Katastrophenpharmazie

Apotheker ohne Grenzen: Was Einsatzkräfte wissen müssen

Berlin - 19.04.2018, 09:00 Uhr

Apothekerin Dr. Carina Vetye erklärte auf der Schulung am vergangenen Samstag, wie man im Katastropheneinsatz mit dem IEHK-Notfallsortiment der WHO umgeht. (Foto: Apotheker ohne Grenzen) Fotostrecke

Apothekerin Dr. Carina Vetye erklärte auf der Schulung am vergangenen Samstag, wie man im Katastropheneinsatz mit dem IEHK-Notfallsortiment der WHO umgeht. (Foto: Apotheker ohne Grenzen)


IEHK: 60 Medikamente für den Ernstfall

Ein weiterer Schulungsbeitrag handelte von dem Interagency Emergency Health Kit (IEHK), dessen Anwendung die Apothekerin Dr. Carina Vetye vorstellte. Das IEHK ist ein Notfallsortiment aus 60 Arzneimitteln sowie Infusionslösungen und Medizinprodukte, das die WHO für die Katastrophenpharmazie entwickelt hat und auf die Grundversorgung von 10.000 Menschen über rund drei Monate ausgelegt ist.

Im Notfall ist jede Minute kostbar und die Apotheker vor Ort müssen schnell anhand einer ärztlichen Diagnose das passende Medikament auswählen. Apothekerin Dr. Carina Vetye übte mit den Seminarteilnehmern anhand von Fallbeispielen, mit dem IEHK umzugehen. Dazu hat Vetye ein Handbuch verfasst, in dem den wichtigsten Indikationen die entsprechenden Arzneimittel zugeordnet sind.

Die Auswahl des IEHK ist allerdings begrenzt. Häufig ist nicht der Wirkstoff vorhanden, den man aus dem eigenen Arbeitsalltag kennt. Die Einsatzkräfte suchen dann nach Alternativen. „Das IEHK enthält kein abschwellendes Nasenspray, auch keine Kochsalzlösung, dafür eine Ringer-Lösung. Damit kann auch eine verstopfte Kleinkindnase freigespült werden“, führte Vetye als Beispiel an.

Mobiles Krankenhaus in 72 Stunden

Wenn in einem Katastrophengebiet kein Krankenhaus in der Nähe ist oder zerstört wurde, kann eine mobile Zeltklinik kurzfristig die medizinische Versorgung der Betroffenen bündeln. Apotheker Jochen Wenzel berichtete, wie ein temporäres Feldkrankenhaus innerhalb von 72 Stunden seinen Betrieb aufnehmen kann.

Dazu beschrieb der Pharmazeut das Baukastensystem der Partnerorganisation IMC, das aus zwölf Containern besteht und ein Gesamtgewicht von etwa 15 Tonnen umfasst. Das stabile Kistenmaterial dient nach dem Auspacken als Krankenhausmobiliar. „Jedes überflüssige Kilogramm bedeutet zusätzliche sieben amerikanische Dollar Transportkosten, mit denen Sie noch keinem Patienten geholfen haben“, erklärte Wenzel.

Eigenes Apothekenzelt

Die Helfer müssen den Standort ihres Feldkrankenhauses sorgfältig auswählen. Die Standfläche muss groß genug sein. Der Lageplatz sollte sich nicht in einer Talsohle befinden, falls eine Überschwemmung droht. Besonders wichtig ist eine funktionierende Wasseraufbereitungsanlage. „Für die Ausnahmesituation bei einem Choleraausbruch benötigen Sie zwischen 30 und 60 Liter am Tag, um einen Cholerapatienten zu versorgen“, erklärte Wenzel.

Ein mobiles Feldkrankenhaus besteht aus mehreren, getrennten Zelten für die Durchführung von Operationen, stationäre Behandlung, Versorgung ambulanter Patienten sowie für die Feldapotheke. Größere mobile Kliniken können bis zu 250 Patienten am Tag versorgen.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Katastrophenpharmazie brilliant zusammengefasst

von M. Arlt am 19.04.2018 um 12:14 Uhr

Als ich seinerzeit an einer Schulung der Bundesregierung für Apotheker im Katastropheneinsatz teilnahm, wurde mir erstmalig deutlich vor Augen geführt an welchen "Kleinigkeiten" gut gemeinte Hilfe scheitern kann und an welche persönlichen Grenzen vor Ort tätige Kolleginnen und Kollegen stoßen. Der Artikel arbeitet diese Diametralität in einer bemerkenswerten Qualität auf und ermutigt hoffentlich viele Realistinnen und Realisten sich im Ausland wie auch Inland zu beteiligen.

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