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Embryotox-Serie (1)
Rät Embryotox zum Schwangerschaftsabbruch?
DAZ.online stellt Embryotox, das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin, in einer kleinen Serie vor. Zu Besuch in Berlin hat DAZ.online Professor Christof Schaefer, dem Leiter von Embryotox, einige Fragen gestellt: Wer finanziert Embryotox und auf welchen Daten fußen die Empfehlungen von Embryotox überhaupt? Welche Arzneimittel sind in der Schwangerschaft am gefährlichsten? Und rät Embryotox im Fall der Fälle auch zu einem Schwangerschaftsabbruch?
Zu den schwierigsten Patienten in Apotheken zählen auch Schwangere. Schwierig deswegen, weil offiziell nur wenige Arzneimittel für Schwangere zugelassen sind. Zudem agieren schwangere Frauen von vornherein und verständlicherweise meist übervorsichtig und kritisch. Letzlich möchte auch der Apotheker meist ungern die Verantwortung für potenzielle Schädigungen des noch ungeborenen Kindes tragen. Eine Bredouille, denn die Schwangere hat Beschwerden und benötigt Hilfe. Was tun? Helfen könnte www.embryotox.de! Denn bei Fragen rund um eine möglichst sichere Arzneimitteltherapie in der Schwangerschaft ist Embryotox, Pharmakovigilanz - und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin in Berlin, national wie auch international, eine der kompetentesten Anlaufstellen.
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DAZ.online hat den Leiter des Institutes, Professor
Christof Schaefer, besucht und mit ihm gesprochen: Zu welchen
Arzneimitteln kommen die meisten Fragen, wer finanziert den kostenlosen Service
von Embryotox? Und sollte die Pharmaindustrie nicht selbst zu ihren
Arzneimitteln in der Schwangerschaft beraten? Schaefer
wünscht sich, dass der Fokus auf die Arzneimittelsicherheit in der
Schwangerschaft deutlich verstärkt wird – und, dass
die Hersteller freigenommen werden von der Datenerhebung zur
Arzneimitteltherapiesicherheit in der Schwangerschaft.
Wie aus zwei Personen das Embryotox von heute wurde
2018 ist für Embryotox ein Jahr zum Feiern, denn Embryotox ging vor nun mehr 30 Jahren an den Start. Damals übernahm Deutschland nicht gerade eine Pionierfunktion hinsichtlich der Arzneimitteltherapiesicherheit in der Schwangerschaft. Tatsächlich hatten bei der Gründung von Embryotox im Mai 1988 Länder wie Italien, die Niederlande, aber auch Spanien und Frankreich derartige Institutionen bereits etabliert. Nach Ansicht Schaefers ein damals längst überfälliger Schritt der Berliner Senatsgesundheitsverwaltung – den Initiatoren hinter Embryotox –, hier endlich nachzuziehen und auch in der Bundesrepublik eine Beratungsstelle zur sicheren Anwendung von Arzneimitteln in Schwangerschaft und Stillzeit zu gründen.
Ursprünglich war Embryotox als reiner Beratungspunkt geplant, sodass auch das Personal an jenem ersten Arbeitstag im Mai 1988 noch recht überschaubar war: Gerade einmal zwei Personen sollten sich der Pharmakovigilanz bei Schwangeren widmen. Professor Christof Schaefer ist einer dieser beiden „Urgesteine“ – so bezeichnet er sich selbst. Ihm fiel als Facharzt für Kinderheilkunde die Aufgabe zu, Embryotox Ende der 80er Jahre aufzubauen – was ihm offensichtlich mehr als geglückt ist. Heute, 30 Jahre später, arbeiten dort 30 Mitarbeiter, darunter auch zwei Apothekerinnen. Man berät nicht nur Fachkreise, sondern auch Laien kompetent zur Arzneimittelanwendung in der Schwangerschaft. Schaefer schaffte nicht nur den immensen Personalsprung im Laufe der letzten 30 Jahre.
Wer beraten will, muss auch forschen
Die ursprüngliche Idee einer ausschließlich embryonaltoxikologischen Beratungsstelle stellte sich rasch als zu kurz gedacht heraus: „Es war relativ schnell klar, dass wir auch die Forschung bei der Arzneimittelsicherheit in Schwangerschaft und Stillzeit voranbringen müssen“, meint Schaefer, denn mit der Verbreitung vorhandener Information füllt man nun einmal nicht die bestehenden Wissenslücken im Bereich der Arzneimitteltherapie bei Schwangeren. Und, dass zur sicheren Anwendung von Arzneimitteln in der Schwangerschaft die Datenlage nicht gerade üppig ist, weiß jeder, der bereits einmal eine schwangere Kundin in der Apotheke versorgt hat und versucht hat, aus dem Beipackzettel des gewünschten Arzneimittels hilfreiche Informationen für die Schwangere zu ziehen. Und so etablierte der Embryotox-Leiter neben der embryonaltoxikologischen Beratung einen Forschungsmittelpunkt.
Heute sind die Gelder für Beratung und Forschung strikt getrennt – allerdings lassen sich diese beiden Bereiche unter Embryotox-Real-Life-Bedingungen wohl dennoch nicht peinlichst genau entzahnen: „Wir können nur adäquat beraten, wenn wir gleichzeitig forschen“, erklärt der Embryotox-Leiter hierzu. Allerdings könne man auch nur forschen, wenn man neue Daten erhebe – und diese erhält Embryotox durch die Beratung von Schwangeren.
Ein Viertel aller Anfragen betreffen Psychopharmaka
Wie groß das Informationsbedürfnis seitens Schwangeren, Apothekern und Ärzten ist, zeigen die Zahlen: Täglich klicken sich bis zu 11.000 Besucher durch die Homepage und die Embryotox-Mitarbeiterinnen leisten 14.000 Beratungen jährlich, das sind bis zu 70 Anfragen pro Arbeitstag. Die Informationsbedürftigen sind zu etwa gleichen Teilen Laien und Fachkreise.
Ein Viertel aller Anfragen betreffen die Arzneimittelklasse der Psychopharmaka. In Deutschland werden vier bis fünf Prozent aller Schwangeren antidepressiv behandelt, in den USA sind es sogar elf Prozent. Auch wenn sich offenbar „die Angst hinter den Psychopharmaka versammelt“, wie Schaefer es formuliert, sind diese Medikamente nach Einschätzung des Experten mitnichten die gefährlichsten Arzneimittel in der Schwangerschaft.
Klassiker bei den embryonaltoxikologisch dramatischen Wirkstoffen seien vor allem Retinoide, die zur Aknetherapie verordnet werden, Antiepileptika wie Valproinsäure, Phenprocoumon, Methotrexat bei rheumatoider Arthritis oder Zytostatika.
Beobachtungsdaten – die Basis der Arbeit von Embryotox
Etwa 45 Prozent aller Schwangerschaften entstehen ungeplant, das bedeutet nicht automatisch ungewollt. Jedoch ist es kein Hexenwerk, auszurechnen, dass bei diesen versehentlichen Schwangerschaften auch Frauen dabei sind, die in Unkenntnis ihrer Schwangerschaft Arzneimittel einnahmen oder trotz Schwangerschaft tatsächlich auf bestimmte Arzneimittel nicht verzichten können – selbst wenn diese für Schwangere nicht zugelassen sind.
Erbitten also Schwangere oder deren behandelnde Ärzte eine individuelle embryonaltoxikologische Beratung bei Christof Schaefer und seinem Team, so freut sich Embryotox, wenn die Schwangere im Gegenzug zustimmt, dass Embryotox die Schwangerschaft nachverfolgen darf.
Skandinavische Länder haben es hier einfacher: Dort stehen ausführlich dokumentierte Versorgungsdatenbanken zur Verfügung, allerdings häufig mit weniger genauen Informationen als Embryotox sie erheben kann. Bis vor kurzem endete das Beobachtungsfenster von Embryotox vier bis sechs Wochen nach der Geburt des Kindes. Erst jüngst hat nun das BfArM den Auftrag erteilt, den Beobachtungszeitraum auf zwei Jahre zu erweitern.
Empfehlungen aufgrund von „reinen“ Beobachtungsdaten auszusprechen, ist kein Alleinstellungsmerkmal der deutschen embryonaltoxikologischen Institution. Beobachtungsdaten genießen bei der Arzneimitteltherapie von Schwangeren international den Status des etablierten Standards. Weil es schlicht keine besseren Optionen gibt. Wie wertet Embryotox diese Beobachtungsdaten aus?
Embryotox braucht die komplette Patientenanamnese der Schwangeren
Sobald die Experten von Embryotox 200 bis 300 Schwangerschaften unter einer bestimmten Medikation erfasst haben, vergleichen sie diese mit einer Gruppe nichtexponierter Schwangerer, um folgende Fragen zu beurteilen: Haben die arzneimittelexponierten Schwangeren ein höheres Risiko für Komplikationen, für Fehlbildungen oder Frühgeburten, und wenn ja: Wie hoch ist das Risiko? „Das ist international üblich, weil man bessere Daten schlichtweg nicht bekommt“, erklärt Schaefer. Die Methoden für derartig nicht ganz triviale Auswertungen von Schwangerschaftsverläufen werden in Kooperation mit anderen Instituten von Medizinstatistikerinnen bei Embryotox entwickelt und verfeinert.
Um qualitativ hochwertige Empfehlungen aussprechen zu können, interessiert und benötigt Embryotox die komplette Patientenanamnese der Schwangeren: Komedikation, Grunderkrankungen, Familienanamnese, BMI, Bildungsabschluss und Beruf – alles Faktoren, die per se das Risiko von Schwangerschaftskomplikationen erhöhen können. Diese exakte Datenerhebung ist keine Schikane, denn Schwangerschaftskomplikationen lassen sich nicht einfach linear-kausal auf eine Arzneimitteleinnahme zurückführen.
Wie Bildung und die Komplikationsrate bei Schwangerschaften zusammenhängen
Laut Schaefer ist eine sorgfältige Anamnese aus zwei Gründen wichtig: Erstens, um die Schwangere adäquat beraten zu können, und zweitens, um etwaige Störgrößen beim Schwangerschaftsausgang in ausreichendem Maße zu würdigen. So habe eine Frau ab einem bestimmten BMI ein erhöhtes Risiko für Schwangerschaftskomplikationen. Ebenso kann der Bildungsabschluss Indikator für bestimmte Ernährungsgewohnheiten, Nikotin- oder Alkoholabusus sein. Der Bildungsabschluss könne außerdem einen Hinweis darauf geben, mit welcher Sorgfalt die Schwangere ihre gynäkologische Versorgung wahrnimmt: „Wir sehen, dass Frauen mit einem geringen Bildungsabschluss sich gynäkologisch weniger engmaschig untersuchen lassen als Akademikerinnen“, meint Schaefer hierzu. Beziehe man diese Faktoren alle mit ein, haben laut Schaefer Frauen mit einem geringeren Bildungshintergrund eine höhere Komplikationsrate bei Schwangerschaften.
Rät Embryotox zum Schwangerschaftsabbruch?
Und was, wenn bei Embryotox beispielsweise eine Alkoholikerin Rat sucht? Ab wann wird ein Schwangerschaftsabbruch in Erwägung gezogen? „Wir raten nie offensiv, eine Schwangerschaft abzubrechen“, sagt Schaefer. Letztlich bleibe dies immer die Entscheidung der werdenden Mutter. Denn selbst eine Alkoholikerin ist noch lange nicht einfach entmündigt. „Unsere Aufgabe ist es, Informationen dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechend zur Verfügung zu stellen“, erklärt Schaefer die konsiliarische Funktion von Embryotox. Diese Informationen sollen dabei helfen, das Risiko individueller Schwangerschaftskomplikationen einzuschätzen.
Und wenn die Schwangere erwiesenermaßen teratogene Wirkstoffe eingenommen hat? Selbst dann hält sich Embryotox mit einer konkreten Empfehlung – Daumen hoch oder runter – zurück. Denn dies bedeute keinesfalls in jedem Einzelfall eine Schädigung des Kindes: Selbst wenn eine Fehlbildung im Pränatal-Ultraschall diagnostiziert wurde, ist dies rein rechtlich keine Indikation zum Schwangerschaftsabbruch.
Im zweiten Teil der Embryotox-Serie hat DAZ.online Prof. Schaefer die Frage gestellt, ob Arzneimittelsicherheit in der Schwangerschaft nicht eine Aufgabe der Pharmaindustrie sein sollte. Schaefer lehnt dies vehement ab. Seine Gründe können Sie morgen auf DAZ.online nachlesen.
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