Trotz schwerer Nebenwirkungen

Loperamid bleibt in den Niederlanden im freien Verkauf

Remagen - 20.06.2017, 14:30 Uhr

In Drogerien und Supermärkten erhältlich: In den Niederlanden soll Loperamid weiterhin frei verkäuflich sein - trotz bekannter schwerwiegender Nebenwirkungen. (Foto: dpa)

In Drogerien und Supermärkten erhältlich: In den Niederlanden soll Loperamid weiterhin frei verkäuflich sein - trotz bekannter schwerwiegender Nebenwirkungen. (Foto: dpa)


Vor knapp einem Jahr teilte die US-Arzneimittelbehörde FDA mit, dass bei einem Missbrauch von Loperamid schwerwiegende Herzprobleme entstehen können. Die niederländische Arzneimittelbehörde Medicines Evaluation Board (MEB) hat den Abgabestatus von Loperamid nun neu bewertet und beschlossen, dass das Antidiarrhoikum zur Akuttherapie weiterhin ohne Rezept in Drogerien und Supermärkten verkauft werden darf.

Die niederländische Arzneimittelbehörde hat sich aktuell mit dem Abgabestatus von Loperamid beschäftigt. Der Grund hierfür waren internationale Berichte über eine missbräuchliche Anwendung hoher Dosen mit schweren Herzproblemen als Folge. In den Niederlanden hat es nach der Datenlage bisher aber wohl keinen solchen Missbrauch von Loperamid gegeben, hat die MEB ermittelt. Auch aus dem niederländischen Pharmakovigilanzzentrum (LAREB) lägen keine Details über eine solche Verwendung vor. Das MEB habe daher beschlossen, den aktuellen Lieferstatus des freien Verkaufs nicht zu ändern.

Allerdings wird betont, dass die Patienten sich an die Anweisungen in der Packungsbeilage halten sollen. Hiernach ist die Einzeldosis von Präparaten im allgemeinen Verkauf auf 2 mg und die Packungsgröße auf zehn Tabletten begrenzt. Personen, bei denen die Durchfall-Symptome länger als 14 Tage anhalten oder sich verschlechtern, sollten ihren Arzt kontaktieren.

Safety Communication der FDA

Angefangen hatten die Diskussionen mit einer Arzneimittelsicherheits-Mitteilung der US-FDA im Juni 2016. Die FDA warnte vor schwerwiegenden kardialen Nebenwirkungen unter Loperamid in höheren als den empfohlenen Dosierungen. Von 1976 bis 2015 waren bei der Arzneimittelbehörde 48 Berichte hierzu eingegangen. Im Zusammenhang mit dem hochdosierten Missbrauch von Loperamid, zum Beispiel um Opiatentzugssymptome zu beeinflussen oder euphorisierende Wirkungen zu erzielen, waren Synkopen, QT-Zeitverlängerungen, Torsade de Pointes und andere lebensbedrohliche Arrhythmien aufgetreten. Der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker lagen für den Zeitraum 2013 bis 2015 insgesamt vier Verdachtsfälle zur missbräuchlichen Anwendung von Loperamid vor. Die Dunkel­ziffer dürfte ­jedoch deutlich höher sein, vermutete die AMK, und empfahl den Apotheken, Patienten auf die bestimmungsgemäße Anwendung und Dosierung von Loperamid bei Durchfall hinzuweisen, um Risiken durch (un)beabsichtigte Überdosierungen zu vermeiden.

Bewertung in der EU

In der EU regte Zypern im letzten Jahr eine Bewertung durch den Pharmakovigilanzausschuss (PRAC) bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) an. Dort hatte es 54 entsprechende Fallberichte mit teilweise vermuteter Kausalität gegeben. Das PRAC befasste sich in seiner Juli-Sitzung 2016 damit und bat den Inhaber der Orginalzulassung Johnson & Johnson Consumer B.V., eine kumulative Analyse der Situation vorzulegen und die Plausibilität der unerwünschten Wirkungen zu beurteilen.

Auf Basis der Ergebnisse empfahl das PRAC den Herstellern nach seiner März-Sitzung 2017, eine Warnung vor Überdosierung in ihre Produktinformationen aufzunehmen. In der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels (Fachinfo) soll darauf hingewiesen werden, dass bei Personen mit Überdosierungen von Loperamid-HCl kardiale Ereignisse, wie QT-Intervallverlängerung, Torsades de pointes, sonstige schwere ventrikuläre Arrhythmien, Herzstillstand und Synkopen, beobachtet worden seien und dass auch über Todesfälle berichtet worden sei.

Nichtklinische In-Vitro- und In-Vivo-Auswertungen zu Loperamid hätten weder innerhalb des therapeutisch relevanten Konzentrationsbereichs noch bei signifikantem Vielfachen dieses Bereichs (bis zu 47-fach) signifikante kardiale elektrophysiologische Wirkungen angezeigt.

In der Packungsbeilage sollen die Patienten dazu aufgefordert werden, niemals mehr als die empfohlene Menge einzunehmen, und wenn doch geschehen, umgehend den Rat eines Arztes einzuholen oder sich an ein Krankenhaus zu wenden. Falls ein Kind zu viel einnimmt oder entsprechende Symptome zeigt, soll sofort ein Arzt gerufen werden.

In der EU fast überall rezeptfrei

Loperamid kam im Jahr 1973 unter dem Handelsnamen Imodium auf den Markt. In Deutschland ist es seit 1976 erhältlich. Das Antidiarrhoikum ist in der EU heute in der überwiegenden Zahl der Länder nicht rezeptpflichtig. Meist ist der OTC-Status jedoch mit Einschränkungen bezüglich der Einzel- und/oder der Tagesdosis oder auch der Packungsgröße oder der Altersgruppen verbunden.

In Deutschland ist Loperamid seit 1993 rezeptfrei, allerdings nur in festen Zubereitungen zur oralen Anwendung bei akuter Diarrhö in Tagesdosen bis zu 12 mg und in Packungsgrößen bis zu 24 mg, sofern auf Behältnissen und äußeren Umhüllungen angegeben ist, dass die Anwendung auf Erwachsene und Kinder ab dem vollendeten 12. Lebensjahr beschränkt ist.

In den Niederlanden darf das Durchfallmittel zur Akutbehandlung sogar im Supermarkt verkauft werden.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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