Dengue-Impfung / WHO

Warum Sanofi vom eigenen Impfstoff abrät

Stuttgart - 06.12.2017, 11:45 Uhr

Im Kampf
gegen Dengue-Ausbrüche „räuchern“ Schädlingsbekämpfer
in schweren Fällen die Überträger-Mücken des Dengue-Virus mit Insektiziden aus. (Foto: kiatipol / stock.adobe.com)        

Im Kampf gegen Dengue-Ausbrüche „räuchern“ Schädlingsbekämpfer in schweren Fällen die Überträger-Mücken des Dengue-Virus mit Insektiziden aus. (Foto: kiatipol / stock.adobe.com)        


Auf den Philippinen wurde vergangenen Freitag das landesweite Dengue-Impfprogramm für rund 700.000 Kinder abgebrochen. Wer sich noch nie mit Dengue infiziert hat, soll sich laut einer Pressemitteilung des Impfstoffherstellers Sanofi nicht mit Dengvaxia™ impfen lassen. Eine ungewöhnliche Empfehlung für den derzeit einzigen Dengue-Impfstoff auf dem Markt – zumal er doch wirksam sein soll. Aber: Eine erworbene Immunität soll nicht vor weiteren Dengue-Infektionen schützen, sondern sie sogar in ihrer Ausprägung verstärken.

Für Endemieregionen, in denen 70 bis 90 Prozent der Bevölkerung schon einmal mit dem Denguevirus infiziert waren, ist Dengvaxia™ ein Hoffnungsträger im Kampf gegen Dengue. Laut Pressemeldung (29. November 2017) der Firma Sanofi konnten mit der Impfung dort 93 Prozent der schweren Dengue-Infektionen und 80 Prozent der Hospitalisierungen vermieden werden. Im Gegensatz dazu kam es in Niedrig-Endemie-Ländern jedoch zu einem Anstieg von schweren Dengue-Infektionen durch den Impfstoff. Als Reaktion darauf lässt Sanofi jetzt eine Warnung in die Fachinformation von Dengvaxia™ neu aufnehmen: Die Impfung solle nicht mehr empfohlen werden, wenn sich Patienten zuvor nicht bereits mit dem Dengue-Virus infiziert haben.

Anlässlich der Pressemitteilung von Sanofi, hat auch die WHO ihre Informationen zu Dengvaxia™ aktualisiert.

Was schon bei der Zulassung bekannt war

Dengvaxia™ wurde in zwei klinischen Phase-III-Studien (in Asien und Lateinamerika) geprüft. Insgesamt nahmen daran über 30.000 Probanden im Alter zwischen zwei und 16 Jahren teil. Schon damals variierte die Effekivität der Impfung nach Serotyp, Alter der Probanden und danach, ob die Probanden vor der Impfung bereits mit dem Virus in Kontakt gekommen waren. 
Im Jahr eins und zwei nach der ersten Impfdosis, konnte ein effektiver Schutz gegen Hospitalisierung durch Dengue und gegen eine schwere Ausprägung von Dengue gezeigt werden. Jedoch zeigte sich dann im Jahr drei nach der Impfung in manchen Subgruppen ein vereinzelter Anstieg in der Hospitalisierungsrate und in der Anzahl schwerer Dengue-Fälle. Damals konnte nicht geklärt werden, ob das Alter oder vorheriger Virus-Kontakt dem Anstieg ursächlich zugrunde liegen; auch weil beide Faktoren miteinander zusammenhängen. 

Dengvaxia™

ist ein rekombinanter tetravalenter Lebendimpfstoff gegen die vier Serotypen des Dengue-Virus und der erste zugelassene Dengue-Impfstoff überhaupt.

Er wird in drei Dosen nach null, sechs und zwölf Monaten verabreicht. Mittlerweile wurde Dengvaxia™ von 19 Überwachungsbehörden für den Einsatz in endemischen Gebieten zugelassen. In den meisten davon ist der Impfstoff zwischen neun und 45 Jahren indiziert.

Sowohl auf den Philippinen, als auch in Brasilien wurde er im Rahmen zweier subnationaler Programme großflächig eingesetzt. 

Ab einem Alter von neun Jahren, zeigte sich in den ersten 25 Monaten der Phase-III-Studien eine Reduktion schwerer Denguefälle um 93 Prozent während die Hospitalisierungsraten um 81 Prozent gesenkt werden konnten. In der Altersgruppe zwischen zwei bis fünf Jahren war die Hospitalisierungsrate hingegen erhöht. Dementsprechend wurde der Impfstoff ab neun Jahren, für Gebiete in denen Dengue endemisch ist, zugelassen. 

Risiko zeichnete sich bereits 2016 ab

Im Juli 2016 gab die WHO ein Positionspapier zu den damals bekannten Daten bezüglich der Dengue-Impfung heraus, und empfahl die Dengue-Impfung für hochendemische Gebiete – jedoch nur bedingt. 
Man erkannte damals ein theoretisch erhöhtes Dengue-Risiko bei geimpften (zuvor) seronegativen Patienten, sodass auf diesem Gebiet weitere Forschung mit hoher Priorität gefordert wurde. Deshalb verlangte die WHO von Sanofi weitere Daten zu Effektivität und Sicherheit bei seronegativen Probanden. 

Was Sanofi unternahm

Da im Rahmen der Phase-III-Studien, nicht von allen Patienten Blutproben vor der ersten Impfung entnommen worden waren, musste Sanofi weitere Untersuchungen einleiten, um den Serostatus zum Zeitpunkt vor der ersten Impfung zu ermitteln. Einen Monat nach der dritten und letzten Impfung waren jedoch allen Probanden Blutproben entnommen worden. Diese Proben konnten auf Antikörper gegen das Dengue-Virus Nicht-Strukturprotein 1 hin analysiert werden. Anhand dessen konnte zwischen durch natürliche Exposition mit dem Dengue-Virus erworbene Immunität und der durch Impfung erworbenen Immunität unterschieden werden. 

Der schwere Verlauf der Dengue-Zweitinfektion 

Eine Erstinfektion mit dem Dengue-Virus verläuft oft unkompliziert. Bei einer Zweitinfektion kann es zum Dengue hämorrhagischen Fieber (DHF) und zum Dengue-Schock-Syndrom (DSS) kommen. Wenn eine Dengue-Infektion mit einem anderen Serotyp bereits durchlaufen wurde, oder wenn Kinder restliche maternale Antikörper besitzen, wird die Ausbildung des DHF und des DSS begünstigt. Denn dann liegen zwar bindende Antikörper vor, die jedoch nicht ausreichend neutralisierend wirken (enhancing antibodies).

Das sogenannte "Antibody enhancement" wird durch precursor membrane (prM) Antikörper gefördert: Sie sind kreuzreaktiv zwischen den vier Serotypen, aber nicht neutralisierend. 

Ab circa zwölf Jahren, treten kaum noch Komplikationen auf. Es wird vermutet, dass dann in Endemiegebieten, eine ausreichende Immunität gegen alle vier Serotypen erworben wurde.

Möglich wäre also, dass die "enhancing antibodies" auch bei einer Impfung gebildet werden.

Mithilfe dieses Tests hat Sanofi die Daten neu ausgewertet – die vorläufigen Ergebnisse zeigen: Die geimpften Probanden hatten zwar insgesamt ein reduziertes Risiko, an einer schweren Dengue-Infektion zu erkranken und zeigten geringere Hospitalisierungsraten; jedoch galt für die Untergruppe derer, die vor der Impfung nicht mit dem Virus in Kontakt gekommen waren, das Gegenteil.
Unabhängig vom Alter zeigte diese Untergruppe im Vergleich zu nicht geimpften Probanden ein höheres Risiko für schwerer Dengue-Verläufe und Krankenhausaufenthalte. Dieser Effekt hielt – nach einer initialen protektiven Periode – über den Beobachtungszeitraum von bis zu 66 Monaten nach erster Impfung an. 

Das Global Advisory Committee on Vaccine Safety der WHO wird die Daten nun erneut prüfen und anschließend eine entsprechende Empfehlung zur Dengvaxia™-Impfung herausgeben.

Justizministerium ermittelt

Verkauf, Marketing und Vertrieb des Impfstoffs wurden auf den Philippinen mittlerweile ausgesetzt. In Brasilien ist Dengvaxia™ weiterhin erhältlich. Am gestrigen Dienstag titelte das Handelsblatt mit „Sanofis Dengue-Desaster“.
Im betreffenden Artikel offenbart sich eine weitere Dimension des Falls: Von „Wut auf den Hersteller Sanofi“ ist die Rede, weil auf den Philippinen im großen Stil Kinder geimpft wurden. Die philippinische Senatorin Risa Hontiveros soll von Sanofi bereits Entschädigungen für betroffene Familien gefordert haben.

Zudem schwelt der Verdacht, dass philippinische Beamte das Impfprogramm vorschnell eingeführt haben könnten. Die frühere Staatssekretärin im Gesundheitsministerium, Susan Mercado, soll es als „die größte öffentlich finanzierte Studie, die als Gesundheitsprogramm getarnt wurde“, bezeichnet haben. 

Jetzt sollen Ermittler klären, wann und ob Sanofi vor möglichen Gefahren gewarnt hat und wie die Beamten im Gesundheitsministerium reagierten. Immerhin habe die WHO bereits im Sommer 2016 vor der Gefahr gewarnt. 

Währenddessen soll sich die WHO philippinischen Medienberichten zufolge nochmals ausdrücklich von der Entscheidung, Dengvaxia™ in einer großflächigen Kampagne anzuwenden, distanziert haben.   



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Todesfälle auf den Philippinen

von Regina G. am 19.10.2018 um 15:25 Uhr

Es ist traurig zu lesen. Noch trauriger ist es, dass meine Nichte und mein Neffe geimpft wurden... Nach Angaben meiner phillippinischen Verwandtschaft wurde die Impfung in der Schule, verpflichtend für alle Schüler durchgeführt.

Nach einer Dengueinfektion schwebt nun mein sechsjähriger Neffe in Lebensgefahr und meine zehnjährige Nichte hat die letzte Nacht nicht überlebt. Möge sie in Frieden ruhen...

Die Zahl der Todesfälle von Schülern, die mit dem Denguevirus infiziert wurden sei auf den Philippinen im letzten Jahr enorm gestiegen (geimpfte Kinder!)

Wir trauern um die kleine Maeka und beten für Caylebs Genesung.

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