Neuer IGES-Guide

Fünf-Ländervergleich: Wie Arzneimittel im EU-Ausland erstattet werden

Remagen - 17.07.2018, 12:00 Uhr

Wie funktioniert Arzneimittelerstattung innerhalb der EU? Das IGES hat sich dazu Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien angeschaut. (s / Foto: Imago)

Wie funktioniert Arzneimittelerstattung innerhalb der EU? Das IGES hat sich dazu Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien angeschaut. (s / Foto: Imago)


Die deutschen Regeln für die Preisbildung und Erstattung werden gerne mit denen in anderen großen EU-Mitgliedstaaten verglichen, zum Beispiel mit Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien. Da wird schon gerne mal voneinander abgeschaut und gelernt. Das IGES Institut hat aktuell einen neuen Fünf-Länder-Guide dazu herausgebracht. 

Der neue Guide des Forschungsinstituts IGES (Institut für Gesundheits- und Sozialforschung) bietet einen informativen Einblick in die Preisbildungs- und Erstattungssysteme für Arzneimittel in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien.

Zusammen machen die fünf Länder mehr als zwei Drittel des gesamten EU-Arzneimittelmarktes aus. Alle haben gesetzliche Krankenversicherungen beziehungsweise einen staatlichen Gesundheitsdienst. Für die 82,5 Millionen Deutschen ist das die GKV und für die etwa 67 Millionen Franzosen die „Assurance maladie”. Die 66 Millionen Briten werden von den „National Health Services“ (NHS) von England, Wales, Schottland und Nordirland versorgt. Die meisten der 61 Millionen Italiener sind in den „Servizio Sanitario Nazionale“ (SSN) eingeschlossen und die 46 Millionen Spanier in das „Sistema Nacional de Salud“ (SNS).

Ein gemeinsames Instrument, das viele Ländern benutzen, sind Referenzpreissysteme. Hierüber kann der Preis in einem Mitgliedstaat die Preise woanders erheblich mitbestimmen. Deswegen werden die Strategien der Pharmaindustrie für den Launch neuer Arzneimittel und deren Preisbildung in Europa immer mehr synchronisiert. 

Frankreich prüft Erstattung alle fünf Jahre

Wie in vielen anderen Ländern, werden in Frankreich nur die Preise für rezeptpflichtige Arzneimittel festgelegt, weil OTC-Arzneimittel ohnehin nicht erstattungsfähig sind. Der Umfang der Erstattung beziehungsweise der Zuzahlung der Patienten richtet sich nach dem medizinischen Nutzen (Service médical rendu, SMR). Außerdem wird mit einer ähnlichen Therapie verglichen und darüber der Zusatznutzen ermittelt (Amélioration du service médical rendu, ASMR).

Arzneimittel auf der Erstattungsliste werden alle fünf Jahre überprüft. Für den Großhandel und die Apotheken gibt es fixe Margen. Die degressive Spanne liegt für die Apotheken zwischen 26,1 und 6 Prozent. Hinzu kommt ein Fixum von 0,53 Euro pro Packung. 

Krebsfonds in Großbritannien

In Großbritannien hat das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) eine starke Stellung, wenn es darum geht, welche neuen Arzneimittel die Patienten im Rahmen des NHS bekommen können und was die Pharmahersteller dafür verlangen können. Das Preisbildungssystem für verschiedene Kategorien von Arzneimitteln ist sehr komplex. Im Jahr 2011 wurde ein Fonds für Krebsarzneimittel eingerichtet. Hierüber können Patienten Zugang zu onkologischen Arzneimitteln erhalten, die das NICE als nicht ausreichend kosteneffektiv erachtet hat.

Stringentes Verfahren in Italien

Im steuerfinanzierten italienischen Versicherungssystem gibt es drei Erstattungskategorien: Klasse A für essenzielle Arzneimittel und solche für schwere und chronische Krankheiten. Sie werden mit oder ohne Zuzahlung erstattet. Klasse H wird nur bei Einsatz im Krankenhaus bezahlt und Klasse C umfasst Medikamente von geringerer Bedeutung, etwa gegen leichte Gesundheitsstörungen und OTC-Arzneimittel. Sie werden in der Regel von der Versicherung nicht übernommen.

In Italien ist dieselbe Behörde (AIFA) für die Preisbildung und die Erstattung zuständig. Das sorgt für ein stringentes fünfstufiges Verfahren, das in dem neuen Guide im Detail beschrieben wird. Die Apotheken in Italien bekommen 30,35 Prozent des Verkaufspreises (ohne Umsatzsteuer) als Marge, bei Generika sind es 26,7 Prozent. 

Gestaffelte Apothekenmargen in Spanien

Ähnlich wie in Frankreich folgt auch in Spanien die Entscheidung über die Erstattung eines Arzneimittels direkt nach der Zulassung. Dabei wird unter anderem berücksichtigt, wie innovativ es ist, ob es für eine schwere Erkrankung verwendet wird, wie hoch der Bedarf ist, wie es um den therapeutischen und sozialen Wert bestellt ist und wie es sich auf die Arzneimittelausgaben auswirken wird. Die Hersteller in Spanien müssen bei ihren Anträgen auf Preisfestsetzung auch die Produktionskosten angeben.

Ein königlicher Erlass legt dort die degressiven Margen für die Apotheken fest. Bei einem Herstellerabgabepreis (HAP) von 91,63 Euro oder darunter stehen ihnen 27,9 Prozent zu. Danach gibt es fixe Beträge von 38,37 Euro (HAP bis 200 Euro), 43,37 Euro (HAP zwischen 200 und 500 Euro) und 48,37 Euro (HAP über 500 Euro). Je nach monatlichem Apothekenumsatz macht die Versicherung Abzüge bei der Erstattung geltend.

Nutzenbewertung soll europaweit harmonisiert werden

Für die Regeln zur Preisbildung und Erstattung von Arzneimitteln sind in der EU die Mitgliedstaaten zuständig. Die Systeme, die historisch gewachsen sind, unterscheiden sich voneinander unter anderem, weil auf die jeweiligen Sozialsysteme und die Finanzkraft der Bürger Rücksicht genommen werden muss. 

Die Europäische Kommission sieht die großen Preisunterschiede für Arzneimittel in der EU nicht gerne, aber zu einer kompletten Preiskonvergenz wird es wohl auch in Zukunft kaum kommen. Ein Ansatz, um bei der Beurteilung neuer Arzneimittel näher zusammen zu rücken, ist das europäische Netzwerk für das Health Technology Assessment (EUnetHTA), auf das in dem IGES-Guide ebenfalls eingegangen wird. Peu à peu diskutieren hier die zuständigen Behörden den Mitgliedstaaten der EU schon seit vielen Jahren mögliche gemeinsame Ansätze für die Nutzenbewertung und versuchen dabei, eigene Personal-Ressourcen und Ausgaben für Studien einzusparen. Für etlichen Wirbel hat in diesem Zusammenhang der Entwurf für eine neue EU-Verordnung gesorgt, wonach die Beurteilung des Nutzens neuer Arzneimittel und bestimmter Medizinprodukte über ein Verfahren ähnlich wie bei der Arzneimittelzulassung harmonisiert werden soll.

Nicht überall stößt das auf Begeisterung, denn die HTA-Institutionen der Länder – hierzulande ist das IQWiG dafür zuständig – fürchten um ihre Autonomie und ihren Beurteilungsspielraum.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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