Legalisierung

SPD-Gesundheitspolitiker wollen Cannabis-Modellprojekte  

Berlin - 06.11.2018, 17:45 Uhr

SPD-Gesundheitspolitiker Dirk Heidenblut (rechts außen) und Martina Stamm-Fibich (zweite von rechts) haben in der AG Gesundheit eine neue Cannabis-Politik durchgesetzt. (s / Foto: Jörg F. Müller)

SPD-Gesundheitspolitiker Dirk Heidenblut (rechts außen) und Martina Stamm-Fibich (zweite von rechts) haben in der AG Gesundheit eine neue Cannabis-Politik durchgesetzt. (s / Foto: Jörg F. Müller)


Die Gesundheitsexperten der Sozialdemokraten bekennen Farbe in Sachen Cannabis-Legalisierung. Die Arbeitsgemeinschaft Gesundheit der SPD-Bundestagsfraktion hat am heutigen Dienstag beschlossen, bei der Cannabis-Politik einen neuen Kurs einzuschlagen. Als ersten Schritt stellen sie sich wissenschaftliche Modellprojekte zur regulierten Cannabis-Abgabe unter anderem* in Apotheken vor.

Das Dogma der Cannabis-Prohibition in der Großen Koalition scheint stückchenweise zu bröckeln. So erklärte vor einigen Wochen der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Erwin Rüddel (CDU), dass er sich Cannabis-Modellprojekte gut vorstellen könne. Auch bei den Sozialdemokraten haben sich der drogenpolitische Sprecher Dirk Heidenblut und die gesundheitspolitische Sprecherin Sabine Dittmar zuvor für einen offeneren Umgang in der Cannabis-Politik ausgesprochen.

„Realitäten des 21. Jahrhunderts anerkennen“

Nun haben sich Gesundheitspolitiker der SPD offenbar klar positioniert. Einer Pressemitteilung der SPD-Gesundheitspolitikerin und Patientenbeauftragten Martina Stamm-Fibich zufolge hat die Arbeitsgemeinschaft Gesundheit am heutigen Dienstag eine Neuausrichtung der Cannabis-Politik beschlossen. Die Initiative dazu sei von Heidenblut und ihr selbst ausgegangen. „Wir wollen eine Cannabis-Politik, die Konsumentinnen und Konsumenten wirksam schützt, den Handel mit Cannabis reguliert und gesellschaftliche Realitäten im 21. Jahrhundert anerkennt“, erklärt Stamm-Fibich.

Modellprojekte und Entkriminalisierung kleiner Mengen

Im ersten Schritt solle mit kommunalen Modellprojekten die regulierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene ermöglicht, sowie Prävention und Aufklärung gestärkt werden. Auf Nachfrage von DAZ.online erklärte Stamm-Fibich, dass Cannabis dabei ausschließlich über Apotheken abgegeben werden soll.* Ein weiteres Kernelement der neuen SPD-Cannabispolitik ist es, den Besitz kleiner Mengen Cannabis künftig nicht mehr strafrechtlich zu verfolgen, sondern als Ordnungswidrigkeit zu behandeln. 

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*Anmerkung der Redaktion 12.11.2018:Wie sich am heutigen Montag herausstellte, ist es bei den von der AG-Gesundheit vorgeschlagenen Modellprojekten noch offen, wo das Cannabis abgegeben werden soll.


Dem Bundestag liegen derzeit drei Anträge der Oppositionsfraktionen FDP, Linke und Grüne zur Lockerung des Cannabis-Verbots vor. Die Vorschläge der Sozialdemokraten kommen denen der Linken und der FDP am nächsten. So fordert die Linksfraktion im Bundestag, dass der Besitz von 15 Gramm Cannabis bundesweit straffrei sein sollte. Die FDP-Bundestagsfraktion schlägt in ihrem Antrag ebenfalls wissenschaftliche Modellprojekte vor und nennt als Abgabestellen entweder nicht näher definierte, „lizenzierte Fachgeschäfte“ oder ebenfalls die Apotheken.

Kommt die Legalisierung schneller als erwartet?

Auch Erwin Rüddel hatte im September gegenüber DAZ.online erklärt, dass bei den Modellprojekten Cannabis in Apotheken abgegeben werden könne. Dagegen finden die Linken und auch die Grünen, dass die Offizin dafür nicht geeignet sei.

Die ABDA erklärte vor einigen Wochen, dass sie die Cannabis-Legalisierung aus fachlichen Gründen zwar ablehne, sollte jedoch die politische Entscheidung dafür getroffen werden, würden die Apotheker „zu einer Lösung beitragen, die den Besonderheiten von Cannabisprodukten unter Qualitäts- und Sicherheitsaspekten Rechnung trägt.“ 

Müssen sich die Apotheker mit dem Thema vielleicht schneller auseinandersetzen als erwartet? Immer mehr Länder legalisieren Cannabis, weshalb der Druck auf die Bundesregierung wächst. Und wissenschaftliche Modellprojekte könnten auch für die konservativeren Abgeordneten einen denkbaren Kompromiss darstellen. Die einzige Partei, die nach außen einstimmig als Legalisierungsgegner auftritt, ist inzwischen die AfD. 

Innerhalb der Unionsfraktion war Rüddel der erste Gesundheitspolitiker, der sich öffentlich für eine regulierte Abgabe ausgesprochen hatte. Die Drogenbeauftragte Marlene Mortler (CSU) sowie die CDU-Bundestagsabgeordneten Alexander Krauß und Stephan Pilsinger waren bisher eindeutig gegen jede Form der Legalisierung. Dass die Abstimmung um das Cannabis-Verbot im Bundestag zur Gewissensentscheidung erklärt werde, ist nach Auskunft Rüddels unwahrscheinlich.

„Cannabis-Konsum gehört zur Lebensrealität“

Dennoch kommt spürbar Wind in die Debatte. Neben den internationalen Entwicklungen könnte dies unter anderem daran liegen, dass die Gefahren „legaler Drogen" vermehrt ins öffentliche Bewusstsein gelangen. So sterben Schätzungen zufolge in der Bundesrepublik jährlich 120.000 Menschen an den Folgen des Rauchens und 21.000 wegen übermäßigen Alkoholkonsums. Dagegen sind bisher keine Todesfälle bekannt, die sich unmittelbar auf Marihuana zurückführen lassen.

Dennoch ist Alkohol im Gegensatz zu Cannabis legal. Legalisierungsbefürworter wie etwa der deutsche Hanfverband bezeichnen diesen Sachverhalt als „Schizophrenie zwischen Alkohol und Cannabis“. Legalisierungsgegner wie etwa Mortler führen ins Feld, dass Alkohol im Gegensatz zu Cannabis zur deutschen Kultur gehöre und nicht zwangsläufig zu Rauschzwecken getrunken werde.

Doch diese Unterscheidung hält Stamm-Fibich nicht mehr für zeitgemäß: „Cannabis-Konsum gehört heute wie Alkohol-Konsum zur Lebensrealität in unserer Gesellschaft. Im Gegensatz zu Alkohol ist es bei Cannabis aufgrund der bisherigen Verbotspolitik aber derzeit weder möglich, Qualität und Wirkstoffgehalt zu kontrollieren, noch lässt sich ein vernünftiger Jugendschutz gewährleisten.“ Dass eine solche liberale Drogenpolitik erfolgreich sein kann, zeige sich in Portugal, so Stamm-Fibich weiter. Dort sei der Drogenkonsum allgemein und insbesondere bei jungen Menschen stark gesunken. Diese Erfahrung decke sich auch mit der aus anderen Ländern, die bereits legalisiert haben, wie etwa der US-Bundesstaat Colorado.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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7 Kommentare

@HAYDAN

von Meinung am 08.11.2018 um 12:25 Uhr

Sehr geehrter Herr Haydan,
sie scheinen aus Bayern zu kommen. Auch die Ideologie der CSU gesinnt zu sein.

Nur mal zum Nachdenken. Wir haben in Deutschland ca 4. MIO regelmässige CANNABISKONSUMENTEN und ca. 6.mio mit Gelegenheitskonsum. Ich und viele aus meinen Bekanntenkreis (50+) verwenden Cannabis zu gelegentlichen Genuss. Einige wie ich am Wochenende und einge auch häufiger an Abend. Die Grunde dafür sind bei sich ein wenig zu entspannen. Andere um besser schlafen zu können. Auch bei Feiern und Wanderungen in der Natur ist es bei uns beliebt..
Wer sind wir? Selbständige, Techniker, Handwerker, Polizist, Arzt, Sozialpädage, Landwirtschaftlingenjeur, Elektronker, Erzieher.

Desweiteren sind wie ich auch einge sehr ambitionierte Hobbysportler dabei. Marathonläufer und Rennradsportler befinden sich mehrere im meinen Bekanntenkreis.

Alles Menschen die Steuern zahlen, im Leben stehen, Familien haben usw.

Wir alle dröhnen uns nicht zu sondern verwenden Cannabis als milde Droge zum Entspannen. Keiner von uns starrt zugedröht an die Decke.

Ganz nebenbei gefällt mir das mit der Apotheke auch nicht. Besser so wie in dem Niederlanden in "Fachgeschäften"

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Liebe SPD

von Stefan Haydn am 07.11.2018 um 15:21 Uhr

definitiv NEIN!
Ich weigere mich Cannabis zu Consum-Zwecken in der Apotheke abgeben zu müssen.

Dann möchte ich bitte auch Spirituosen und Zigaretten verkaufen dürfen. Ein Glücksspielautomat wäre dann natürlich auch nicht schlecht.

Wer immer sich mit was auch immer zudröhnen möchte und denkt, darauf nicht verzichten zu können, soll dies gerne tun, aber bitte nicht mit meiner offenen oder erzwungenen Unterstützung.

Mit Gesundheit hat dies nämlich NULL zu tun!

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AW: Liebe SPD

von Das C am 07.11.2018 um 16:16 Uhr

Sehr geehrter Herr Haydn, Ihre persönliche Meinung ist für viele Menschen nicht von Belang, ebenso Ihre klare Positionierung scheint auf Ihrem eigenen Erfahrungsschatz zu beruhen, aber es haben sich schon ganz andere Meinungen und Auffassungen verändert. Googeln Sie doch mal nach dem Stichwort "Medizinalcannabis ohne kanadische Apotheker" und überlegen, ob das Know How Ihres Berufstandes nicht auch für alle Menschen nützlich sein mag. Zigaretten und Glückspielgeräte benötigen keine qualifizierte Beratung, daher hinkt - für mich jedenfalls - Ihr komischer Vergleich.

Cannabis für die Freizeitgestaltung aus der Apotheke

von Ralf Maly am 07.11.2018 um 9:47 Uhr

Ich würde gern mal wissen was die Apotheken von dieser Idee halten. Wurde seitens der SPD denn evtl. schon mal bei den Apothekenkammern nachgefragt?
Und wie stellt man sich das in der Praxis vor?
Stehen dann rechts in der Apotheke die "Freizeitsorten" deren Preise um dem Schwarzmarkt entgegenzuwirken unter dem Straßenverkaufspreis liegen müssen und links daneben die "medizinischen Sorten" an denen sich die Patienten dumm und dämlich bezahlen?

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Modellprojekte = Verzögerungstaktik

von Peter0815 am 07.11.2018 um 0:42 Uhr

Na endlich fangen sie an nachzudenken. Angesits der fortschreitenden Legalisierung in anderen Ländern bleibt unseren Politikern auch nichts anderes übrig, als sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Ignorieren war einmal.

Warum sollen quasi alle bisher gewonnenen Erkenntnisse im Ausland in Frage gestellt werden, nach dem Motto, dass Modellversuche erst noch zeigen müssen, ob das auch alles richtig ist. Es ist wieder mal ein typisch minimalistischer Ansatz, der die Legalisierung nur unnötig lange hinauszögert.

Es ist ganz klar, dass aktuell Cannabiskonsumenten gegenüber den Alkoholkonsumenten benachteiligt werden. Der Cannabiskonsum ist von der Sache her nicht schlimmer zu bewerten, als Alkoholkonsum. Deshalb braucht eine Cannabislegalisierung auch keine Mehrheit. Allein von den Grundrechten her betrachtet hat der Staat nicht das Recht einem Menschen den Konsum von Cannabis zu verbieten, wenn er Alkohol erlaubt. Punkt! Deshalb muss der Grundgedanke lauten, dass entweder Alkohol zu verbieten ist, oder Cannabis dem Alkohol gleichgestellt werden muss. Punkt! Sollten die Modellprojekte aus irgendwelchen Gründen scheitern, dann muss konsequenterweise Alkohol verboten werden, falls diese Gründe auch auf Alkohol zutreffen.

Modellversuche bewirken wiederum eine Ungerechtigkeit, welche gegen unsere Grundrechte verstößt. Dann gibt es nämlich Menschen, die dürfen schon etwas tun, wofür andere immer noch bestraft werden. Bußgeld ist auch eine Strafe. Deshalb müsste für die Dauer der Modellprojekte jedem Cannabiskonsumenten Straffreiheit gewährt werden.

Liebe Politiker, macht keine halben Sachen mit zwielichtien Voraussetzungen. Nehmt euer Herz in die Hand und legalisiet Cannabis, damit diese Ungerechtigkeit ein Ende hat.

Ein vernünftiger Grenzwert für Cannabis im Straßenverkehr muss her.

Cannabis für den Freizeitgebrauch gehört nicht in die Apotheke. In der Apotheke ist Cannabis viel zu teuer. So lässt sich der Schwarzmarkt nicht in die Knie zwingen. Jedem Konsumenten (oder Patienten) sollte der Anbau einer festen Anzahl von Pflanzen erlaubt werden, so dass er sich selbst versorgen kann. Nichts spricht dagegen, dass sich Vereine bilden, welche gemeinsam ihr benötigtes Cannabis anbauen. Wer nicht selbst anbauen möchte, oder eine Vereinsmitgliedschaft nicht wünschtr, der sollte in Fachgeschäften sein Cannabis erwerben können.

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AW: Modellprojekte = Verzögerungstaktik

von ratatosk am 11.11.2018 um 12:56 Uhr

Sehe den Ansatz sehr positiv. Der Eigenanbau birgt aber in der Masse extreme Gefahren für unbeteiligte, nicht jeder ist so sorgfältig, dies vor unbefugten zu schützen. Eine fachliche Begleitung ist sehr sinnvoll, da es ja auch multimorbide Patienten einnehmen sollen und eine Abschätzung des geneigten Freizeitkonsumenten ist sicher auch öfters mal sinnvoll. Das Preisargument ist der alte Fake auch vergangenen Jahrzehnten, da dieser hohe Preis für Cannabis durch kleine Anbaumengen und den horrenden bürokratischen Aufwand durch den Staat erzeugt wird und durch Wegfall dieser Blockaden sicher unter den Preis von gutem japanischen Grüntee fallen wird. Die Auswüchse in den USA , wie Säfte Kuchen und Lutscher zeigen, daß man die Sache schon mit etwas Vernunft angehen sollte..

In der Apotheke möge es nur medizinisches Cannabis geben!

von Andreas P. Schenkel am 06.11.2018 um 21:39 Uhr

So etwas sage ich sicherlich nicht oft: Ich stimme in dieser Frage komplett mit den Parteien "B90/Grüne" und "Linke" überein: Die Apotheke ist nicht der geeignete Ort zum Verkauf von Cannabis für Genusszwecke. Hier sollten spezielle Fachgeschäfte wie in den Niederlanden oder noch viel besser Cannabis-Clubs etabliert werden. In solchen Clubs wären die Clubräume der einzige Ort, an denm legal das Cannabis konsumiert werden könnte, zum Schutze der Jugend und zugelich der Konsumenten. Dort gäbe es auch genügend Gleichgesinnte, die eventuelle Probleme des Konsums oder gar schädliche Akut-Wirkungen erkennen könnten. Das wäre sicherlich besser als der Psychotrip alleine in der Wohnung, der zwar selten vorkommt, aber sicherlich sofortiger Hilfe bedarf.

Wenn dennoch das Genuss-Cannabis durch den Deutschen Bundestag zur apothekenüblichen Ware erklärt würde, dann gäbe es in dieser Frage keine realistische Beschränkung mehr. Dann stünden sofort auch den Apothekern das Feilbieten von Flauschedecken, Klangschalen, Räucherstäbchen, Bildern von süßen Tierbabys aller Arten (Seelisches Wohlbefinden!), Schwedenbitter-Eigenkreationen (traditionelles Volksheilmittel), Vermittlung von Gesundheitsreisen etc frei, in Analogie zur Apothekenüblichkeit des Genuss-Cannabis.

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