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Angeblich erhalten die Apotheker 1,1 Milliarden Euro zu viel. Was würde passieren, wenn das Apothekenhonorar in dieser Höhe gekürzt würde? Und wie kann ein Gutachten überhaupt zu solchen Zahlen kommen? Darüber hat Dr. Thomas Müller-Bohn in einem Kommentar nachgedacht.
Was über das Gutachten zur Apothekenhonorierung für das Bundeswirtschaftsministerium bekannt ist, wissen wir aus der „Bild“-Zeitung. Die Darstellung ist stark zugespitzt, aber manchmal werden Probleme gerade dadurch deutlich. Das trifft hier sogar in doppelter Weise zu. Denn erstens ist die Kernaussage für die Apotheker existenziell und zweitens ist schon hinter den wenigen Zeilen in der „Bild“ zu erahnen, wo die größten Fehleinschätzungen des Gutachtens liegen könnten.
Was wären die Folgen?
Zum ersten Aspekt: Wenn die Apothekenhonorare sinken, lässt sich aus der bisherigen Verteilung der Umsätze und Erträge abschätzen, wie viele Apotheken mittelfristig schließen müssten. Doch wenn die Apothekenhonorare um 1,1 Milliarden Euro gekürzt würden, wäre eine solche Rechnung nur Theorie. Denn die Arbeit der Apotheken könnte dann nicht mehr ablaufen wie bisher. Die entscheidende Konsequenz wäre, dass die Abgabe eines Rx-Arzneimittels im Normalfall keinen Ertrag mehr bringt. Der Apothekenbetrieb würde sich nur noch rechnen, wenn günstige Sonderfaktoren hinzukommen. Eine auskömmlich honorierte Spezialversorgung, eine straff organisierte Heimversorgung mit überschaubarem Beratungsaufwand, viele Privatpatienten und zahlungskräftige OTC-Kunden, eine breit aufgestellte Freiwahl mit großen Umsätzen hochwertiger Kosmetik oder eine ländliche Alleinlage mit kurzen Öffnungszeiten und minimaler Miete könnten eine Apotheke so noch tragen. Eine flächendeckende Versorgung wäre das nicht mehr. In den verbleibenden Apotheken könnte ein „Dienst nach Vorschrift“ organisiert werden, mit dem die „Arzneimittelempfänger“ mit GKV-Rezepten kostengünstig „abgefertigt“ werden.
Wie können solche Zahlen entstehen?
Zum zweiten Aspekt oder: Wie übersieht man 1,1 Milliarden Euro? Angeblich ist der Festzuschlag viel zu hoch für die geleistete Arbeit, zitiert die „Bild“. Das lässt vermuten, dass die Gutachter die Arbeitszeit für die Abgabe einer Packung und für die damit zusammenhängende Logistik im Backoffice ermittelt haben. Hoffentlich haben sie auch den anteiligen Aufwand für die Lösung diverser Probleme wegen Rabattverträgen, Lieferengpässen oder Irrtümern des Arztes berücksichtigt. Doch die Formulierung lässt befürchten, dass der entscheidende nächste Gedankengang fehlt. Der Festzuschlag soll nicht nur die Abgabe einer Packung honorieren, sondern den Versorgungsauftrag insgesamt. Dafür gibt es einen sehr einfachen Grund: Die Arzneimittelpreisverordnung enthält keine andere Position, um den Versorgungsauftrag zu honorieren. Das geht nur über den Festzuschlag. Die Versorgung beruht auf einer Mischkalkulation und das war schon immer so. Vor 2004 diente der degressive prozentuale Aufschlag auf die Einkaufspreise als Honorar für die Apothekenleistung insgesamt. Dieser wurde 2004 überwiegend in einen Festzuschlag umgewandelt. Damit hat sich die Berechnungsweise geändert, aber nicht der Zweck. Der Festzuschlag muss den Apothekenbetrieb insgesamt finanzieren. Dazu gehören die kompletten Fixkosten für Räume, Möbel, EDV und andere Geräte, Energie, das Botenfahrzeug, Versicherungen, der Arbeitsaufwand für Qualitätssicherung, Qualitätsmanagement und Arbeitsschutz sowie diverse Leistungen, die über die Abgabe von Arzneimitteln hinausgehen, also Erläuterungen zur Gesamtmedikation, Beratungen ohne Arzneimittelabgabe, Gespräche aus sozialen Gründen, Botendienste, der Ausgleich für die nicht kostendeckend honorierten Leistungen und vieles andere. Es muss jetzt bezweifelt werden, ob das wirklich alles in das Gutachten eingeflossen ist.
Andere Vergütungslogik
Dass die Gutachter die Vergütungslogik anders sehen, als dies bisher Konsens war, lässt schon der kurze Text in der „Bild“ erahnen. Demnach erhalten die Apotheker für den Notdienst zu wenig. Doch das war immer bekannt. Der Notdienst ist eine Gemeinwohlpflicht, die über eine Mischkalkulation finanziert wird. Der Notdienstfonds soll nur dafür sorgen, dass diese Mischkalkulation nicht überstrapaziert wird und Apotheken mit besonders vielen Notdiensten nicht über alle Maßen belastet werden. Entsprechendes gilt für die Rezeptur. Wenn die Studie für alle besonderen Leistungen kostendeckende und hoffentlich auch gewinnbringende Honorare vorsieht, könnte der Festzuschlag zwar sinken. Doch dann müsste es spezielle Honorare für Rückfragen beim Arzt, das Management von Lieferengpässen, Beratungen bei Rabattverträgen, den Botendienst und ganz vieles anderes geben. Falls die Studie jemals veröffentlicht werden sollte, wird mein erster Blick der Frage gelten, ob alle diese Leistungen wirklich angemessen erfasst wurden.
4 Kommentare
1,1Milliarden
von Dr. Arnulf Diesel am 05.12.2017 um 18:44 Uhr
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Maximaler Widerstand ...
von Christian Timme am 03.12.2017 um 10:53 Uhr
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Na klar, ceterum censeo .......
von Wolfgang Müller am 30.11.2017 um 19:03 Uhr
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Apotheker als honorierter Hilfsarzt?
von Andreas Grünebaum am 30.11.2017 um 18:24 Uhr
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