Nutzen-Risiko-Bewertung

Soll man Fluorchinolone noch verordnen – und wenn ja, wann?

Bonn / Stuttgat - 03.05.2019, 14:45 Uhr

Nicht in allen Anwendungsbereichen weisen Fluorchinolone ein negatives Nutzen-Risiko-Profil auf. (m / Foto: Schwanen Apotheke, Stuttgart)

Nicht in allen Anwendungsbereichen weisen Fluorchinolone ein negatives Nutzen-Risiko-Profil auf. (m / Foto: Schwanen Apotheke, Stuttgart)


Mit Fluorchinolonen wurde in der Vergangenheit in der Versorgungspraxis zu leichtfertig umgegangen. Nicht für jede bislang zugelassene Indikation ist vor dem Hintergrund potenzieller Nebenwirkungen die Anwendung noch gerechtfertigt. Ein Stufenplanverfahren hat vor Kurzem die Indikationen beschränkt. Doch offenbar herrscht nun Skepsis und Verunsicherung beim Nutzen-Risiko-Verhältnis der Fluorchinolone – wann ist es noch angebracht, sie zu verordnen? Das BfArM klärt auf.

Fluorchinolone sind wertvolle Antibiotika – Wermutstropfen sind jedoch schwere Nebenwirkungen, die die Antiinfektiva verursachen können. Die unerwünschten Arzneimittelwirkungen betreffen Muskeln, Gelenke und das Nervensystem. In einem Risikobewertungsverfahren analysierte die Europäische Arzneimittel-Agentur das Nutzen-Risiko-Verhältnis der Flurochinolone. Im März gab die Europäische Kommission die Ergebnisse dieser Risikobewertung bekannt, die deutsche Arzneimittelbehörde BfArM setzte sodann den europäischen Durchführungsbeschluss um. Für bestimmte Indikationen* hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Zulassung zum 30. April dieses Jahres  wiederrufen:

  • Pharyngitis-Tonsillitis: Pharyngitis, Tonsillitis
  • Laryngitis
  • Akute Bronchitis
  • Prophylaxe von Reisediarrhö: Prophylaxe einer infektiösen Gastroenteritis (Reisediarrhö), Vorbeugung einer Reisediarrhö
  • Präoperative Vorbereitungen bei chronischer Otitis media cholesteatomatosa und chronischer Otitis, die sich auf den Knochen ausbreitet
  • Sepsis
  • Selektive Dekontamination des Gastrointestinaltraktes bei Patienten mit geschwächtem Immunsystem
  • Vorbeugung von Exazerbationen bei Frauen mit rezidivierenden Harnwegsinfektionen, Prophylaxe von häufigen, rezidivierenden Harnwegsinfektionen, Langzeitprophylaxe von rezidivierenden Harnwegsinfektionen, Prophylaxe von sich häufig wiederholenden Infektionen der Harnwege, Vorbeugung von systemischen Harnwegsinfektionen, Prophylaxe von systemischen Harnwegsinfektionen
  • Vorbeugung einer Infektion bei chirurgischen Eingriffen: Prophylaxe nach Operationen oder Eingriffen am Urogenitaltrakt (Prophylaxe nach Operationen oder Eingriffen am Urogenitaltrakt, Prophylaxe von rezidivierenden Harnwegsinfektionen nach transurethraler Resektion oder transrektaler Prostatabiopsie)
  • Vaginale Infektionen
  • Meningitis Infektion des Liquors cerebrospinalis
  • Endokarditis
  • Nosokomiale Pneumonie
  • Otitis externa

*nicht alle Indikationen waren auch in Deutschland Bestandteil der Zulassung

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Nicht immer negatives Nutzen-Risiko-Profil

Doch offenbar herrscht Verunsicherung bei welchen Anwendungsgebieten der Fluorchinolone sich das Nutzen-Risiko-Verhältnis ins Negative verschoben hat und es nun Einschränkungen in der Anwendung aufgrund von möglicherweise dauerhaften und die Lebensqualität beeinträchtigenden Nebenwirkungen gibt und bei welchen nicht.
Denn nicht für alle Indikationen der Fluorchinolone hat sich etwas geändert.
Zugelassene Wirkstoffe in Deutschland sind: Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin, Norfloxacin und Ofloxacin.

Keine Änderungen bei Last-Line-Indikationen

Das BfArM informiert aktuell „aufgrund von Nachfragen“, dass die „neu identifizierten Sicherheitsbedenken“ in manchen Therapiebereichen das bestehende Nutzen-Risiko-Verhältnis nicht wesentlich beeinflussen und somit keine Änderung beim Anwendungsgebiet erforderlich ist. Unter anderem trifft dies Indikationen, die auch bereits vor dem Stufenplanbescheid als „Last-Line“-Option zugelassen waren, wie „ambulant erworbene Pneumonie“.

Künftig wird diesen Indikationen in den informierenden Texten vorausgestellt: „Bei [Anwendungsgebiet] sollte [Name des Arzneimittels] nur angewendet werden, wenn andere Antibiotika, die für die Behandlung dieser Infektionen üblicherweise empfohlen werden, für ungeeignet erachtet werden.“ Dies ist beispielsweise bei „unkomplizierten Harnwegsinfektionen“ der Fall.

Wann sind Fluorchinolone last line?

Unkomplizierte Zystitis:

  • Leichte, unkomplizierte akute Zystitis
  • Akute Zystitis bei Frauen
  • Leichte, unkomplizierte akute Zystitis bei erwachsenen Frauen in der Prämenopause
  • Rezidivierende Zystitis bei Frauen
  • Akute unkomplizierte Infektion der unteren Harnwege (leichte Zystitis)

Akute Exazerbation einer chronischen Bronchitis oder einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung

  • Akute Exazerbation einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung einschließlich chronischer Bronchitis
  • Akute Exazerbationen einer chronischen Bronchitis
  • Exazerbation einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung

Akute bakterielle Rhinosinusitis

  • Akute Sinusitis
  • Akute bakterielle Sinusitis

Akute Otitis media

Teilweise präzisiert sich auch nur das Wording: „Prostatitis" wird zu „bakterieller Prostatitis" angepasst. 

Weiterhin zugelassene Einsatzgebiete von Fluorchinolonen

Nach wie vor haben Fluorchinolone jedoch in bestimmten Anwendungsbereichen, die in der Regel mit schweren Verläufen einhergehen, ein positives-Nutzen-Risikoverhältnis und sind daher auch nach wie vor zugelassen, dazu gehören:

  • Komplizierte Harnwegsinfektion/Pyelonephritis
  • Prostatitis, Epididymo-Orchitis
  • Urethritis und Zervizitis
  • Infektionen des Genitaltraktes/gynäkologische Infektionen
  • Chronische pulmonale Infektion aufgrund von Pseudomonas aeruginosa bei erwachsenen Patienten mit zystischer Fibrose
  • Bronchopulmonale Infektionen bei zystischer Fibrose oder bei Bronchiektase
  • Ambulant erworbene Pneumonie
  • Pneumonie aufgrund von gramnegativen Bakterien
  • Tuberkulose
  • Chronische Sinusitis
  • Maligne Otitis externa
  • Chronische eitrige Otitis media
  • Komplizierte Haut- und Hautstrukturinfektionen/komplizierte Haut- und Weichteilinfektionen
  • Gastrointestinale Infektionen
  • Knochen- und Gelenkinfektionen
  • Intra-abdominale Infektionen
  • Prophylaxe invasiver Infektionen aufgrund von Neisseria meningitidis
  • Lungenmilzbrand (Prophylaxe nach Exposition und kurative Behandlung)
  • Infektionen bei immungeschwächten Patienten


Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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