Höchstrichterliches Urteil ohne Folgen

Suizid-Arzneimittel: Tagesspiegel klagt gegen BMG 

Berlin - 04.07.2018, 15:45 Uhr

Das BMG will nicht, dass das BfArM das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Suizid-Arzneimitteln umsetzt. (m / Foto: Imago)

Das BMG will nicht, dass das BfArM das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Suizid-Arzneimitteln umsetzt. (m / Foto: Imago)


Im März 2017 entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass unheilbar Kranken im extremen Einzelfall der Zugang zu einem tödlichen Betäubungsmittel nicht verwehrt werden darf. Dennoch hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte bislang keinen einzigen Antrag von Patienten beschieden, die ein solches Mittel erwerben wollen. Das Bundesgesundheitsministerium will, dass die Behörde diese Anträge generell versagt. Warum wehrt sich das Ministerium so hartnäckig gegen eine Umsetzung des Urteils? Ein Journalist des Tagesspiegels versucht dies im Klageweg herauszufinden.

Ein schwer und unheilbar kranker Patient hat das Recht zu entscheiden, wie und wann er sein Leben beendet. Im extremen Einzelfall kann das bedeuten, dass ihm der Staat – repräsentiert durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) – nicht den Zugang zu einem tödlichen Betäubungsmittel verwehren darf. Das hat das Bundesverwaltungsgericht im März vergangenen Jahres entschieden.

Mittlerweile sind beim BfArM 108 Anträge Schwerkranker auf Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung eingegangen. Doch beschieden hat die Behörde keinen von ihnen. Das BfArM zögerte und berief sich darauf, dass die Verfassungsmäßigkeit des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht endgültig geklärt ist. Eigentlich sind höchstrichterliche Urteile durchaus bindend – doch das BfArM entschied, den Verfassungsrechtler und ehemaligen Bundesverfassungsrichter Professor Udo Di Fabio zu Rate zu ziehen. Im Juni 2017 bekam er den Auftrag, ein Rechtsgutachten zu erstellen, das Aufschluss über die verfassungsrechtlichen Auswirkungen des Urteils und die Anforderungen an das künftige Verwaltungshandeln im BfArM geben sollte. Im Januar 2018 wurde es veröffentlicht. Di Fabio kommt darin zu dem Ergebnis, dass das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts „verfassungsrechtlich nicht haltbar“ sei.

Seitdem passierte nicht viel. Das BfArM beschied weiterhin keine Anträge von Patienten, die um die Erlaubnis baten, eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital zu erwerben. Post vom BfArM bekamen sie dennoch. Sie wurden gebeten, für die Antragsbearbeitung erforderliche Unterlagen vorzulegen. Zu prognostizieren, wann eine individuelle Entscheidung getroffen werden kann, sah sich die Behörde nicht in der Lage. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hielt sich in dieser Zeit mit klaren Ansagen in Richtung BfArM zurück – auch wenn der damalige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) bereits deutlich machte, dass er das Leipziger Urteil nicht umgesetzt wissen will: „Eine staatliche Behörde darf niemals Helfershelfer einer Selbsttötung werden“, erklärte er seinerzeit.

Im Mai dieses Jahres hakte die FDP-Bundestagsfraktion mit einer Kleinen Anfrage nach. Sie wollte unter anderem wissen, wie die Regierung mit dem Urteil grundsätzlich umgehen wolle. Ob sie etwa einen sogenannten Nichtanwendungserlass plane, der das Urteil vorerst aushebeln könnte. Diesen Vorschlag hatte Di Fabio in seinem Gutachten eingebracht. Die Parlamentarische Staatssekretärin des BMG, Sabine Weiss, antwortete der FDP mit lediglich einem Satz: „Die Beratungen der Bundesregierung hierüber unter Berücksichtigung des Rechtsgutachtens von Herrn Professor Dr. Di Fabio sind noch nicht abgeschlossen“.

Bundesgesundheitsministerium muss sich erklären

Mittlerweile ist das Ministerium einen Schritt weiter. Staatssekretär Lutz Stroppe schrieb Ende Juni an BfArM-Präsident Karl Broich und nahm darin Bezug auf die dem BfArM vorliegenden Anträge. „Nach intensiver Beratung im Bundesministerium für Gesundheit möchten wir Sie hiermit bitten, solche Anträge zu versagen“, heißt es in dem Brief. Die Ergebnisse des Di Fabio-Gutachtens entsprächen der Einschätzung des BMG, so Stroppe. Und weiter: „Nach unserer Überzeugung [darf] durch eine deutsche Verwaltungsbehörde auf Bundesebene keine Entscheidung dahingehend getroffen werden, die Tötung eines Menschen durch Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb des konkreten Suizidmittels zuzulassen und damit aktiv zu unterstützen.“ Das BfArM äußert sich bislang nicht dazu, wie es nach diesem Brief mit den bereits vorliegenden und den noch eigehenden Anträgen umgehen wird.

Rechtliche oder politische Motive?

Man kann das höchstrichterliche Urteil sicherlich kritisieren, ethisch wie auch politisch. Tatsache ist, dass es in der Welt ist und damit – streng rechtlich gesehen – beachtet werden muss. Und so ist der praktische Umgang mit dem Urteil nicht jedem verständlich. Auch nicht dem Tagesspiegel-Journalisten und Juristen Jost Müller-Neuhof. Er wollte genauer wissen, was hinter der „fortgesetzten Weigerung“ des BMG steckt, das Sterbehilfe-Urteil umzusetzen. Dazu hat er presserechtliche Auskunftsansprüche gegen das BMG vor dem Verwaltungsgericht Köln geltend gemacht. Einen Großteil der Fragen zu den Hintergründen seiner Pressearbeit hat das Ministerium mittlerweile beantwortet, so dass der Rechtsstreit in diesen Punkten erledigt ist. Doch einige Informationen zu Leitungsvermerken und behördeninternen Mailwechseln, die nach dem Urteil verfasst wurden, soll das Ministerium nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts noch liefern. Müller-Neuhof möchte nachvollziehen können, wie es zu der Haltung an der BMG-Spitze des Ministeriums kam und ob dieser – neben rechtlichen – vorrangig politische Motive zugrunde liegen. Er geht davon aus, dass das BMG frühzeitig begonnen hat, das Urteil zu umgehen. Mit Di Fabio habe man sich einen prominenten Verfassungsrechtler für das Gutachten ausgesucht, der zugleich bekennender Katholik und Sterbehilfe-Gegner ist. Das Ergebnis des Gutachtens war damit für das BMG wohl kaum überraschend. Ob das BMG nun weitere Auskünfte erteilt, bleibt abzuwarten. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist noch nicht rechtskräftig. Minister Jens Spahn (CDU) kann Beschwerde einlegen.

Lauterbach: Sauber wäre ein neues Gesetz

Es stellt sich die Frage, wie die Politik nun weiter vorgeht. Der SPD-Gesundheitspolitiker twitterte nach Stroppes Brief an das BfArM: „Gesundheitsminister Spahn fordert Bundesbehörde BfArM auf, das geltende Recht zu missachten. Grundlage ist das Gutachten eines Richters in Rente. Wenn das in Kürze alle Ministerien tun, haben wir keinen Rechtsstaat mehr. Sauber wäre jetzt ein neues Gesetz“. Genaueres war aus seinem Büro allerdings noch nicht zu erfahren – die Gespräche laufen, heißt es. Lauterbach gehört zu den Politikern, die das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts für richtig halten.

Eine Nachfrage von DAZ.online im BMG, ob es eine gesetzliche Klarstellung plant, blieb bislang unbeantwortet.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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