepreisen von im EU-Ausland ansässigen Versandhändlern keine Rechtfertigung mehr, die Berufsausübungsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmen durch einheitliche Herstellerabgabepreise zu beschränken – jedenfalls nicht, soweit sie ausländische Versandapotheken beliefern, die ihrerseits nicht an einheitliche Apothekenpreise gebunden sind.
Landgericht: Bindung an den Herstellerabgabepreis ist Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit
Das Landgericht Düsseldorf wies den Antrag auf Einstweilige Verfügung im Dezember vergangenen Jahres zurück (Urteil vom 6. Dezember 2019, Az. 14c O 105/18). Er sei bereits nicht zulässig, weil das Gericht „unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt örtlich zuständig“ sei. Allerdings setzte es sich auch mit dem geltend gemachten Anspruch als solches auseinander. Und zwar mit folgendem Ergebnis:
„Die in Rede stehenden nationalen Vorschriften in § 78 Abs. 3 Satz 1 AMG und in § 1 AMPreisV, welche den einheitlichen Herstellerabgabepreis regeln, finden bei Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts keine Anwendung, da andernfalls gegen die vorranging anzuwendende, im europäischen Primärrecht verankerte Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 ff. AEUV) verstoßen würde“. Recht ausführlich legen die Richter dar, dass die Bindung an den deutschen Herstellerabgabepreis, wie er in der Lauerliste festgelegt ist, einen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit darstelle. Und sie kommen natürlich auf die bereits erwähnte EuGH-Entscheidung zu sprechen.
Der EuGH habe festgestellt, dass EU-Versender auf den Preiswettbewerb angewiesen seien, wenn sie mit deutschen Apotheken konkurrieren wollten – denn schließlich hätten sie nur über den Versandhandel Zugang zum deutschen Markt. Weiter führt das Landgericht aus: „Ein Wettbewerb hierzulande ist den im EU-Ausland ansässigen Versandapotheken indes nur möglich, wenn sie auch rabattierte Arzneimittel, die für den deutschen Markt bestimmt sind (und die von Ärzten für ihre in Deutschland ansässigen Patienten verschrieben worden sind), beziehen können und sie – was ihren eigenen Einkaufspreis angeht – insofern nicht an den einheitlichen Herstellerabgabepreis gebunden sind.“ Zwar können die Versender nach der EuGH-Entscheidung ihre Abgabepreise frei bestimmen und somit – im Gegensatz zu den inländischen Apotheken – gegenüber den Endverbrauchern einen Rabatt gewähren. „Allerdings werden sie hiervon unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten dauerhaft nur dann Gebrauch machen können, wenn ihre eigenen Einkaufspreise niedriger als der einheitliche Herstellerabgabepreis sind“.
Aus Gründen des Gesundheitsschutzes für gerechtfertigt hält das Landgericht den von ihm angenommenen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit ebenfalls nicht. Auch hier verweist das Urteil auf den EuGH. Zudem sei zu berücksichtigen, dass in einem einstweiligen Verfügungsverfahren keine umfassende Klärung der Rechtfertigungsvoraussetzungen möglich sei.
Und dieses Urteil hat die nächste Instanz nun also bestätigt. Bislang ist lediglich der Tenor bekannt – die Berufung wurde zurückgewiesen. Wie die Gründe ausfallen, ist abzuwarten. Aber der 20. Zivilsenat dürfte erfahrungsgemäß nicht zimperlich mit seiner Argumentation sein.
Meyer und Douglas sehen ihre Befürchtungen bestätigt
Für den Gesundheitsrechtsexperten Professor Dr. Hilko Meyer kommt die Entscheidung nicht überraschend. Bei der Jahrestagung der klinik- und heimversorgenden Apotheker am gestrigen Dienstag in Mainz verwies er auf seine eigenen Ausführungen unmittelbar nach dem EuGH-Urteil im Oktober 2016. Schon damals habe er auf die mittelfristigen Auswirkungen hingewiesen – nämlich, dass auch „weitere Interessenten“ versuchen könnten, die Grenzen des geltenden Preissystems auszutesten: nicht nur deutsche Versandapotheken, sondern auch ausländische Großhändler, Hersteller und Reimporteure. Die Rechtsprechung des EuGH sei auf die Arzneimittelpreisverordnung insgesamt anwendbar, mahnte Meyer damals wie heute. Und unterstrich damit den dringenden regulatorischen Handlungsbedarf – doch bekanntlich hat die Politik nun schon zweieinhalb Jahre tatenlos verstreichen lassen.
Ein anderer, der bereits vor dem EuGH-Urteil mahnte, ist der Freiburger Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas. Gegenüber DAZ.online zeigte er sich Ende September 2016 überzeugt: Ein Urteil des EuGH, das die Preisbindung für EU-Versender kippt, hätte weitreichendere Konsequenzen als eines, das das Fremd- und Mehrbesitzverbot aufgehoben hätte. Das gesamte Arzneimittelpreisgefüge stehe auf dem Spiel.
Auch jetzt findet Douglas scharfe Worte:
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf verdeutlicht, welch weitreichende Konsequenzen das EuGH-Urteil für die Arzneimittelversorgung in Deutschland hat. Nicht nur das Verhältnis zwischen Apotheken und Endkunden ist insoweit berührt, sondern die gesamte Distributionskette hinauf bis zum Hersteller. Die Entscheidung des OLG Düsseldorf wird zu erheblichem Druck der Apotheker auf die Hersteller und den pharmazeutischen Großhandel in Deutschland führen. Denn es gibt auf den ersten Blick keine sachliche Rechtfertigung dafür, die Preisspannen auf den Handelsstufen in Deutschland weiter zu begrenzen, wenn ausländischen Anbietern vollumfänglich Rabatte gewährt werden dürfen. Es stellt sich dann nicht mehr die Frage, ob 0,70 Euro rabattierfähig fähig sind oder nicht. Es stellt sich dann die Frage, ob nicht die Apotheken ihre Preise mit den pharmazeutischen Herstellern frei verhandeln können. Sollte die Rechtsauffassung des OLG Düsseldorf bestätigt werden, wird das gesamte System des Arzneimittel-Preisrechts damit obsolet. Spätestens jetzt muss die Politik schnell agieren, da an diesem Preissystem auch die Preiskontrollmechanismen zugunsten der GKV hängen, die damit mittelfristig ebenfalls ausgehebelt werden.“
Man darf nun gespannt sein auf die Urteilsgründe des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Dann muss sich zeigen, ob die Politik erkennt, wie weit die EuGH-Entscheidung wirklich reicht – und was sie ihr entgegensetzt.
6 Kommentare
OLG Urteil
von Hans-Dieter Rosenbaum am 30.05.2019 um 11:24 Uhr
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von Anita Peter am 30.05.2019 um 6:36 Uhr
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Sehr schön
von Stefan Haydn am 29.05.2019 um 22:02 Uhr
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Das wird spannend ....
von Bernd Jas am 29.05.2019 um 21:48 Uhr
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Jetzt noch .....
von gabriela aures am 29.05.2019 um 19:39 Uhr
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OLG Urteil
von Küsgens,Bernd am 29.05.2019 um 19:22 Uhr
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