Forschung zu Fluorchinolonen

Wie entstehen Ciprofloxacin-Nebenwirkungen?

Stuttgart - 11.10.2018, 10:00 Uhr

Ciprofloxacin greift nicht selektiv an der bakteriellen Topoisomerase 2 an. (s / Foto: imago)

Ciprofloxacin greift nicht selektiv an der bakteriellen Topoisomerase 2 an. (s / Foto: imago)


Ciprofloxacin kann verschiedenste Nebenwirkungen auslösen: Rupturen der Achillessehne, QT-Zeit-Verlängerungen am Herzen, auch das neurotoxische Potenzial der Fluorchinolone ist nicht neu. Was bislang aber unbekannt ist: Wie entstehen all diese unerwünschten Wirkungen der Flurochinolone auf molekularer Ebene? Sind mitochondriale Topoisomerasen der Schlüssel zu den unerwünschten Fluorchinolon-Wirkungen?

Dass Fluorchinolone keine ganz unkritische Antibiotikaklasse sind, wird nicht nur in Laienkreisen – dort mehr oder weniger fundiert, dafür umso vehementer – verbreitet. Auch die US-amerikanischen und europäischen Arzneimittelbehörden haben seit Jahren ein kritisches Auge auf Fluorchinolone.

Fluorchinolone restriktiver verordnen

Allerdings verteufeln FDA und EMA die teilweise lebensrettenden Antibiotika nicht – nur sinnvoll und restriktiver eingesetzt wollen sie Enoxacin, Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin und Ofloxacin sehen. Die FDA hatte bereits 2016 eine restriktivere Verordnung der Fluorchinolone gefordert, wenn es alternative Antibiosen gebe. In der vergangenen Woche hat nun auch der Pharmakovigilanzausschuss der EMA (PRAC) seine Empfehlungen ausgesprochen, bei banalen Infekten auf Fluorchinolone zu verzichten.

Nebenwirkungen der Fluorchinolone sind teils irreversibel

Viele unerwünschte Arzneimittelwirkungen von Ciprofloxacin, dem am häufigsten verordneten Fluorchinolon, sind bekannt. Nebenwirkungen unter einer Ciprofloxacin-Therapie beinhalten unter anderem Tendopathien und Achillessehnenrupturen, Gelenkentzündungen, Muskelschwäche, periphere Neuropathien und zentralnervöse Störungen. Im Zentralnervensystem kann sich dies durch Krampfanfälle oder psychotische Reaktionen äußern. Auch die Fachinformation zu Ciprofloxacin warnt davor: „Die Behandlung mit Ciprofloxacin sollte bei Patienten, die Neuropathiesymptome entwickeln, einschließlich Schmerz, Brennen, Kribbeln, Benommenheit und/oder Schwäche, abgebrochen werden, um der Entwicklung einer irreversiblen Schädigung vorzubeugen“, heißt es dort.

Nur, wie kommen diese Nebenwirkungen zustande? Wissenschaftler der University of Eastern Finland haben hierzu die Mitochondrien näher untersucht und sind auf spannende Ergebnisse gestoßen, die viele Nebenwirkungen der Fluorchinolone erklären könnten. Sie haben diese nun im Fachjournal „Nucleic Acids Research“ veröffentlicht.

Sind Mitochondrien der Schlüssel für Fluorchinolon-UAW?

Mitochondrien sind essenzielle Zellorganellen, die unter anderem für die ATP-Produktion und somit die Energieversorgung der Zellen verantwortlich sind, aber auch Zelldifferenzierung und Apoptose regulieren. Mitochondrien besitzen als semiautonome Organellen eine eigene genetische Information, die typischerweise als ringförmige und doppelsträngige DNA vorliegt. Ähnlich bakteriellen Plasmiden kann auch die mitochondriale DNA (mtDNA) unterschiedliche Konformationen annehmen – supercoiled oder linear mit offenem oder geschlossenem Ring. Diese unterschiedlichen Konformationen beeinflussen die Transkription der mtDNA und folglich die Proteinbiosynthese. Die Topologie der DNA wird von Topoisomerasen kontrolliert, unter anderem der Topoisomerasen 2α (Top2α) und Topoisomerase 2β (Top2β). Diese sind in der Lage, beide DNA-Stränge zu schneiden. Vor allem aber ähneln die mitochondrialen Topoisomerasen Top2α und Top2β den bakteriellen Topoisomerasen 2, den Gyrasen – und diese sind Angriffspunkt der Fluorchinolone.

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Ciprofloxacin beeinflusst bakterielle Gyrase nicht selektiv

Den Wissenschaftlern gelang es nun, zu zeigen, dass Ciprofloxacin nicht nur die bakterielle Gyrase, sondern auch die mitochondriale DNA in ihrer Replikation und Transkription beeinflusst und sich so auf Teilung und Differenzierung der Zelle auswirkt. Und so letztlich auch für unerwünschte Flurochinolon-Wirkungen verantwortlich zeichnet.

Fluorchinolon-Nebenwirkungen wie Tendopathien, Muskelschwäche oder neuropathische Symptome, werden immer wieder auf einen erhöhten oxidativen Stress zurückgeführt, wobei diese Prozesse auf molekularer Ebene bislang unklar geblieben sind. Dabei ist der mitochondriale Erklärungsansatz der Wissenschaftler plausibel: Eine veränderte Topologie der mtDNA, damit verbunden eine Reduktion der mtDNA-Kopien und deren Transkription, kann zu starken Veränderungen in der Elektronentransportkette, zu einer Dysfunktion in der Atmungskette und so zu erhöhtem oxidativen Stress führen.

Reagieren Neuronen empfindlicher auf Ciprofloxacin?

Diese Vermutung der mitochondrialen Beteiligung an Fluorchinolon-Nebenwirkungen stützen die Wissenschaftler auf eine weitere Beobachtung. Denn Ciprofloxacin soll unerwünscht in verschiedene physiologische Zelldifferenzierungs-Prozesse eingreifen: Spermatogenese, Knochenmineralisation und Entwicklung des Gehirns. Außerdem soll es zu Arrythmien führen und nephrotoxisch sein. Die Wissenschaftler erklären in ihrem Bericht, dass die einzelnen Nebenwirkungen eine Gemeinsamkeit haben – auch wenn die molekularen Mechanismen unklar seien: Mitochondrien spielten bei all diesen physiologischen Prozessen eine zentrale Rolle, so dass eine mitochondriale Beeinträchtigung durchaus als Auslöser für diese Nebenwirkungen möglich sei.

Top2β vor allem in neuronalen Geweben

Normalerweise werden nach einer einmaligen oralen Ciprofloxacingabe Plasmakonzentrationen von etwa 2 μg/ml erreicht, nach inravenöser Applikation liegen die gemessenen Plasmaspiegel bei 6 μg/ml. Allerdings gibt es laut den Wissenschaftlern Daten, die eine bis zu 20-fach höhere Ciprofloxacinkonzentration im Gewebe belegen. Bei ihren Untersuchungen fanden die Wissenschaftler, dass Ciprofloxacin ab einer Konzentration von 40 μg/ml die mitochondriale DNA beeinflusst. Eine antibiotische Konzentration, die bei Patienten mit einer veränderten Pharmakokinetik – bedingt durch Übergewicht, Alter, Nierenfunktionsstörung, gleichzeitige Gabe von Corticosteroiden – auch erreicht werden könne, so die Forscher. Das könnte erklären, warum gerade diese Personen am häufigsten unter Fluorchinolon-Nebenwirkungen leiden.

Zudem machten die Wissenschaftler eine weitere Beobachtung: Top2β kommt in Mitochondrien des Gehirns in weit höherer Konzentration als in anderen Körpergeweben vor. Das könnte ein Hinweis dafür sein, dass neuronale Zellen besonders auf die Topoisomeren-Regulation der mtDNA angewiesen sind, was sie umgekehrt auch empfindlicher auf eine Hemmung machen könnte.

Fazit der Wissenschaftler

„Unsere Ergebnisse identifizierten mtDNA als Schlüsselziel für Ciprofloxacin-induzierte Nebenwirkungen durch Hemmung von Top2", schreiben die Wissenschaftler. Da Fluorchinolon-Antibiotika weit verbreitet seien und gegen eine Reihe wichtiger bakterieller Krankheitserreger wirksam sind, sollten ihre Dosierung, ihre systemische Anreicherung und ihre Nebenwirkungen im mitochondrialen Kontext, sowie ihre klinische Anwendung mit großer Sorgfalt geprüft werden.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Was tun wenn Nebenwirkungen aufgetreten sind ?

von Melanie am 27.11.2019 um 18:33 Uhr

Ich leide seit 11 Monaten unter den Nebenwirkungen von Levofloxacin was mir im Januar wg Blasen Entzündung verordnet wurde. Sehnen Muskel und Gelenk Schmerzen plagen mich seit dem.
Ich habe unvorstellbare Schmerzen schlafe nachts nicht mehr wirklich und quäle mich Tag für Tag.
Was tun ????

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