Entlassung aus der Verschreibungspflicht

Wie funktioniert ein OTC-Switch?

Stuttgart - 19.09.2017, 07:00 Uhr

Wie kommt es dazu, dass ein Arzneimittel ohne Rezept in der Apotheke zu haben ist? (Foto: Chris Titze Imaging  / stock-adobe)                                    

Wie kommt es dazu, dass ein Arzneimittel ohne Rezept in der Apotheke zu haben ist? (Foto: Chris Titze Imaging  / stock-adobe)                                    


Racecadotril, Mometason-Nasenspray und Levonorgestrel zur Notfallkontrazeption – das sind einige der Arzneimittel, die in den vergangenen Jahren „geswitched“, also aus der Verschreibungspflicht entlassen wurden. Aber welche Schritte stecken eigentlich hinter einem OTC-Switch? 

Mehrere Akteure sind am Switch-Verfahren beteiligt: der Arzneimittel-Hersteller, die zuständige Bundesoberbehörde (in den überwiegenden Fällen also das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht, das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und der Bundesrat mit seinem Gesundheitsausschuss.

Angestoßen wird das Verfahren in der Regel vom Hersteller, der einen Antrag auf Entlassung eines Arzneimittels aus der Verschreibungspflicht stellt. Im nächsten Schritt prüft die zuständige Bundesoberbehörde den Antrag auf Vollständigkeit und Schlüssigkeit. Ist dies gegeben, landet der Antrag auf der Tagesordnung der nächsten Sitzung des Sachverständigenausschusses. Dieser ist beim BfArM angesiedelt und trifft sich normalerweise zweimal im Jahr – meist im Januar und im Juni oder Juli. Der Ausschuss bewertet den Antrag auf Basis der vorliegenden Unterlagen – dazu gehört neben den Daten unter anderem einer Stellungnahme des BfArM – und stimmt darüber ab, ob seitens des Ausschusses für den jeweiligen Wirkstoff oder die Wirkstoffkombination eine Entlassung aus der Verschreibungspflicht empfohlen wird oder nicht. Diese Empfehlung wird an das BMG weitergegeben. 

Bindend ist diese Empfehlung nicht. So kann das BMG sie umsetzen, was in vielen Fällen passiert. Aber sie kann auch modifiziert oder abgelehnt werden. Letzteres war beispielsweise bei der Levonorgestrel-haltigen „Pille danach“ der Fall. So hatte sich das BMG noch Anfang 2014 klar gegen eine Entlassung aus der Rezeptpflicht ausgesprochen. Das passierte allerdings nicht aus medizinischen Gründen, sondern aus grundsätzlichen Überlegungen heraus. Eine weitere Empfehlung, die das BMG nicht umsetzte, war der Switch von Calcipotriol. Hier war der Einspruch der Fachgesellschaft ausschlaggebend. 

BMG und Bundesrat müssen zustimmen

Stimmt das BMG zu, wird ein Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) dem Bundesrat zur Zustimmung vorgelegt. An dieser Hürde war der erste Vorstoß, die „Pille danach“ aus der Rezeptpflicht zu entlassen, gescheitert – im Jahr 2004. Denn der Sachverständigenausschuss hatte sich bereits 2003 für einen Switch ausgesprochen. Bis auf diese Ausnahme war die Zustimmung des Bundesrates in der Vergangenheit eher Formsache; inhaltliche Änderungen waren äußerst selten. Das hat sich in den letzten Jahren allerdings geändert. Die Ländervertretung mischt durchaus mit und schlägt beispielsweise inhaltliche Änderungen vor. Das Ende des Verfahrens stellt dann die Publikation im Bundesgesetzblatt dar. Wenn nichts anderes festgelegt wird, tritt die Änderung der AMVV am Tag nach der Veröffentlichung in Kraft. 

Umfrage zum Thema OTC-Switch

Wie denken Sie darüber? Sind OTC-Switches für die Apotheker eine Chance oder einfach nur Mehraufwand? Und welche weiteren Switches könnten Sie sich vorstellen? Ein Antibiotikum gegen Blasenentzündung, antientzündliche Augentropfen oder gar Sildenafil?

Nehmen Sie an unserer Umfrage teil, die wir im Auftrag der Hochschule Kaiserslautern und des BAH durchführen.

Hier geht es zur Umfrage (DocCheck-Login erforderlich).

Wie lange dauert ein Switch?

Im besten Fall kann man einen Switch in etwa einem halben Jahr durchziehen – von der Antragstellung bis zur Publikation im Bundesgesetzblatt. Er kann aber auch bedeutend länger dauern oder ganz scheitern.

Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller hat vor Kurzem ein Video erstellt, in dem das Switch-Verfahren erklärt wird.

Wie funktioniert es in Europa?

Bei zentral zugelassenen Arzneimitteln funktioniert das Verfahren ein wenig anders. Initiator ist ebenfalls der Hersteller. Hier kommt die Empfehlung für die Entlassung aus der Verschreibungspflicht vom Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA). Die Empfehlung des CHMP wird dann an die Europäische Kommission für eine rechtsverbindliche Entscheidung übermittelt.

Dann landet die Sache, wie bei der dezentralen Zulassung auch, beim BMG, das die Änderung der AMVV per Verordnung auf den Weg bringen muss. Das letzte Wort hat dann auch der Bundesrat. Das ist allerdings Formsache. Denn die Entscheidung der Kommission ist für die Mitgliedstaaten bindend. Der erste erfolgreiche zentrale Switch war Orlistat, bei dem die Erweiterung einer bereits bestehenden europäischen Zulassung beantragt wurde. Pantoprazol war dann das erste Beispiel für einen zentralen europäischen Neuzulassungsantrag direkt für ein rezeptfreies Arzneimittel. Esomeprazol wurde 2013 zentral für die ganze Europäische Union aus der Verschreibungspflicht entlassen, Ulipristal 2015.

Wie viel Spielraum haben die Mitgliedstaaten?

Wieviel Spielraum den einzelnen Staaten dabei bleibt, wird immer wieder diskutiert. Was passiert, wenn ein Switch-Antrag auf EU-Ebene abgelehnt wird? Kann er dann separat in einem Mitgliedstaat in den OTC-Status überführt werden? Nach der bisherigen Rechtsauffassung in der Europäischen Union ist für ein solches Nebeneinander von wirkstoffgleichen Produkten mit zentraler und nationaler Zulassung sowie zusätzliche Bewertungen und regulatorische Entscheidungen kein Raum, heißt es.  

Und auch der umgekehrte Fall ist denkbar: Ein Mitgliedstaat lehnt einen auf EU-Ebene beschlossenen Switch ab. Einen diesbezüglichen Präzedenzfall schafft unter Umständen Polen. Die dortige nationalkonservative Regierung hat nämlich beschlossen, Ulipristal wieder der Rezeptpflicht zu unterstellen – dieser Switch wurde auf EU-Ebene vollzogen. Ob Polen mit diesem Alleingang gegen die EU-Entscheidung durchkommt, bleibt abzuwarten, möglicherweise gibt es Klagen dagegen.



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