Stiftung Warentest

Die „Spritze“ gegen Migräne

Stuttgart - 31.01.2019, 09:00 Uhr

Stiftung Warentest übt sich in Zurückhaltung ob der neuen Antikörper-Therapien zur Migräne-Prophylaxe. ( j / Foto: rogistok / stock.adobe.com)

Stiftung Warentest übt sich in Zurückhaltung ob der neuen Antikörper-Therapien zur Migräne-Prophylaxe. ( j / Foto: rogistok / stock.adobe.com)


Yoga, Bewegung an der frischen Luft, einen regelmäßigen Schlaf- und Essrhythmus – und wenn das nicht hilft, dann Analgetika oder Triptane. Stiftung Warentest informiert über Migräne und Behandlungsmöglichkeiten und hat auch das Novum parat, den ersten Antikörper zur Migräne-Prophylaxe – Erenumab in Aimovig®

„Migräne ist ein Biest“ – findet Stiftung Warentest. Das „Schöne“ bei dem Biest ist jedoch, dass man dieses mit einer gewissen Stress-Hygiene, Analgetika und Antiemetika und Triptanen meist gut besiegen kann – oder zumindest für eine gewisse Zeit zähmen.

Doch wie das nun mal häufig ist – manche Patienten fallen leider durch diese therapeutischen Maschen, und trotz Yoga, Joggen, einem regelmäßigen Schlafrhythmus, NSAR und Triptanen quälen die Migräniker weiter die meist pulssynchron-einseitigen Kopfschmerzen, teils mit starker Übelkeit.

Warentest vergisst Galcanezumab

10 bis 15 Prozent der Bundesbürger leiden an Migräne – darunter werden sich auch einige treue Leser von Stiftung Warentest tummeln, bei einer monatlichen Auflage von knapp 400.000 Zeitschriften (Stand 2017, eigene Angabe Stiftung Warentest). Grund für die Verbraucherorganisation Migräne für seine Leser aufzubereiten. Die Tipps reichen von Verhaltensregeln über Arzneimittel der akuten Attacke bis hin zur Prophylaxe. Dabei beschäftigt sich Stiftung Warentest auch mit dem neuesten Migränetherapeutikum, der „Spritze gegen Migräne“. Die Verbraucherschützer meinen hier Erenumab in Aimovig®.

Allerdings ist Erenumab mittlerweile nicht mehr allein auf weiter Flur, denn auch Galcanezumab (Emgality®) hat die Zulassungsanforderungen der EMA bereits gemeistert und auch die europäische Kommission überzeugt. Emgality® ist Warentest allerdings wohl durchgerutscht. Wobei Lilly Emgality® bislang auch noch nicht auf dem Markt hat.

Migräne-Antikörper: Zulassungen und Pipeline

Die Pipeline mit Antikörpern gegen Calcitonin Gene-Related Peptide CGRP oder dessen Rezeptor ist neben den in der EU bereits zugelassenen Erenumab Aimovig® und Galcanezumab in Emgality mit Fremanzumab und Eptinezumab reich gefüllt. 
Die erste Zulassung für Europa erteilte die Europäische Arzneimittelagentur EMA im Juli 2018 Erenumab, seit November hat Novartis  Aimovig® auf dem Markt. Für Galcanezumab hat der europäische Humanarzneimittelausschuss (CHMP) seine Zulassungsempfehlung im September 2018 ausgesprochen, mittlerweile ist Emgality zugelassen. Für Tevas Fremanzumab hat der CHMP der EMA ebenfalls bereits die Zulassung empfohlen (Januar 2019).

In den USA sind derzeit die drei Antikörper Erenumab, Fremanezumab (AjovyTM) und Galcenezumab (EmgalitiyTM) zugelassen. Auch hier machte Novartis mit Erenumab im Mai 2018 das Rennen bei der Zulassung, im September folgten dann Fremanezumab und Galcanezumab.

Bei Eptinezumab läuft derzeit noch die Phase-III-Studie, die Zulassung ist weder in den USA noch in Europa beantragt.

Was empfiehlt Warentest bei Migräne?

Stiftung Warentest räumt zu allererst mit Vorurteilen und schlechten Tipps auf, denen sich Migräniker laut dem Verbraucherschutzmagazin häufig gegenüber sehen, wie „frische Luft hilft“ oder „du siehst ja gar nicht krank aus“ oder „du bleibst ja schön oft zuhause“. So erklärt auch der Neurologe, der Stiftung Warentest medizinisch-pharmazeutischen Input liefert: „Wer Migräne hat, leidet oft zusätzlich unter Vorurteilen Dritter“.

Doch auch medikamentöse Tipps hat Stiftung Warentest parat. Ihre Empfehlungen entsprechen in Großen und Ganzen den Leitlinien. So könnten Migräniker bei leichten bis mittelschweren Attacken ASS, Ibuprofen und Paracetamol nehmen. Warentest weis korrekt darauf hin, dass bei Migräne die Dosierungen abweichen können verglichen mit „normalem“ Kopfschmerz, beispielsweise bei ASS mit 1.000 mg. Auch die 2018 aktualisierte Migräne-Leitlinie schreibt: „Am besten belegt ist die Wirksamkeit für Acetylsalicylsäure und Ibuprofen". Paracetamol ist vor allem für Patienten mit NSAR-Unverträglichkeit eine wertvolle Alternative, wie auch Metamizol.

Warentest warnt – wie auch die Leitlinie – auf die Gefahr eines medikamenteninduzierten Kopfschmerzes hin, die Schwelle für die Entstehung von Medikamentenübergebrauch-Kopfschmerz liegt für Kombinationsanalgetika ab 10 Einnahmetagen pro Monat, für Monoanalgetika bei 15 Einnahmetagen monatlich. 

Triptane bei schwerer Migräne

„Reichen Schmerzmittel nicht, sind Triptane hilfreich", empfiehlt Stiftung Warentest, die Leitlinie erklärt analog, dass 5-HT1B/1D-Agonisten* die „beste Wirksamkeit bei akuten Migräneattacken" haben und diese bei „Migräneattacken, die nicht auf Analgetika oder NSAR ansprechen, eingesetzt werden“ sollen.

Welches letztlich zur Anwendung kommt, entscheidet der Arzt, Warentest weist darauf hin, dass Patienten hier auch unter Umständen mehrere Wirkstoffe ausprobieren müssten. Näher wird darauf jedoch nicht eingegangen. So hätte man vielleicht ergänzen können, dass Naratriptan und Frovatriptan die längste Halbwertszeit haben und sich so für Migräniker mit langen Attacken eignen.

*Korrektur: in einer ursprünglichen Version des Artikel heiß es fälschlicherweise Antagonisten.

Zurückhaltung bei Aimovig

Einfach und knapp erklärt Stiftung Warentest seinen Lesern auch die neuesten Therapiemöglichkeiten. In Euphorie brechen die Verbraucherschützer jedoch nicht aus ob Erenumab. „Wirkung begrenzt, aber belegt", so ihre Einschätzung. Sie begründen dies, dass Erenumab in Studien die Zahl der Migränetage um 3,2 (70 mg Erenumab) beziehungsweise 3,7 Tage (140 mg Erenumab) reduzierte, doch auch in der Placebogruppe die Patienten 1,8 Tage weniger Migräne hatten. Auch seien noch viele „Fragen offen" – was nicht überrascht bei einem Arzneimittel, das keine drei Monate „breit“ angewendet wird, also außerhalb klinischer Studien. Und auch das „breit“ wird bei Aimovig® überschaubar sein – Aimovig® ist angezeigt zur Prophylaxe bei Migränikern mit mehr als vier Migränetagen im Monat und Neurologen werden es diesen Patienten nur verordnen, so diese mit Triptanen oder einer anderweitigen Prophylaxe (siehe Box) nicht ausreichend eingestellt sind.

Migräneprophylaxe vor CGRP-Antikörpern

Ein spezifisches Arzneimittel zur Prävention der Migräne gab es bis zu den CGRP-Antikörpern beziehungsweise CGRP-Rezeptor-Antikörpern (Galcanezumab) bislang nicht. Zum Einsatz kamen Wirkstoffe, die eigentlich in anderen therapeutischen Bereichen zuhause sind. Beispiele hierfür sind Betablocker oder Antiepileptika. Die aktuelle Leitlinie zur Therapie der Migräne und Migräne-Prophylaxe nennt die Betablocker Metoprolol und Propranolol, den Calciumantagonisten Flunarizin, die Antikonvulsiva Topiramat und Valproinsäure und Amitriptylin als am besten untersuchte Wirkstoffe. Ebenfalls wirksam ist laut den Experten der Leitlinie Bisoprolol. Topiramat zeigte Evidenz in prospektiven Studien zur chronischen Migräne. Von einer chronischen Migräne sprechen Experten bei Patienten, die an mehr als 15 Tagen pro Monat unter Migräne-Attacken leiden. Auch Onabotulinumtoxin A kann bei chronischer Migräne eingesetzt werden, allerdings sollten zuvor zwei weitere Prophylaxen nicht wirksam gewesen sein. Medikamente mit geringer Evidenz sind Opipramol, ACE-Hemmer und Sartane (Off-Label-Use).

Stiftung Warentest vermisst auch vergleichende Studien zwischen der innovativen Therapiemöglichkeit mit CGRP-Antikörpern und „herkömmlichen Vorbeugemitteln“. Der Einwand könnte tatsächlich noch von tragender Relevanz sein. Denn auch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) wird diese fordern in der frühen Nutzenbewertung von Erenumab und Galcanezumab.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

hallo

von Redaktion DAZ.online am 03.02.2019 um 19:06 Uhr

Danke für den Hinweis und fürs Nachhaken! Ist korrigiert. Trotz Approbation sind wir Redakteure auch nur Menschen, die gelegentlich mal einen Kommentar übersehen.
Viele Grüße und einen schönen Sonntag noch
Ihre DAZ.online-Redaktion

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hallo!

von Klaus berger am 03.02.2019 um 12:47 Uhr

Was ist das denn für ein Fachportal!!?? Fehler können passieren, Antagonist und Agonist ist schnell verwechselt. Aber wen man schon darauf hingewiesen wird, dann sollte sich doch wohl einer der 8 approbierten Redakteure (steht so im Impressum) dazu herablassen, das bitte, bitte zu korrigieren.

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5-HT1-Agonisten

von A. Schierloh am 31.01.2019 um 19:16 Uhr

Kleine Anmerkung am Rande: Triptane binden agonistisch an 5-HT1-Rezeptoren.

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