Nusinersen

EU lässt erstes Arzneimittel für seltene Muskelerkrankung zu

Stuttgart - 07.06.2017, 15:30 Uhr

Mit Nusinersen ist in der EU das erste Arzneimittel für Patienten mit Spinaler Muskelatrophie zugelassen. (Foto: Hersteller

Mit Nusinersen ist in der EU das erste Arzneimittel für Patienten mit Spinaler Muskelatrophie zugelassen. (Foto: Hersteller


Für die genetisch bedingte Spinale Muskelatrophie erhielt das Arzneimittel Spinraza nun auch in Europa die Zulassung. Das Arzneimittel kann die Symptome teils verbessern, wie Studien an jungen Patienten mit schweren Verlaufsformen gezeigt haben. Das Arzneimittel wird Anfang Juli verfügbar sein. In Deutschland kostet die Behandlung im ersten Jahr 540.000 Euro.

Dem von den US-Pharmafirmen Ionis und Biogen entwickelte Arzneimittel Nusinersen (Spinraza®) erteilte die EU-Kommission Ende vergangener Woche die Zulassung für alle Patienten mit spinaler Muskelatrophie (SMA). Für die Patienten, die von zunehmenden und bei schweren Fällen lebensgefährlichen Komplikationen durch die Muskelschwäche betroffen sind, gibt es bislang keine medikamentösen Therapieoptionen. SMA ist eine vererbte Erkrankung, bei der ein „Survival Motor Neuron“ (SMN) genanntes Protein fehlt. Dieses ist für die normale Funktion von Motorneuronen essenziell, welche die Willkürmotorik steuern.

Bei Patienten ist normalerweise das zugehörige Gen SMN1 fehlerhaft, so dass das für das Überleben der Motorneurone notwendige Protein nicht ausreichend gebildet wird. Nusinersen soll als Antisense-Oligonukleotid die Exprimierung des ähnlichen Gens SMN2 erhöhen, welches auch bei SMA-Patienten geringe Mengen des SMN-Proteins herstellt. Eine Studie an 121 Kleinkindern mit besonders schwerer Form der Erkrankung war im vergangenen Sommer aufgrund guter Ergebnisse vorzeitig abgebrochen worden.

In der Wirkstoffgruppe hatten 51 Prozent dieser Patienten auf die Therapie angesprochen, während dies bei keinem der Kinder der Vergleichsgruppe der Fall war. Laut EMA erhielten 22 Prozent der behandelten Patienten eine volle Kontrolle über ihre Kopfmotorik, 8 Prozent konnten ohne Hilfe sitzen, und 1 Prozent der Patienten konnte mit Hilfe stehen. Gleichzeitig sank bei den behandelten Patienten das Risiko für die Notwendigkeit einer dauerhaften Beatmung oder sogar für Tod um 47 Prozent. Jedem zweiten Kind half die Behandlung jedoch nicht.

„Diese Effekte werden als von beträchtlicher klinischer Wichtigkeit angesehen“, hatte die EMA erklärt. Auch bei 126 Patienten, bei denen die Erkrankung erst später während der Kindheit einsetzt, zeigte eine Studie gewisse Verbesserungen in ihrer Motorfunktion. Aufgrund fehlender Langzeitbeobachtungen sei noch offen, inwiefern die Erfolge von Dauer sind. Als unerwünschte Nebenwirkungen wurden Entzündungen der Atemwege und Verstopfungen beobachtet, welche laut Hersteller Biogen überwiegend auf die Grunderkrankung zurückzuführen seien. Die FDA hatte Nusinersen bereits Ende Dezember zugelassen.

Eine halbe Million Euro im ersten Jahr

Laut einem Sprecher von Biogen wird Nusinersen ab dem 3. Juli auf dem deutschen Markt verfügbar sein, ab Ende Juni kann es bestellt werden. Rund 90 der in Deutschland geschätzt 100 Kleinkinder mit schwerem Verlauf hätten das Arzneimittel seit Oktober bereits über ein von Biogen finanziertes Härtefallprogramm erhalten, erklärte der Firmensprecher. Ab der Zulassung können sie das Arzneimittel auf dem üblichen Wege bekommen, wobei die Kosten voraussichtlich von den Krankenkassen übernommen werden.

Hierzulande wir das Arzneimittel etwas günstiger sein als in den USA, wo es für die Behandlung im ersten Jahr 750.000 US-Dollar kostet: Die vorgesehenen sechs Spritzen werden für 540.000 Euro verkauft. Die Erhaltungstherapie mit drei Spritzen ab dem zweiten Jahr soll zunächst 270.000 Euro jährlich kosten. Dies liege im Rahmen der Preise für vergleichbare Arzneimittel für seltene Erkrankungen, betonte der Biogen-Sprecher. Aufgrund der breiten Zulassung sei er sehr zuversichtlich, dass Nusinersen auch Patienten mit leichteren Formen oder fortgeschrittenem Erkrankungsstadium helfen könnte.

Nusinersen wird per Lumbalpunktion in den Spinalkanal gespritzt, der das Rückenmark umgibt, wo die Motorneurone sitzen. Das Arzneimittel wird voraussichtlich insbesondere in spezialisierten Muskelzentren abgegeben. Patienten wird empfohlen, nach der Injektion noch einen Tag in der Klinik zu bleiben.

Nach der ersten Anwendung von Nusinersen am Menschen und der ersten Zulassung lagen nur fünf Jahre, betont Biogen in einer Stellungnahme. Derzeit laufen Zulassungsanträge in Japan, Kanada, Australien oder der Schweiz, weitere seien in Vorbereitung. Der Sprecher von Biogen Deutschland betont, dass SMA weiter ein wichtiges Tätigkeitsfeld für die Firma bleibe. Sie forsche auch in Richtung einer Gentherapie. 



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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